Moritz geht es heute gar nicht gut. Er pumpt jeden Atemzug mit sichtlicher Anstrengung in seinen Körper, in seinem Hals pfeift und rasselt es. Entsprechend macht sich Martina Schafer Sorgen. Sie erwartet den Tierarzt. Gleich nebenan das pure Gegenteil. Purlimunter springt rund ein Dutzend junge Lämmer durch den Stall. Als sie ihre Ziehmutter erblicken, brechen sie in lautes Blöcken aus und beginnen zutraulich nach Milch zu suchen.
Sie wusste bald, dass sie den Betrieb übernehmen will
Der 20-Hektaren-Betrieb der Familie Schafer liegt auf der Sonnenseite. Nicht nur an diesem wunderschönen Wintermorgen. Die Sonne strahlt mit den Augen von Martina Schafer um die Wette, als die junge Landwirtin eines ihrer Lämmchen auf den Arm nimmt und es an ihrem Finger saugen lässt. Die Schafe sind ihre Leidenschaft, erzählt die 24-jährige gelernte Buchhändlerin. Bei der Arbeit im Buchladen habe sie bald einmal gewusst: «Das kann es nicht sein, das will ich nicht den Rest meines Lebens machen.» Sie wollte in die Landwirtschaft, zurück auf den elterlichen Betrieb. So hängte sie nach Abschluss der Buchhändlerlehre gleich noch eine zweite Ausbildung an und wurde Landwirtin.
Innerhalb weniger Wochen war der Schafstall gebaut
Auch wenn sie inzwischen weiss, dass es immer noch Betriebe gibt, die keine Frauen ausbilden wollen, Martina Schafer hatte Glück und fand auf Anhieb ihren Traumbetrieb. So half sie bei der Betreuung der grossen Milchschafherde und wusste damals bereits, dass sie auch den elterlichen Betrieb mit Schafen bewirtschaften will. Als dann kurz nach Lehrabschluss der ehemalige Lehrmeister anrief und fragte, ob sie die rund 200 Milchschafe übernehmen wolle, musste sie nicht lange überlegen. Zusammen mit ihrem Vater verkaufte sie die Mutterkühe und baute innerhalb weniger Wochen einen praktischen Milchschafstall inklusive Melkstand.
Eine Zeitlang hätten viele Landwirte versucht, der Misere bei der Kuhmilch mit Milchschafen zu trotzen. Die meisten hätten aber bald bemerkt, dass ein Schaf keine kleingewachsene Kuh sei. Darum hätten fast ebenso viele Betriebe ihre Milchschafhaltung wieder aufgegeben. Nicht so Schafer, sie will Schafe, nur Schafe, eine Kuh kommt ihr nicht mehr auf den Betrieb. Es braucht viel Know-how um Milchschafe zu halten. Martina Schafer, die neben der vielen Arbeit auf dem Hof noch die Betriebsleiterschule absolviert und die Meisterprüfung anhängen will, ist mit Schafen aufgewachsen und wusste, worauf sie sich einlässt.
Die langen Präsenzzeiten im Stall machen ihr nichts aus. Jetzt, wo alle Auen hochträchtig sind oder frisch abgelammt haben, geht die Arbeit nie aus. Die ersten drei Tage brauchen die Lämmer intensive Betreuung. Das Trinken am Nuggi will gelernt sein. «Das ist eine typische Arbeit, die Frauen einfach besser können, weil sie geduldiger sind», schmunzelt Schafer und erzählt, wie sie an intensiven Tagen fast rund um die Uhr Lämmer schöppelt. Einmal, als die Tierchen an schlimmem Lippengrind litten, gar im Schutzanzug und im Wissen, dass nicht alle ihre Schützlinge überleben werden.
