LID: Frau Hofstetter, Sie waren 14 Jahre in der Marketingabteilung der Schweizer Milchproduzenten SMP tätig, sieben Jahre als deren Leiterin. Was konnten Sie in dieser Zeit bewirken?
Charlotte Hofstetter: Als Einzelne konnte ich nichts erreichen, wir haben alle Erfolge als Team erzielt. Vor allem die Arbeit im Fachgremium Marketing habe ich geschätzt, wo immer auch kritische Fragen gestellt wurden und wir offen über die Ausrichtung unserer Kampagnen sprechen konnten. Diese Art von Arbeit werde ich vermissen. Verrückte Ideen mit Profis und einem breiten Gremium diskutieren und dann entscheiden, umsetzen und überprüfen. Wir konnten einige Erfolge verbuchen. Besonders die starke Nutzung unserer Online-Rezeptdatenbank mit rund 1,5 Millionen Visits pro Monat. Es ist somit die meistgenutzte bebilderte Rezeptdatenbank der Schweiz. Diese können alle Konsumenten nutzen, besonders aber unsere Hauptzielgruppen, die jungen Erwachsenen, Haushaltgründer und Familien mit Kindern. In diesen Gruppen werden Ernährungseinstellungen und Gewohnheiten geprägt und da sollen Milch und Milchprodukte eine entsprechende Rolle spielen.
Welches war das Highlight in Ihrer Zeit bei den SMP?
Die Erfolge mit unserer Online-Rezeptdatenbank, die Ansprache der Jungen an Festivals und Events mit Frühstück-Sets und Shakes, aber auch der Tag der Milch und Pausenmilch sowie all unsere Online-Massnahmen. Wenn der Server zusammenbricht beim Online-Voting, bestätigt dies, dass wir unsere Zielgruppen erreichen konnten. Gegen Innen gehören für mich die Allgemeinverbindlichkeit, die 100% Zustimmung zu unseren Massnahmen und das grosse Vertrauen zu den Highlights. Dennoch mussten wir immer wieder erklären, was wir warum machen.
Gab es auch Momente, die Ihnen zu denken gaben?
Wenn ich sehe, wie viel gearbeitet wird im Milchsektor und wie tief die Preise sind, dann gibt mir das zu denken. Auf der anderen Seite jagt ein Konsumtrend den Andern. Ob das jetzt vegane Ernährung ist oder dass jeder bald irgendeine Allergie hat und bei Bauchweh gleich eine Laktoseintoleranz diagnostiziert, das gibt mir zu denken. Unter dem Einfluss von Multikulti besteht zunehmend die Gefahr, dass das Bewusstsein für die Schweizer Küche und Tischkultur verloren geht. Ein Familienfrühstück gibt es oft nur noch am Sonntag, was sich auf die Ernährungsgewohnheiten auswirkt. Ich habe das Gefühl, das wird immer schlimmer. Es muss uns immer wieder gelingen den neuen Konsumenten zu erreichen. Der ist viel weniger markentreu als früher. Es gibt laufend neue Konsummuster. Mal wird Spitzengastronomie, dann wieder Fast Food konsumiert. Da braucht es Standfestigkeit im Marketing, man muss überzeugt sein, das Richtige zu tun, und nicht einfach Geld zur Hütte rausballern.
Der Konsum von Schweizer Trinkmilch ist rückläufig. Die aktuellsten Zahlen des Schweizer Käseexports zeigen nach unten. Wie beurteilen Sie die Perspektiven für die Milch aus Sicht des Marketings?
Da gibt es aus Sicht des Marketings mehrere Spannungsfelder. Zum Beispiel der Auslandeinkauf. Tiefe Preise sind ein starker Treiber. Es gilt Stories zu schaffen und gute Argumente, um den höheren Preis zu rechtfertigen. Dies ist sehr anspruchsvoll. Das gute Argument von heute kann morgen überholt sein. Wir müssen dran sein und wach bleiben. Und immer im Auge behalten, wie der Konsument tickt, der nachwächst. Da müssen wir bei Swissmilk, aber auch bei Proviande das Basismarketing ständig neu erfinden. Wichtig ist eine gute Zusammenarbeit mit Partnern. Mit Switzerland Cheese Marketing SCM hatten wir nicht immer dieselbe Meinung, aber wir waren immer bemüht, gute Lösungen zu finden. Auch mit dem LID haben wir viel gemacht und gut zusammengearbeitet.
