Pippa schaut skeptisch und Papa Moll verteidigt sein Reich lautstark. Ausser dem Geschnatter des Gänsepaares ist es aber völlig ruhig beim idyllisch am Fuss der Churfirsten gelegenen Alpenhof auf dem Walenstadtberg. Kunststück, die Bewohner der Lebensgemeinschaft auf dem kleinen Bauernhof haben noch ein wenig Mittagsruhe. Anders sieht es in der Stube aus. Markus Guntli, der Vater des Erstklässlers Samuel, hört sich das Niklaussprüchli seines Sohnes an. Und gleich ist es mit der Ruhe fertig.


Holzen, heuen, Aerobic - das macht Freude


Heidi öffnet die Stubentüre und sagt: «Das ist mein Daheim, ich bin schon mehr als 20 Jahre hier.» Heidi erzählt von ihren Träumen und sagt, dass es einfach schön sei im Alpenhof. «Wir sind hier alle ein wenig Chef und ich bin glücklich, hier habe ich den Hund Luna und ich kann alle zwei Wochen reiten und mit Peter in einer Aerobic-Gruppe mitmachen.» Der Themenwechsel ist schnell – Heidi fordert volle Konzentration, wenn man ihren Gedankensprüngen folgen will. Anders ist es bei Peter, dem Aerobic-Partner von Heidi.

Er sagt nicht viel, strahlt aber übers ganze Gesicht, wenn jemand vom Holzen oder vom Heuen spricht. Und schon erzählt Heidi von ihrem grössten Wunsch: «Später will ich unbedingt Verkäuferin lernen. Das muss nicht jetzt sein – aber später, und morgen besuche ich ein Konzert von Melanie Oesch.»

Alle können sich einbringen


Peter und Heidi sind zwei Bewohner des Alpenhofs, die Beeinträchtigungen haben. Das gilt auch für Jasmin, Patrick und Florian. Diese fünf meist aufgestellten Persönlichkeiten bilden mit Susanne, Markus und Samuel Guntli sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Doris,

Marius und Ignaz eine Lebensgemeinschaft.

Für drei Jahre gehört auch die Lernende Michelle dazu. Sie sagt: «Ich absolviere die Ausbildung zur Fachfrau Betreuung (Fabe) und habe an mehreren Orten geschnuppert. Ich war sehr glücklich, als ich die Zusage von Guntlis für die Gemeinschaft Alpenhof bekommen habe. Ich empfinde meinen Arbeitsplatz als einzigartig, hier sind wir eine echte Lebensgemeinschaft; wir begleiten mehr, als dass wir betreuen. Hier werden wir alle «für voll» genommen, jeder kann seine Ideen einbringen. Jede hat Rechte und Pflichten und wird nach den eigenen Möglichkeiten gefördert.»

Zu einem grossen Teil Selbstversorger


Zum Alpenhof gehören rund drei Hektaren Land und ein grosser Garten. Doris Hirschi, die Berufsbildnerin und Lehrmeisterin von Michelle, hat einen grünen Daumen: «Wir sind stolz, dass wir uns zu ungefähr 70 Prozent mit eigenem Gemüse, Früchten und Fleisch versorgen können. Wir ziehen auch unsere Setzlinge selber an.» Schon hängt Florian ein: «Ja, den Garten mag ich sehr. Ich arbeite gern dort, und ich bin im Fall Schweizer Meister im Basketball. Ich bin froh, dass wir hier einen Bauernhof haben.»


Und gleich zählt Florian die Tiere auf, die im Alpenhof leben: «Neben Pippa und Papa Moll sind das Hund Luna, etwa sieben Mutterschafe mit ihren Jungen, drei Pensionsschafe, die Kaninchen, die Hühner mit dem Hahn und Enten, Meerschweinchen und Katzen   » Florian bekommt kaum Luft, so schnell und voller Freude zählt er seine geliebten Tiere auf. «Und das Schönste ist das Holzen! Wir heizen unser Haus mit Holz. Alles Holz rüsten wir selber, natürlich mit Markus und den anderen Begleitern. Markus weiss, wie das geht und wir helfen gern. Komm, ich zeige dir unsere ‹Bürdeli›.»


