An der 5. Hochstammtagung am BBZN Hohenrain LU wurden vor einer Woche verschiedene Aspekte über den  speziellen Wert von Hoch
stammobst durchleuchtet. Nebst wissenschaftlichen Analysen und theoretischen Abhandlungen, welche für Züchtung und Anbau von verschiedenen Obstsorten nützlich sind, wurden die rund 50 interessierten Tagungsteilnehmer aus Produktion, Verarbeitung, Vermarktung, Konsum und Beratung auf mögliche Innovationen und den wichtigen emotionalen Wert in der Verarbeitung und Vermarktung von Hochstammobst hingewiesen.


Die Vielfalt macht es aus


Alte Sorten seien nicht generell robuster als neue, sagte Jennifer Gassmann von Agroscope Wädenswil. Hingegen sei viel Potenzial da, um die guten Eigenschaften herauszufiltern. In umfassenden Studien untersucht die Wissenschaftlerin die Genetik von über Tausend Apfel-, Birnen-, Pflaumen- und Kirschsorten sowie die Anfälligkeit auf Krankheiten wie Feuerbrand, Schorf, Mehltau oder Blattfallkrankheit. Denn je mehr detaillierte Informationen vorhanden sind, desto nützlicher sei dies für die Züchtungen und den Anbau.

Diese Informationen sind im Schweizer Obstsorteninventar des Bundes (www.bdn.ch) zugänglich und dienen nicht nur der Forschung, sondern bieten Hilfreiches für Obstbauern. Nischenprodukte seien im Trend und eben dazu da, um sich von der Masse abzuheben und einen wirtschaftlichen Nutzen zu bieten.  


Ob alte Obstsorten wirklich besser seien als neue, versuchte Lothar Wurm von der Höheren Bundeslehranstalt für Wein- und Obstbau in Klosterneuburg, Österreich, zu beantworten.

Langer Zeitraum bis Vollertrag


Unterlage von Quitte oder Birne hat einen relativ grossen Einfluss auf die Standhaftigkeit und Fruchtbarkeit von Obst. Deshalb seien Standort, Boden und Unterlagen der Bäume sowie Pflegemassnahmen gut abzustimmen, nur so könnten Ertrag und Qualität optimiert werden.

In Felduntersuchungen wurde jedoch auch festgestellt, dass schorfresistente Sorten wie Topaz teilweise ihre Resistenz verlieren und Obstanlagen mit einer alten, standortangepassten Vielfalt an Sorten langfristig widerstandsfähiger als Monokulturen seien. Da sich der Zeitraum bis zum Vollertrag bei Hochstammbäumen über 8 bis 10 Jahre erstreckt, sei der Sortenentscheid wichtig. Spitzenprodukte seien mit alten und neuen Sorten möglich und würden regelmässig an entsprechenden Messen in Österreich prämiert.

Unterschiede zum Obstanbau in der Schweiz und Österreich gibt es einige. In Österreich habe es eher zu wenig Birnen für die Weiterverarbeitung. Hochstamm- und auch Halbstammbäume würden oft nicht gepflegt und seien daher auch nicht ertragsoptimiert. Auch erfolge bei den Hochstammkulturen kein Einsatz von Pflanzenschutz. Nach seinem Eindruck sei die Schweizer Landwirtschaft, vielleicht auch wegen der finanziellen Anreize, weiter fortgeschritten bzw. aktiver am Markt.


«Two apples a day keeps the doctor away?»


Eva Arrigoni von Agroscope informierte über eine interessante Studie der sekundären Pflanzenstoffe (Polyphenole) in Äpfeln. Daraus können mindestens zwei wichtige Erkenntnisse gewonnen werden: Die Apfelsorten unterscheiden sich sehr stark bei den Polyphenol-Gehalten, wobei Mostäpfel höhere Werte aufweisen als Tafeläpfel. Und zweitens können grosse Verluste bei der sogenannten Fraktionierung (Schälen oder Pressen der Früchte) auftreten.

Der Gehalt der Wirkstoffe unterscheide sich bei den einzelnen Sorten recht deutlich. Flavonolreiche Sorten wie Jonathan, Topas oder Elstar können eine ähnliche Wirkung wie Schokolade haben, phenolsäurereiche Äpfel wie Grüner Fürstenapfel, Boskoop oder Maigold können Kaffee ersetzen. Im Schnitt werden heute zwei bis drei Äpfel pro Woche konsumiert. Um die Wirkung der Polyphenole zu nutzen, sollten täglich zwei (ungeschälte) Äpfel gegessen werden.

