Nein, der Schlaefli zieht keinen Helm an, um eine Schwingarena zu betreten. Der Soldat am Eingang der Arena von Estavayer-le-Lac ist zwei Köpfe kleiner und etwa halb so schwer wie Ernest Schlaefli und versucht mit wachsender Verzweiflung dem Mann beizubringen, dass niemand ohne Helm und Leuchtgilet hineinkommt. «

Junger Mann, wissen Sie überhaupt, wer ich bin?», fragt Schlaefli amüsiert und zückt sein Handy. Natürlich kommt er hinein. Nach ein paar Telefonaten. Ohne Helm und durch den Hintereingang. Mit einem spitzbübischen Grinsen im Gesicht. Dann steht er in der riesigen Arena und wird zum ersten Mal an diesem Morgen ganz still und ehrfürchtig.

Rundherum herrscht reges Treiben. Eine Woche vor dem Anschwingen für das Eidgenössische Schwingfest läuft es hier in Estavayer-le-Lac auf Hochtouren. Gerade wird das Sägemehl für Ring Nummer vier verteilt. Schlaefli dreht sich im Kreis, bestaunt die leeren Sitzreihen und meint dann: «Was muss das für ein Gefühl sein, ganz alleine hier zu stehen für den Schlussgang, alle Augen auf dich gerichtet.» Wenn das einer weiss, dann ist es Ernest Schlaefli, er der 185 Schlussgänge bestritt und sich nur viermal danach das Sägemehl vom Rücken klopfen lassen musste.


Bis heute ein Held


«Bonjour Ernest, ça va?» – «Sälü Ernst, geits guet?» Es scheint, als wäre der Soldat am Eingang der Arena der Einzige hier, der den grossen Ernest Schlaefli nicht kennt. Immer wieder bleibt er beim Gang über das riesige Festgelände stehen, um mit Freunden zu plaudern oder um für ein Foto mit einem Fan zu posieren. Man kennt den Schlaefli nicht nur

wegen seiner fast sagenhaften Schwingerkarriere, sondern auch wegen seinem Engagement für die Region, für die Landwirtschaft.

Er ist jemand, den man auf Anhieb mag. Ein aufrichtiger und engagierter Mann, der anpackt und hilft, wo er kann. Auch wenn er jetzt mit seinen 70 Jahren etwas ruhiger geworden ist. «Man soll die Entscheidungen nicht den Männern mit den weissen Haaren überlassen», sagt er nicht nur mit Blick auf das Eidgenössische Schwingfest. Früher sei es auch gut gewesen, aber nicht nur besser. Es sei auch viel strenger gewesen.

Heute sei es halt anders. Aber es sei wichtig, mit der Zeit zu gehen. Er müsse heute nicht mehr an vorderster Front stehen. Das sollen jetzt die Jungen. Schlaefli sieht sich heute eher in beratender Position. Dann lacht er und meint: «Man soll aber auch nicht überberaten, die Jungen müssen selbst ihre Erfahrungen sammeln können.» Damit meint er auch seine Söhne. Und die Tatsache, dass er zwar zuhause auf dem Betrieb gerne auf dem Samro steht und selbstverständlich jeden Morgen pünktlich im Stall ist. Aber er

geniesst auch die Freiheit, mit seiner Frau Elisabeth mehr Zeit fürs Reisen zu haben. Und er gibt sich Mühe, seine Söhne nicht «überzuberaten.»


Zum Muni darf Schlaefli nicht


Eine Organisation  des Eidgenössischen Schwingfests ohne Ernest Schlaefli, was ist das für ein Gefühl? Ein wenig scheint er selbst überrascht davon zu sein, dass es so ist. Doch nach kurzem Nachdenken meint er, eigentlich habe er nur einen Job, nämlich den Schopf von der Cremo zu verkaufen. Damit meint er die massive Holzscheune, welche die Lebendpreise beherbergt. Und an diesem Morgen ist auch OK-Präsident Albert Bachmann dort, der sofort aufspringt und Ernest Schlaefli die Hand schüttelt, als dieser, wieder einmal, Beziehungen sei Dank, hinter den Kulissen auftaucht.

