Genf hatte bereits früher Vorbehalte gegen die Schaffung eines nationalen Fonds angemeldet - insbesondere gegen die Absicht, dass die Kantone gemessen an ihrer Bevölkerungszahl einzahlen sollen. Genf möchte sich höchstens gemäss der Anzahl seiner Opfer an einem nationalen Fonds beteiligen.

Nur für eigene Fehler geradestehen

Der Kanton möchte nur für seine eigenen Fehler geradestehen, wie der erste Vertreter des rechtspopulistischen Mouvement Citoyens Genevois (MCG) in der Genfer Regierung im am Freitag erschienenen Interview sagte. Er kündigte an, Genf werde eine "unabhängige Instanz" schaffen, um die Fälle von Opfern von Zwangsmassnahmen im Kanton Genf zu untersuchen.

"Wenn es sich bewahrheitet, dass Genf Kinder platziert hat ohne eine Kontrolle, werde wir unsere Verantwortung wahrnehmen", sagte der Chef des Departements für Arbeit, Soziales und Gesundheit. "Wenn es sich bewahrheitet, dass unser Kanton dafür verantwortlich ist, werden wir es noch besser machen als der Bund, aber auf unabhängige Weise", fügte er an.

Problem der Landkantone

Bisher habe man in Genf geglaubt, dass nur in ländlichen Kantonen die Opfer so schlecht behandelt worden seien, sagte Poggia. Dieser war zuvor von der Zeitung mit einem Fall aus dem Kanton Genf konfrontiert worden.

In den 1950er Jahren war ein Geschwisterpaar auf Anweisung des Genfer Amtsvormunds seinen Eltern weggenommen worden. Die Kinder wurden in ein Waisenhaus im Kanton Freiburg, dem Heimatkanton ihres Vaters, gesteckt und dort misshandelt.

Fonds steht

Anfang Woche war der Soforthilfefonds für Opfer von Zwangsmassnahmen zustande gekommen. Ab Juni können Betroffene ein Gesuch für Soforthilfe einreichen. Bereits im September sollen die ersten Auszahlungen erfolgen.

Fürsorgerische Zwangsmassnahmen sind im 20. Jahrhundert in der Schweiz gegen mindestens 20'000 Menschen angeordnet worden. Dabei handelte es sich um ehemalige Verdingkinder sowie Menschen, die von den Behörden wegen "Arbeitsscheu", "lasterhaften Lebenswandels" oder "Liederlichkeit" in psychiatrische Anstalten und Strafanstalten eingewiesen wurden.

Erst 1981 wurde die Praxis der administrativen Zwangsversorgung aufgrund einer Gesetzesänderung gestoppt. Den Opfern soll der Fonds helfen mit "Gesten der Solidarität" in Form einer einmaligen Zahlung in Höhe von 4000 bis 12'000 Franken.

Dem Fonds zur Verfügung stehen soll ein Gesamtbetrag von 7 bis 8 Millionen Franken. Den grössten Teil - etwa 5 Millionen Franken - sollen die Kantone einspeisen. Der Rest kommt von Städten und Gemeinden sowie Institutionen und Privaten. Eine Einzahlung ist freiwillig.

sda