Chörnlibrot, petits pains au lard, Butterzopf, fromage pur chèvre au lait cru: Auf dem Bieler Gemüsemarkt verkauft Jean-Pierre Rochat vor dem Gerechtigkeitsbrunnen Produkte vom eigenen Hof. Gemeinsam mit seiner Frau ist er heute um ein Uhr in der Früh aufgestanden, um im mächtigen Ofen Brote, Zöpfe und Brötchen zu backen. Im Kühlraum nebenan wurde der eigene Geissenfrischkäse abgepackt. Und zuletzt das Auto und der Anhänger mit den restlichen Produkten beladen.

Immer am Samstag ist Markttag in der Stadt. Es ist der einzige Tag, an dem Jean-Pierre Rochat morgens in seinem winzigen Kämmerchen auf 950 Meter über Meer nicht schreibt. Am Stand in Biel fragt eine ältere Kundin den Bergler mit dem buschigen grau-melierten Bart, wie lange er schon auf den Markt komme. «45 Johr», antwortet Rochat kurz angebunden.

Was kaum jemand sieht: Hinter dem Korb mit dem Roggenbrot steht eine Kartonschachtel. Und in der Schachtel liegen Bücher: "23 choses à faire avant de mourir», «Journal amoureux d’un boucher de campagne», «La nuit de la Nouvelle». Geschrieben hat diese Werke allesamt der Mann hinter dem Marktstand. Er nehme die Bücher mit, falls jemand danach frage, sagt er. Anpreisen wie seinen Geissenfrischkäse will er sie nicht.

Buch über Sprachgrenzen

Jean-Pierre Rochat, 1953 in Basel geboren, verbindet als Grenzgänger zwei Genres, die, so finden heutzutage viele - «auch die Gymischüler, die ich ab und zu in ihren Klassen besuche», sagt Rochat -, nicht unterschiedlicher sein könnten: das «Chäse» und «Chrampfe» auf dem Berg sowie das einsame Schreiben von Sätzen mit einem bestimmten Klang und Humor in der Kammer.

Jean-Pierre Rochat macht und beherrscht beides: «Der Bauer ernährt aber den Schriftsteller», sagt er. Sein Roman «L’écrivain suisse allemand» gewann 2013 den Westschweizer Literaturpreis Michel Dentan. Drei Jahre später erhielt Yla M. von Dach für die deutsche Übersetzung den Terra-nova-Preis 2016.

Insgesamt hat Rochat zwölf Bücher herausgebracht; «Melken mit Stil» (Verlag die Brotsuppe), so der deutsche Titel von «L’écrivain suisse allemand», ist der zweite Roman, der ins Deutsche übersetzt wurde. Mit den Tieren spricht der Bauer Mundart. Die Schriftsprache des Schriftstellers ist aber das Französische. Es sei «ein Buch über Sprachgrenzen, aber auch über die Grenze zwischen Stadt und Land», schreibt ein Kritiker.

«L’écrivain suisse allemand» beschreibt die Beziehung zwischen einem Bergbauern und einem erfolgreichen Deutschschweizer Schriftsteller. Der eine bewundert den anderen. Doch der Schriftsteller stirbt bereits zu Beginn des Romans.

Ins Leben des Bauern trat er ganz unvermittelt Jahre davor. Er wollte ausgerechnet auf seinem Berg einen Wohnwagen als Rückzugsort und Liebesnest hinstellen. Der Bauer, der die Bücher liebte, hatte damals zehn Jahre ohne neuen Lesestoff verbracht. Der Schriftsteller, zu dem die Frauen kamen «wie die Kindlein zu Jesus», entfachte die Flamme fürs Lesen neu in ihm.

«Im wirklichen Leben habe ich die Leidenschaft fürs Schreiben sehr früh entdeckt», sagt Rochat. Er sitzt mittlerweile am Tisch vor seinem Bauernhaus; der Markt in Biel ist vor zwei Stunden zu Ende gegangen. Neben ihm grenzen Juraweiden an Waldränder. Ganz hinten am Horizont leuchten die Berner Alpen. Ein laues Lüftchen weht über das Hochplateau oberhalb Vauffelin.