Doch hinein zum Muni, der fast so gross ist wie der ehemalige Schwinger, das darf dann nicht mal der Schlaefli. «Nein
Ernest, da gehst du nicht rein», ermahnt ihn mit strenger Stimme sein Ziehsohn André Curty, der dabei ist, die Tiere zu versorgen. Zwar ist nicht mehr der Ernest Schlaefli selbst an der Front, aber seine Söhne und all seine Zöglinge sind es, die er für den Schwingsport begeistert hat.


Doppelrahm organisiert


Plötzlich braucht es ihn doch noch. Kaum im Restaurant des Gabentempels angekommen, zückt Ernest Schlaefli sein Handy. Diesmal spricht er Französisch, nicht laut aber bestimmt. «Gestern Abend gab es zu wenig Doppelrahm für die Meringue, und das am Eidgenössischen in Freiburg», erklärt er nach dem Telefonat kopfschüttelnd. Das kommt bestimmt nicht wieder vor, denn Schlaefli hat die Sache organisiert. Hier wird es künftig genug Crème Double zur Meringue geben. Schlaefli ist nicht einer, der kritisiert. Er ist einer, der das Telefon zückt und hinter den Kulissen ein wenig die Fäden zieht, damit das Gute noch besser wird und sich dann im Stillen darüber freut. Trotzdem, einmal wurde sein Schaffen ganz gross gefeiert. Er ist nämlich der einzige Schwinger in der Schweiz mit einem goldenen Kranz. Und den gab es eben nicht nur für besonders gutes Schwingen, sondern auch für die Nachwuchsförderung und den Einsatz für den Schwingsport im Allgemeinen.

Ein «Tangoschwinger»


Wer bei Schlaefli am Boden war, der kam nicht mehr auf die Beine, bevor er auf dem Rücken lag, erinnert er sich schmunzelnd an seine aktive Schwingerzeit zurück. Viel Schlafen und Erholung, das war das Geheimnis seines Erfolges. Und der Fussball, der ihn schnell und wendig gemacht hat. Sicher habe er weniger trainiert als die heutigen Schwinger. Die machen aus seiner Sicht zu viel Krafttraining. «Ich war ein ‹Tangoschwinger›, ein Schneller, mit viel Bewegung in der Hüfte. Heute sind die Muskeln der Schwinger bretthart, viele dadurch sehr unbeweglich und im Ring furchtbar pressiert, weil die Muskeln schnell ermüden», lässt er sich dann doch noch zu einer kleinen 'Beratung' hinreissen.

Sicher habe er Glück gehabt, dass er sich nie ernsthaft verletzte. Er habe während seiner Aktivkarriere immer Fussball gespielt. Die Kraft in den Unterarmen hatte er vom tagelangen Herumtragen der 50-kg-Kartoffel-
Säcke. Und oft genug habe er nach dem Schwingfest, morgens um 4 Uhr, schon wieder Schlachtschweine verladen. Heute sei das anders.

Aber eben, das Urteil, was nun besser sei, das überlässt er den Jungen. Doch für das Publikum seien die langen Zweikämpfe Mann gegen Mann sehr attraktiv gewesen. Heute sehe man das kaum noch, bedauert er. Und dann kommt ein Satz, der für einen grossen Kämpfer wie Schlaefli ungewöhnlich, aber doch sehr passend ist: «Ich bin einer, der immer für den Frieden ist.» So hat er geschwungen, so lebt er. Ein friedlicher Riese.

Er setzt sich ins Cabriolet, das für ihn fast zu klein ist. Das gehöre seiner Frau, meint er entschuldigend, lacht und verabschiedet sich. Die Kartoffeln warten und das Wetter ist zum Graben perfekt. Das Schwingfest kommt gut, auch wenn Schlaefli nur noch hinter den Kulissen steht. Und am kommenden Wochenende natürlich an vorderster Front auf der Tribüne.

Daniela Joder