Es ist kühl an diesem Morgen in Hinterfultigen, auf dem Hügelkamm zwischen Schwarzwasser und Bütschelbach. Der ehemalige Schwinger Fritz Lehmann hat eine imposante Statur. Die habe er schon sehr früh gehabt, wird er später am Küchentisch erzählen. Er versucht, die Nervosität zu verbergen. Fast macht es den Anschein, dass die Aufmerksamkeit, die ihm durch den Besuch der BauernZeitung zuteilwird, etwas unangenehm ist. Fritz Lehmann sitzt am Küchentisch und denkt an seine Jugend und die Aktivzeit im Schwingsport zurück. Als er zu erzählen beginnt, scheint sich die Anspannung etwas zu lösen.


Heute unvorstellbar


Fritz Lehmann ist als Bauernbub mit drei jüngeren Schwestern aufgewachsen. Sein Berufswunsch war zunächst Polizist gewesen. Trotzdem hat er sich entschieden in die Fussstapfen des Vaters zu treten, und lernte Landwirt. Der junge Lehmann bestritt bereits in der zweiten Klasse sein erstes Gieleschwinget. Dies, ohne vorher auch nur ein einziges Training 
besucht zu haben. Heute sei das unvorstellbar, erinnert sich der 56-Jährige.

Christian Staub, ein Schwinger vom Dorf, hat ihn dann jeweils zum Training mitgenommen. Zu dieser Zeit trainierte der Nachwuchs bei den Aktiven in einem separaten «Eggeli», blickt Lehmann auf seine Anfängezurück. Früh ist der Erfolg eingetroffen und der Jungschwinger kehrte mit vielen zweiten Plätzen von den Gieleschwinget nach Hause zurück. Mit 14 Jahren gewann er sein erstes Fest. Lehmann weiss noch genau, wo das war; in Mühlethurnen. Ein Glücksgefühl habe dieser Sieg ausgelöst. Mit 18 Jahren erschwang er sich dann seinen ersten von gesamthaft 29 Kränzen. Danach folgte eine zweijährige Durststrecke. Trotz der vielen Niederlagen, die Fritz Lehmann in dieser Zeit hinnehmen musste, hat er nie ans Aufhören gedacht. «Man hat gelebt für das Schwingen», erklärt er. Er sei jung und draufgängerisch gewesen. Nur Zuschauen wäre nicht gegangen, erzählt er weiter, und verschränkt seine Arme.


Erholung in der Natur


Auch heute noch gehört Bewegung zum Leben des Fritz Lehmann dazu. Er spielt Fussballtennis, ein Teamsport mit gleichen Regeln wie beim Tennis, jedoch mit zwei Mannschaften, die einen Fussball über das Netz befördern müssen. Ausserdem ist er viel mit seiner Frau Margrit, die ihn stets unterstützte, unterwegs beim Spazieren und Wandern. Im Winter sind die beiden auch auf den Skipisten anzutreffen. Die Natur ist heute wie damals sein Ort, um sich zu erholen.

1982 holte Fritz Lehmann in Niederhünigen seinen ersten Sieg bei den Aktiven. «Dieser Sieg war schon speziell», erinnert er sich. Vom Siegerrind Barbara leben noch heute Nachkommen auf dem Familienbetrieb, erzählt Lehmann stolz. Ein Jahr später erreichte der ehrgeizige Schwinger sein bis dahin grösstes Ziel: Den ersten Eidgenössischen Kranz in Langenthal. Da war er 23-jährig.

Riesige Niederlage

Nach dem Erreichen seines Ziels ruhte sich Fritz Lehmann, dessen bevorzugter Schwung der Gammen war, nicht etwa aus. Nein, er avisierte den zweiten Eidgenössischen Kranz und arbeitete in den vier bis fünf Trainings pro Woche noch härter an seiner Form. Doch das Glück stand ihm 1986 in Sion nicht zur Seite. Nur um einen Viertelpunkt verpasste er den angestrebten Kranz. «Diese riesige Niederlage ist eine grosse Enttäuschung gewesen», blickt der stattliche Mann nachdenklich zurück.

Die Enttäuschung sowie gesundheitliche Probleme durch Überbelastung bewogen Lehmann 
anschliessend dazu, mit 26 Jahren seine Aktivzeit zu beenden. Nebst der Familie mit kleinen Kindern, Arbeit und dem intensiven Training kam die Erholung zu kurz, weiss der Eidgenosse heute. Und weiter: «Ich habe zu viel gewollt.» Heute würde er vieles anders machen. Dass viele Schwinger mit einem Mentaltrainer arbeiten findet er gut. «Ich wäre froh gewesen, wenn es früher auch schon Mentaltrainer gegeben hätte», so Lehmann.

Nach dem Rücktritt brauchte der angriffige Schwinger, der stets den Sieg gesucht hat, Distanz zu seiner einstigen Leidenschaft. Zwei Jahre lang zog sich Lehmann vollkommen aus dem Sport zurück und besuchte kein einziges Fest. Danach engagierte er sich als Kampfrichter und als Präsident des Schwingklubs Schwarzenburg. Beim Mittelländischen Schwingverband ist er zudem zum Ehrenmitglied ernannt worden.


Veränderungen nicht schlecht

Heute ist Fritz Lehmann nur noch als Zuschauer am Sägemehlring anzutreffen. «Das Eidgenössische habe ich noch nie ausgelassen», erzählt er lachend. Und auch die Vorfreude auf das diesjährige Eidgenössische in Estavayer ist ihm anzumerken. «Es ist spannend heuer», erklärt er. Nach seinem Favoriten gefragt, antwortet er: «Sempach.» Und nach einer kurzen Pause: «Ich denke, einer der Berner Könige wird es wieder machen.»

Fritz Lehmann kennt die Schwingszene seit Jahren genau. Er hat einige Veränderungen beobachtet. Aber dabei seien keine schlechten, stellt er klar. Sehr gut findet er die Tatsache, dass nur noch im Sägemehlring gewonnen werden kann, mehr Material darauf sei und dieses besser gewalzt wird. So werde die Sicherheit erhöht. Zudem seien die Gabentempel zeitgemässer geworden.

Auch wenn die athletische Verfassung heute anders ist, schwingtechnisch habe sich nicht viel geändert, erklärt Lehmann. Früher sei die Stärke von Ovo und Milch gekommen, heute komme das halt vom Krafttraining. Das mittlerweile im Schwingsport mehr Geld fliesst, findet Fritz Lehmann in Ordnung, solange das Geld zum Schwinger gelange. Gelange jedoch zu viel an den Verband und würden die Sponsoren dadurch beginnen dreinzureden, werde es schwierig, ist der Eidgenosse überzeugt. «Es gibt immer zwei Seiten, was gut ist und was nicht», erklärt er.


Klar strukturiert


Der Landwirt sieht keine Parallelen seines Berufes zum Nationalsport. Früher wie heute sei der Schwingsport klar strukturiert, die Funktionäre kennen die Materie. Die Landwirtschaft hingegen werde oft fremdbestimmt. «Es läuft nicht gut in der Landwirtschaft», bedauert Lehmann, dessen Leidenschaft heute seinem Betrieb gehört. Sein Herz jedoch schlägt nach wie vor für den Nationalsport.

Andrea Wyss