Rochat erzählt weiter: Seine damalige Lehrerin habe ihn jeweils Texte als Strafaufgaben abschreiben lassen. Anstatt Geschriebenes aus Bücherseiten zu übernehmen, erfand der Schüler alsbald eigene Geschichten, da sie ihm mindestens so schnell von der Hand gingen. Doch die Lehrerin wollte zuerst nicht wahrhaben, dass ihr Schüler der Verfasser der Erzählungen war. «Als sie mir letztendlich glaubte, unterstützte und förderte sie mich.»

Melken und büffeln

Jean-Pierre Rochat blieb dennoch ein Querkopf. Mit 14 Jahren flog er von der Schule. «Ich wusste schon damals, dass ich Bauer werden wollte.» Er zog zu Hause aus, in die Mennoniten-Gemeinde nach Moron. Am Morgen melkte er jeweils die Kühe, am Nachmittag büffelte er in der Mennoniten-Schule, wo alle Klassen gemeinsam die Schulbank drückten - «die Grossen halfen den Kleinen». Mit 16 Jahren wurde er Hirte, schaute zu 50 Fohlen in Riffenmatt bei Guggisberg.

1974 pachtete er als 20-Jähriger den Hof hier im Berner Jura, weil er bereits eigene Tiere hatte. Ein Jahr später lernte er seine Frau kennen, eine Süditalienerin aus Lecce. Sie heirateten, bekamen drei Kinder. Als die beiden Söhne und die Tochter später in die Schule mussten, brachte sie Rochat jeden Tag mit dem Pferdewagen ins Dorf.

Er war ein bekannter Züchter von Freibergern, der letzten ursprünglichen Schweizer Pferderasse. An Pferdeveranstaltungen gewann der Schriftsteller viele Römerwagen-Rennen. An einer Wand in seinem Haus zeugen Bilder davon.

Ein Grenzgänger zu sein, sei etwas Gutes, sagt Rochat: «Ich lebe in zwei Welten.» Viele seiner Bücher sind auch in französischen Verlagen erschienen. Auf ein Manuskript habe er einmal erst zehn Jahre später eine Zusage erhalten.

Disziplin brauche es, um sich morgens um vier Uhr aus dem Bett zu stehlen, wenn die Muskeln des Bauern noch gähnten. Doch wenn der Schriftsteller dann in seinem winzigen Kämmerchen sitze, wo hohe Bücherberge sich nach der Decke strecken und aus den Büchern bunte Zettelchen lugen, füllten sich die Seiten, die er noch von Hand schreibe und als Manuskript auch so einschicke, fast von alleine.

Nur plagt den Schreiber alsbald das schlechte Gewissen, da ja eigentlich die Stallarbeit ruft und 60 Geissen und je 20 Kühe und Pferde auf ihn warteten. «Mit den Tieren, vor allem den Pferden, teile ich eine Komplizenschaft.»

Freunde auf beiden Seiten

Hinter dem nahen Zaun unweit seines Hofs verläuft die Sprachgrenze. Während des Jurakonflikts habe er auf beiden Seiten Freunde gehabt: «Da sind ganze Familien zerbrochen und auch für uns war die Situation sehr schwierig. 1980 sind fünf Pferde auf meiner Weide erschossen worden, das war ein Schock.» Er ist froh, dass dieses Kapitel abgeschlossen ist.

In «Melken mit Stil» steht: «Die Jungen lesen nicht mehr und die Alten sitzen vor der Glotze. Wenn etwas über einen Schriftsteller kommt, wechseln sie den Kanal. Schriftsteller ist ein zum Untergang bestimmter Beruf, wie Wagner, Maulwurffänger, Holzschuhmacher oder Geigenbauer, jeder ist auf seinem Computer zum Schriftsteller geworden und kann sich sein Büchlein selber machen, zumindest die grössten Nostalgiker.»

Wer nun meint, Rochat werfe den Griffel demnächst auf den Misthaufen, irrt. Im Oktober 2017 erscheint sein neuestes Buch: «Petite brume». Es handelt von einem Bergbauer, der seinen Hof verkaufen muss.

sda