Der Rapsbestand sieht übel aus: Die einen Pflanzen haben eine normale Höhe, wachsen aber eigenartig buschig, andere kümmern klein vor sich hin. Dazwischen recken verdorrte, blätterlose Stängel ihre braunen Köpfe in den Frühlingshimmel.
Mittendrin kauert Martina Ruh und hat eben einen solchen Stängel aufgeschnitten. Die Pflanzenschutzberaterin vom Wallierhof im Kanton Solothurn scheucht dabei vier Larven auf, die sich in braunen Frassgängen bewegen. Sie haben sich bis in den Vegetationspunkt vorgefressen.
«Das ist eines der schlimmsten Felder, die ich dieses Jahr gesehen habe», sagt Ruh. Die Parzelle ist nicht gross, aber nur auf einer kurzen Seite sieht der Bestand einigermassen normal aus. Der Rest zeigt viel nackten Boden oder aber starke Frühlingsverunkrautung.
6,5 Larven/Pflanze im Spritzfenster
Der Erdflohdruck war enorm hoch im Herbst. Dazu beigetragen haben Topbedingungen für die Bodenbearbeitung ab dem 10. August. Ein Grossteil des Rapses wurde bis Ende August gesät. Die milden Temperaturen fast bis Weihnachten boten optimale Bedingungen für den Einflug des Käfers und die Entwicklung der Larven.
Die Rapsflächen am Wallierhof wurden am 2. Oktober behandelt. Im Frühjahr wiesen die Flächen 0,6 Larven/Pflanze auf der behandelten Fläche und 6,5 Larven/Pflanze im Spritzfenster auf. «Sowas habe ich noch nie gesehen», kommentiert Ruh.
«Wenn ich an einem sonnigen Herbsttag in ein Feld trat, hüpften die Flöhe nur so von mir weg», beschreibt Ruh ihre Erfahrungen. Nach Weihnachten lag lange eine geschlossene Schneedecke. Darunter frassen sich die Larven munter bis zum Vegetationspunkt vor.
Dadurch ist das Wachstum massiv beeinträchtigt. Der Bestand rund um Ruh dürfte wohl umgebrochen werden. «Das ist ein typischer Sackgassenbestand. Spätverunkrautung, ungleichmässige Abreifung und ein Ertragsausfall von 70 bis 80 Prozent sind die Folgen.»
Keine Anhaltspunkte, wie gross das Schadenspotenzial ist
«Im Herbst herrschte grosse Verunsicherung», erzählt Ruh. «Wir wussten nicht, wie gross das Schadenspotenzial des Erdflohs ist.» Ausländische Studien seien nicht einfach auf die Schweiz übertragbar. «Über den Erdfloh wurde sehr viel geschrieben, noch bevor der Raps überhaupt gesät worden war.»
Die Praxis war mit einem Schädling konfrontiert, der bis anhin gut kontrolliert werden konnte. Anhaltspunkte werden die Dreschergebnisse liefern. Dabei werden vergleichbare behandelte und unbehandelte Flächen separat gedroschen. «Damit können wir die Ertragseinbussen auf den unbehandelten Flächen einschätzen.»
Der Bund bleibt bei der Sistierung
«Ich hatte gehofft, dass die Regelung gelockert würde, nachdem das Ausmass des Schadens bekannt geworden war», sagt Ruh. Den Vorwurf, dass im Erdfloh-Fall ein Mittel verboten worden sei, ohne die möglichen Konsequenzen für die landwirtschaftliche Produktion zu analysieren, verneint Eva Reinhard nicht. Die Vizedirektorin des BLW meint: «Das ist generell eine Schwäche dringlicher parlamentarischer Vorstösse, die zu Regulierungsänderungen führen. Das Parlament muss entscheiden, bevor die Konsequenzen breit abgeklärt sind.»
Den grossen Einfluss gesellschaftlicher Erwartungen und Anforderungen spürt aber auch das BLW. «Wenn das Risiko eines möglichen Schadens an Wildinsekten ohne detaillierte Datenanalyse und wissenschaftsbasierter Gewichtung der Vor- und Nachteile höher bewertet wird als das Risiko eines einschneidenden Ernteausfalls, macht mich das nachdenklich.»
Und trotzdem ist der indirekt toxische Effekt systemisch wirkender Substanzen nicht zu vernachlässigen, aufgrund dessen die Sistierung vorwiegend beschlossen wurde: nämlich die schleichende Vergiftung der Bienen. «Die hier entscheidende Frage ist: Ist der Effekt reversibel, kann sich das System davon erholen?» Offenbar gibt es mehr Fragen als Antworten.
Eine baldige Aufhebung der Sistierung ist jedenfalls nicht zu erwarten. Wie geht es weiter? «Die ersten Auswirkungen der Sistierung auf die landwirtschaftliche Produktion müssen bekannt gemacht und weiter analysiert werden. Die Diskussion muss in einem breiteren Rahmen neu stattfinden.»
Die Praxis wartet also auf die Ernteergebnisse und deren Auswertungen. Hinsichtlich der nächsten Rapssaison gilt für Ruh und ihre Kollegen: «Aufs Schlimmste vorbereiten, das Beste hoffen.»
Katharina Scheuner
Den ganzen Artikel finden Sie in der «grünen» Nr. 8 vom 16. April 2015