Obstprodukte mit Geschichten verkaufen


Für Nischenprodukte wird mehr bezahlt. Hier knüpfte auch Dominik Flammer, Autor des Buches «Kulinarisches Erbe der Alpen» an. Für ihn sind die Chancen der Vermarktbarkeit noch nie so gut wie heute, denn es gäbe eine «kulinarische Elite», die bereit sei, für gute, ökologische und gesund hergestellte Produkte sehr wohl mehr zu bezahlen. Dabei sei es wichtig, den Produkten ein Gesicht zu geben und eine Geschichte dazu zu erzählen.

Er könne sich gut vorstellen, dass ein Luzerner Birnenmarkt erfolgreich wäre, denn Märkte seien dazu da, die Besucher für die lokalen Produkte zu sensibilisieren. Ein Luzerner Birnenbrot mit Theilersbirnen oder Wasserbirnen wirke einfach anders als ein gewöhnliches Luzerner Birnenbrot, das sich vom Glarner Birnenbrot oder vom Bündner Birnenbrot bestenfalls im Preis, aber nicht in der Birnenmasse unterscheide.

Stimmt der Preis, machen auch die Landwirte mit


Wenn der Preis stimme, seien die Landwirte bereit, in Projekten mitzumachen, meinte Simon Gisler, abtretender Geschäftsführer der Hochstamm Seetal AG. Er plädierte für die Erschliessung von neuen Kanälen. Dies gelte nicht nur für Most, sondern auch für andere Produkte wie Apfelringe oder Apfelmus. Es brauche Mut, in die industrielle Produktion einzusteigen, finanzielle Anreize seien dabei wirkungsvoll und beeinflussten das Handeln nachhaltig. Das gelte für die Hochstammbauern und die Verarbeiter, die an ihre Produkte glaubten und den Mehrwert sähen.

Ähnlich wie Dominik Flammer sieht Simon Gisler das Potenzial bei der Differenzierung zu anderen (Massen-)Produkten sowie der Regionalität. Er bezeichnete die Hochstamm

Suisse als zuverlässige Partnerin mit «einigermassen vertretbaren administrativen Auflagen». Auch mit Coop als Partnerin wurde ­eine weitere Vertriebschance genutzt, die mit innovativen Ideen weiterausgebaut werden soll.

Die Hochstamm Seetal AG entstand vor fünf Jahren im Rahmen eines Projekts für regionale Entwicklung mit Unterstützung des Bundes und der Kantone Luzern und Aargau. Per Ende 2014 weist die Hochstamm Seetal AG einen Umsatz von mittlerweile 700'000 Schweizer
Franken aus.


Birnen sind nicht nur schön, sondern machen glücklich

Beat Felder, Tagungsleiter, machte sich für die Birne stark. Birnen hätten unerkannte Qualitäten, und gerade die Birnbäume seien wichtige Präger der Landwirtschaft im Kanton Luzern. Zudem seien die heute empfohlenen Sorten weniger von Feuerbrand befallen.

Bezüglich Beiträgen bemerkt Felder, dass die Hochstammbeiträge ein wichtiger Bestandteil in der Luzerner Landwirtschaft im Bereich Spezialkulturen seien. Im Jahr 2014 wurden im Kanton Luzern rund 10 Mio Franken Hochstammbeiträge ausbezahlt, was mehr ist als der Most- und Tafelobstertrag. Gerade die Birne verdiene mehr Beachtung, und um das Nutzungspotenzial besser ausschöpfen zu können, sei mehr Forschung nötig.

Am Schluss der informationsintensiven Tagung forderte Klaus Gersbach, Präsident Verein Fructus, die Anwesenden auf, Bestände der raren Sorte «Schweizer Bratbirne» zu melden.

Für Urs Amrein, Hildisrieden, Präsident der Hochstammfreunde, ein Verein mit rund 300 Landwirten aus der Region, sind die grossen, oft über 50 Jahre alten Hochstammbäume landschaftsprägend und der Inbegriff der Nachhaltigkeit. Der Verein übernimmt von der Hochstamm Seetal AG neu das Patronat für die zukünftigen Schweizerischen Hochstammtagungen.

Heidi Scherer