Doch sie brachte die meisten durch, schlief dazu beinahe noch im Schafstall. Und das Ganze für Gotteslohn. Denn zumindest die männlichen Jungtiere lassen sich fast nur verschenken. Ein Grossteil geht nach wenigen Wochen auf einen Partnerbetrieb, den sie mit Kuhmilch mästet. Einige Tiere mästet Martina Schafer selbst und vermarktet das Fleisch direkt ab Hof.
Bei Schafen geht Liebe fast nur durch den Magen
Die Begeisterung von Martina Schafer für ihre Tiere ist überall spürbar. Ihre Hündin Viva, die ihr auf Schritt und Tritt folgt, spürt die Liebe auch und hofft, auch im Winter vielleicht mit den Schafen arbeiten zu dürfen. Aber nichts da. Die Schafe bleiben im gemütlichen Stall und fressen Silage von den praktischen Futterbändern. Bei Schafen geht Liebe fast nur durch den Magen. Dank Futter drängen sie zackig in den Melkstand und dank Futter verlassen sie ihn meistens wieder.
Meistens, erzählt Schafer, und lacht ihr herzliches Lachen. Sie nimmt es mit Humor, wenn die Tiere sich weigern, den Melkstand zu verlassen und einen Stau verursachen, um bei ihrer Chefin bleiben zu können. «Vor allem die Jungtiere, die ich selbst mit dem Schoppen aufgezogen habe, sind völlig auf mich fixiert», grinst der Mutterersatz der Lämmer und krault liebevoll eine junge Aue.
Das gute Einvernehmen in der Familie ist ein wichtiger Faktor
Freude an der Arbeit, das ist für die junge Frau das A und O. Was sie macht, macht sie richtig und mit vollem Einsatz. Die rund 50 00 kg Biomilch ihrer Schafe bringen Schafers nach Münsingen, wo sie grösstenteils zu Jogurt verarbeitet wird. Dreimal in der Woche nimmt meistens Schafers Mutter den rund 40-minütigen Weg unter die Räder. Das gute Einvernehmen mit den Eltern ist der angehenden Betriebsleiterin sehr wichtig. Sie arbeitet nicht nur mit ihrem Vater bei der Stallarbeit eng zusammen, die Familie teilt sich auch eine Wohnung. Diese sei zwar gross, aber nicht ausgebaut.
Unter dem gleichen Dach wohnt seit zwei Jahren auch ein Lehrling. Zur Genugtuung, Wissen weiterzugeben, kommt die Entlastung bei der Arbeit. «Freie Wochenenden und auch Ferien müssen für alle drinliegen», ist Schafer wichtig. Ab kommendem Jahr werden Vater und Tochter den Betrieb in Generationengemeinschaft führen. «Und seit Freitag gehört der Betrieb uns», wieder glitzern ihre hübschen Augen, als sie erzählt, wie die Familie nach 50-jähriger Pacht den Betrieb vor einer Woche kaufen konnte und ihn nun nach ihrem Gutdünken umbauen und gestalten kann. Bereits hat sie Ausbaupläne für den Schafstall.
Der Tierarzt ist ein seltener Gast in Alterswil
Inzwischen ist der Tierarzt eigetroffen, um den Widder zu untersuchen. Auch er war nicht auf Schafe spezialisiert und musste viel lernen, um der rund 300-köpfigen Milchschafherde beistehen zu können. Moritz atmet kurz darauf wieder freier. Eine junge Aue hatte weniger Glück, ihr blutiger Ausfluss entpuppt sich als Fehlgeburt.
Es ist nicht alles nur eitel Sonnenschein, aber mit viel Optimismus und einem Strahlen in den Augen geht es einfach ringer. Das beweist Schafer, als sie das junge Schaf tätschelt: «Zum Glück sind Schafe hart im Nehmen, kein Grund zur Panik.» Der Tierarzt muss weiter, er ist ein seltener Gast auf dem abgelegenen Bauernhof in Alterswil. Anders als der allgegenwärtige Sonnenschein.
Daniela Joder