Zurzeit läuft die zweite "Swissmilk Inside"-Promotionswelle mit Klebern auf Jogurts im Detailhandel. Kann dadurch längerfristig bei den Konsumenten gepunktet werden?
Bei Joghurt in der Schweiz gibt es Handelskanäle, die 50% Jogurt mit ausländischer Milch anbieten. Auch diese werben mit Herkunft Schweiz bei zahlreichen andern Produkten. Viele sind sich dessen nicht bewusst. Da ist es unsere Aufgabe mit entsprechenden Massnahmen darauf hinzuweisen: Leute schaut die Packung an, kauft bewusst ein. Swissmilk-Inside-Kleber zeigen, wo Schweizer Milch drin ist. 2015 hatten wir erwartet, dass 50'000 Prämien bestellt werden und es waren 120'000 Prämien.
Welche Tipps geben Sie Ihrem Nachfolger?
Mein Nachfolger beherrscht sein Metier. Seit Niklaus Schällibaum, der vor mir 39 Jahre bei den SMP gearbeitet und das Marketing geleitet hat, hat sich viel verändert. Es zählt heute weniger die Position der Stärke, sondern die gute Zusammenarbeit. Früher konnte man via Machtpoker noch hie und da was erreichen. Wenn wir Milch im Gespräch und im Einkaufkorb halten wollen, müssen wir überzeugen. Wir dürfen nicht immer nur an Milch denken, aber die Milch im Herzen tragen und bereit sein für die Milch neue Allianzen zu schmieden und neue Wege zu gehen. Ich wünsche meinem Nachfolger, dass er nicht in politische Machtkämpfe hineinkommt. In Bezug auf das Marketing gibt es zu jedem Aspekt jeweils mindestens fünf unterschiedliche Meinungen. Dann setzt sich der, der am längeren Hebel oder am richtigen Ort sitzt, durch. Natürlich gibt es ein paar Spielregeln, aber dann muss man überzeugen. Es gibt kein richtig oder falsch. Erfolgreiches Marketing steht dafür, dass man die Bedürfnisse des Gegenübers kennt und wahrnimmt.
Nun ziehen Sie weiter, näher zum Detailhandel. Wollen Sie uns etwas verraten, warum Sie die neue Stelle jetzt antreten?
Es tut mir weh weg zu gehen, der Abschied schmerzt. Es hat mir gut gefallen und die Arbeit habe ich sehr gerne gemacht. Aber jetzt habe ich noch 15 bis 16 Jahre Arbeitsleben vor mir. Da ist ein Wechsel angezeigt. Es ist auch für Swissmilk gut mit Stefan Arnold jemand Neues zu haben, der eine neue Aussensicht einbringt.
Wandel und Aufbruch im Marketing wie im Beruf - ein Ausblick?
Man hängt an den Projekten, wo man Erfolg hatte. Aufbruch zu Neuem ist dann schwierig. Aber das ist immer von Neuem nötig, quasi ein Aufbruch ohne Ende. Um heute in Kommunikation und Marketing mitzuhalten, muss man sich und seine Arbeit ständig hinterfragen und neu erfinden. Dies auch allen Trägern und Mitgliedern klar zu machen ist eine Herausforderung und bis sich ein neuer Erfolg einstellt jeweils eine Durststrecke. Frauen und Männer über 50 können sich nicht in eine Frau hineinversetzen, die 20 ist und noch nie einer Kuh begegnet ist. Als ich anfing hat es keine mobile Kommunikation gegeben. Heute spielen wir die meisten Rezepte via Mobile ab. Bald wird auch die Pokémon-Euphorie marketingmässig genutzt werden. Nichts ist permanenter als der Wandel. Und mobile Kommunikation ist heute ein Gebot der Stunde.
Markus Rediger, lid