Die Ansprechperson durfte selber gewählt werden


Die Mitarbeiter Marius und Ignaz haben heute frei, und Susanne besucht einen Ausbildungstag. Marius ist als Arbeits­agoge ausgebildet, die anderen sind Fachleute Betreuung und Markus hat zusätzlich die Ausbildung zum Teamleiter absolviert.

Von Hierarchien ist nicht viel zu spüren. Der Umgang untereinander ist sehr achtsam, alle werden als eigenständige Persönlichkeiten gesehen, dürfen ihre Stärken spielen – und die Schwächen werden akzeptiert. Der Leiter der Lebensgemeinschaft Alpenhof sagt: «Hier soll alles so normal

wie möglich sein, dem sogenannten Normali­sierungsprinzip wird grosse Aufmerksamkeit geschenkt, wir sehen unsere Bewohner als eigenständige Persönlichkeiten, auf Selbstbestimmung legen wir grossen Wert.»

Markus Guntli ist ausgebildeter Forstwart. Er arbeitete in diesem Beruf. Als aber eine Schulter grosse Probleme machte, war ein Umstieg angesagt. «Ich habe es noch nie bereut, die Fabe-Ausbildung gemacht zu haben. Der Alpenhof und unsere BewohnerInnen sind wie auf uns zugeschnitten.» Auch Sohn Samuel erzählt, dass es cool sei, mit Patrick oder Peter Lego oder Playmobil zu spielen.


Patrick ist ein eher ruhiger Bewohner. Sobald aber Samuel in Sicht kommt, leuchten seine Augen – und schon sind die beiden im Schafstall verschwunden. Jasmin mag Tiere über alles. «Und am liebsten habe ich, dass Markus so viel Spass mit uns macht.» Und Patrick sagt: «Und ich finde es cool, dass Ignaz mit uns Holzkerzen gebastelt hat.»

«Meine Ansprechperson ist Doris», erzählt Heidi. Bevor der Besuch fragen kann, wie das mit der Ansprechperson funktioniert, berichtet Heidi die Details. Markus Guntli erläutert: Wir legen Wert auf strukturierte Tagesabläufe und klare Zuständigkeiten. Ab 20 Uhr geniessen wir unsere Privatsphäre. Kommt später eine Bewohnerin oder ein Bewohner mit einem Problem, raten wir ihm, sich am kommenden Tag an seine Ansprechperson zu wenden.» Alle haben eine Ansprechperson. Diese ist in allererster Linie für die Sörgeli und Sorgen der entsprechenden Bewohnerin zuständig. Jeder durfte seine Ansprechperson auswählen. Markus Guntli: «Interessanterweise ging es auf – am Schluss hatte jeder seinen besonderen Schützling.»

Im Sommer gibt es ein grosses Fest


Zum Alpenhof gehören auch eine kleine Schreinerei und ein Atelier. Im Advent wird besonders viel gebastelt. Die Bewohner sind mit grösster Freude dabei, und natürlich lieben sie den Adventskalender, wo jeden Tag jemand ein Päckli öffnen darf. Beim Uno-Spielen erzählen die Bewohner von den Höhepunkten des Jahres 2015. «Wir machten eine Reise nach Venedig und badeten in Jesolo am Meer. War das cool! Ja und dann kam der Samichlaus und wir hatten einen Stand am Weihnachtsmarkt. wo wir Tee und so verkauften. Wir haben alles selber eingepackt. Die Leute kauften ganz viel von uns    und im Sommer feiern wir ein Fest, weil dann Markus, Susanne und Samuel drei Jahre bei uns sind. Du darfst auch kommen», sagt Florian. Markus Guntli doppelt nach: «Eine Einladung von Florian gilt. Unsere Bewohnerinnen und Bewohner sagen, wer kommen darf.»

Eines ist sicher: Die Bewohnerinnnen und Bewohner im Alpenhof haben ein sehr gutes Leben. Es ist deutlich zu spüren, dass der Bauernhof Alpenhof ihr Daheim ist, dass sie mit Guntlis und den Mitarbeitern sowie den vielen Tieren sehr glücklich sind.

Agnes Schneider Wermelinger