Diskutiert man in bäuerlichen Kreisen über Freihandel, ist die Haltung meist klar: Nein.
Freihandel und Landwirtschaft, das geht nicht zusammen. «Schweizer Produkte sind teurer», heisst es dann. Denn Tierschutz made in Switzerland verursacht höhere Kosten. Kleinräumigere Strukturen auch. Und der Konsument, der ist hochgradig schizophren. Der will ja doch nur das günstigste, verhält sich zur Schweizer Landwirtschaft etwa so loyal wie ein notorischer Fremdgänger seiner Frau gegenüber. Ohne Grenzschutz wäre die Landwirtschaft dem Untergang geweiht.
Die Argumente und die Positionen zum Freihandel sind also klar verteilt: Die Bauern sind dagegen. Die Pharmaindustrie ist dafür. Und die Konsumenten wissen nicht so recht, wie ihnen geschieht.
In diesem Umfeld zu einem nachmittagsfüllenden Diskussionsanlass dem Titel «Freihandel und Landwirtschaft - wie lässt sich das vereinbaren?» einzuladen ist dann auch mit Risiken behaftet. Denn wer hat schon Lust, die ständig gleichen Argumente zu hören, wenn draussen die Feldarbeit ruft, die Sonne scheint und der Sommer anklopft?
Gut, das Wetter hat Hans Bieri nicht bestellt. Aber er hat allen Risiken zum trotz im Namen der Schweizerischen Vereinigung Industrie und Landwirtschaft (SVIL) ins Berner Kultur-Casino eingeladen. Das Thema: Freihandel und Landwirtschaft. Gekommen sind rund 50 Personen. Verbandsfunktionäre, Bauern, eine Hand voll Journalisten. Die angekündeten Referenten - Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann und Volkswirtschafter Mathias Binswanger - scheinen doch zu interessieren.
Straumann legt in einer kurzen Analyse aus, dass die Agrarpolitiken in Europa und auf der ganzen Welt immer einen gewissen Grenzschutz aufrecht erhalten haben. «Das ist eine Tatsache. Darüber muss man gar nicht diskutieren», sagte er. Ausgangslage dafür bildete die Industrielle Revolution und die «Grain Invasion» im ausgehenden 19. Jahrhundert. Damals sorgten die immer günstiger werdenden Weizenimporte aus den USA nach Europa für politische Reaktionen in Europa: Einfuhrzölle wurden eingeführt, um die inländische Produktion zu schützen.
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Tobias Straumann (Video zVg von SVIL)
In der Schweiz habe man bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Folge die Getreideproduktion fast vollends aufgegeben. «Man hat das damals schon gewusst. Aber mit den Argumenten: hohe Kaufkraft und gute Vernetzung mit dem Ausland hat man den Inlandanbau nicht weiter fördern wollen», sagt Hans Bieri noch in der Einleitung zu Straumanns Referat.
Als dann die Konflikte Europa 1914 in den ersten Weltkrieg führten. «In der ersten Phase war das Handelsgefüge noch relativ stabil. Erst in der zweiten Kriegshälfte wurde es dramatisch. Nicht nur die spanische Grippe grassierte, sondern mit dem anhaltenden Krieg gingen die Importe um 70 Prozent zurück», sagte Straumann. Die Versorgung war plötzlich unsicher. Der Zugang zum ausländischen Markt nicht mehr vorhanden. Die Schweiz hatte ein Versorgungsproblem. «Nach Kriegsende hat sich die Kurve aber rasch erholt», relativiert Straumann. Doch es blieb schwierig, für die Schweizer Landwirte und die Nahrungsmittelindustrie. «Die grosse Depression und die Währungspolitik haben die Schweiz praktisch aus den Exportmärkten verdrängt», sagt Straumann. von 1932 bis 1934 haben sich US-Dollar und britisches Pfund gegenüber dem Schweizer Franken um 30 bis 40 Prozent verbilligt - Schweizer Produkte im Ausland wurden teurer. Und als dann im zweiten Weltkrieg und nach dem Plan Wahlen den neuen Wirtschaftsartikel eingeführt hat, habe sich gezeigt, dass «ganz neu über die Landwirtschaft nachgedacht wird.» Wie Straumann sagt, habe der Staat in den Kriegs- und Krisenzeiten verstanden, dass man die Landwirtschaft aus Sicht des Gesetzgebers anders angehen muss. Die Erhaltung von Bauernstand und Produktionsgrundlagen, das sei bis heute geblieben. Auch ein gewisser Schutz vor der Globalisierung zugunsten der Ernährungssicherheit.
Etwas mehr auf die Schweiz und auf die aktuelle Situation bezogen, äusserte sich Mathias Binswanger. Der Volkswirtschafter nutzte den Auftritt, um anhand der Schweizer Landwirtschaft die Gültigkeit er Landwirtschaftlichen Tretmühle zu demonstrieren: Je tiefer die Preise, umso stärker werde in die Effizienzssteigerung investiert und umso mehr Produkte werden produziert. Und umso mehr sinken dann die Preise. Der Effekt: zwar werden die Produkte laufend billiger. Die Einkommen steigen aber doch nicht an. «Das ist auch in der Schweiz nicht anders. Die Bruttowertschöpfung in der Landwirtschaft geht grundsätzlich leicht zurück», meinte Binswanger. Auch das Argument, dass Schweizer Landwirte zu teuer produzierten, wies er zurück. «Die hohen Preise in der Schweiz haben wenig mit der Landwirtschaft zu tun, sondern mehr mit der Verarbeitung zu tun.»
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Mathias Binswanger (Video zVg von SVIL)
Neben Binswanger und Straumann traten noch Hermann Dür und Christine Hürlimann auf. Dür ist Müllereiunternehmer und verfocht den Grenzschutz vehement. Massengüter, wie er sie benötige und weiterverkaufe, könnten in der Schweiz ohne Grenzschutz nicht hergestellt werden. Und Christine Hürlimann, die die Informationsplattform Agrarinfo.ch betreibt sah das ganze aus einer etwas anderen Warte. Ihrer Meinung nach müssten Konsumenten und Produzenten näher zusammenrücken.
Der Grenzschutz ist und bleibt eine politische Entscheidung. Der Interessenausgleich bleibt Sache des Parlaments. Wie Binswanger in seinem Referat ausführte, hilft der Grenzschutz aber nur bedingt, die Bauern aus der landwirtschaftlichen Tretmühle zu befreien.
hja