Auf dem Biobetrieb von Helmut Müller und Monika Bühler ist alles ein bisschen anders. Hier gedeihen mehr als 300 Apfel-, 75 Birnen-, 15 Kirschen-, 65 Pflaumen- und Zwetschgensorten auf einer Fläche von 10 Hektaren. Insgesamt sind es 550 Hochstammobstbäume und ungefähr gleich viele Bäume in einem speziellen Versuchsareal.

«Diese grosse Vielfalt haben wir uns selbständig und ohne jegliches Zutun bekannter Institutionen oder kantonaler Stellen in Eigeninitiative zusammengetragen», sagt Helmut Müller, der den Betrieb in vierter Generation führt.


Obstbaubetrieb mit 
120-jähriger Tradition


Schon Ernst Ulrich Müller, der den Betrieb zu Stocken 1896 kaufte und aufbaute, setzte den Schwerpunkt auf Viehhaltung und Obstbau. Mit der Bepflanzung der Flächen mit Hochstammbäumen – einige stehen heute noch – legte er den Grundstein für den heute etablierten Obstbaubetrieb. «Ursprünglich standen mehr als 600 Obstbäume auf der ganzen Betriebsfläche verteilt», erzählt Helmut Müller.

Mit der steigenden Mechanisierung und der Intensivierung der Milchviehhaltung ging der Bestand kontinuierlich auf knapp 400 Bäume zurück. Bei einer Inventur vor 25 Jahren konnten immerhin noch 80 verschiedene Apfelsorten festgestellt werden.


Die Freude an den Obstbäumen blieb jedoch über Genera­tionen erhalten. Die Umstellung auf biologische Landwirtschaft erfolgte bereits Ende der 1980er-Jahre. Abgehende Bäume wurden immer ersetzt, Helmut Müller begann selbst zu veredeln und machte gezielte Kreuzungen mit alten Apfelsorten. Später ­erfolgte der Ausstieg aus der Milchviehhaltung. «Ein Risikoentscheid», sagt Müller, «aber die anstehenden Investitionen in die Gebäude wären zu hoch gewesen und die Verkäufe aus der Obstproduktion sind stetig gestiegen.»   


Eine Frage der Einstellung und Freude


Dass es sich beim Hof zu Stocken um einen Obstbaubetrieb handelt, ist an und für sich nichts Spezielles. Der Oberthurgau gilt als prädestiniertes Obstbaugebiet, ist sozusagen die Hochburg von Mostindien. Und doch unterscheidet sich der Betrieb von Helmut Müller und Monika Bühler grundlegend von anderen Obstbaubetrieben. Er ist einer der wenigen Höfe, wo das Obst noch von den Hochstammbäumen gepflückt wird.

Weil der Handel kein Hochstammobst abnimmt, müssen andere Wege der Vermarktung gesucht werden. Müller und Bühler haben sich dieser Herausforderung gestellt, und ihr Obst findet sehr guten Zuspruch. «Wir haben eine eigene, internationale Initiative zur Förderung des Hochstammobstes gegründet und gehen darin neue Wege der Vermarktung und Information.»

Für Allergiker besonders geeignet


Müller betont, dass Hochstammobst und alte Sorten insbesondere für Allergiker «die Rettung aus dem Beschwerde­dilemma» bedeuten können. Jahrelang waren Helmut Müller und Monika Bühler die einzigen Anbieter von Allergiker-Obst in der Schweiz. Mittlerweile sind noch drei weitere Thurgauer Hochstammproduzenten dazu gekommen.


Müller und Bühler erledigen alle Arbeiten selber, gepflückt wird von Hand. Die Mehrzahl der Sorten wird als Tafelobst im Hofladen oder per Postversand verkauft. «Mit dem Postversand erreichen wir Kunden in der ganzen Schweiz, die sonst nie auf den Hof kommen könnten», macht Bühler deutlich.

Den Sortierausschuss und einige spezielle Sorten verarbeiten sie zu Süssmost, Cidre oder Wein. Die Spezialmostäpfel werden an eine Grossmosterei geliefert. Müller hebt hervor: «Durch den Direktverkauf erzielen wir einen fairen Preis, haben den direkten Kontakt zum Kunden und sind nicht den Launen eines Grossverteilers ausgeliefert.»


Gesunde Bäume kommen ohne Düngung aus


Der Obstbau ist die Haupteinnahmequelle des Betriebsleiterpaars. Von Juni bis November sind die beiden mit der Ernte und Verarbeitung des Obstes beschäftigt, in den Wintermonaten werden die Bäume geschnitten, ab März wird veredelt. Gerade jetzt, wo viele Sorten reif sind, haben sie alle Hände voll zu tun. Aber Helmut Müller lässt sich nicht aus der Ruhe bringen: «Wir machen, was wir können. Wenn wir es nicht schaffen, bei einem Baum alles zu ernten, bleiben die Äpfel oder Birnen halt hängen, bis sie selber runterfallen.»


Die Bäume werden nicht speziell gedüngt. Müller begründet dies mit der hohen Bodenfruchtbarkeit. Da seien genügend Nährstoffe vorhanden. Und in der Tat, die Bäume sehen nicht aus, als würde ihnen etwas fehlen. Sie sind voll behangen mit reifen oder noch reifenden Früchten. Müller erzählt, dass man vor sieben Jahren Probleme mit dem Feuerbrand hatte. «Wir haben damals  tagelang befallene Äste rausgeschnitten. Seither zeigten die Apfelbäume keinen Befall mehr», sagt er und ergänzt: «Birnbäume sind heikler.»

Viel gefürchteter als der Feuerbrand ist allerdings der Mausfrass an den Wurzeln der Bäume. Darum sind laut Müller Hochstammbäume mit extensiven Wiesen als Unternutzen nicht miteinander vereinbar.  


Kritik an den SAK-Berechnungen


Der Betrieb ist laut eigenen Aussagen von der neuen Baumregelung (Beiträge für max. 120 Bäume pro Hektare) nicht betroffen, allerdings verliere man als viehloser Betrieb die Flächenbeiträge. Viel mehr kritisieren Helmut Müller und Monika Bühler die Benachteiligung der Hochstammobstproduzenten in den SAK-Berechnungen. Müller dazu: «Der Wert von 0,001 Punkten pro Baum wird dem Arbeitsaufkommen in einem grossen Obstgarten in keiner Art gerecht, da beispielsweise für die Heu- oder nur schon Grasernte andere Maschinen eingesetzt werden müssen und ein sehr grosser Anteil an Handarbeit anfällt.»

Wenn ein Vollerwerbsbetrieb wie ihrer einer sei, mit 550 Bäumen noch Dauerkulturen schaffen müsse, um auf 1,0 SAK zu kommen, zeige dies, wie wenig durchdacht dieses Punktesystem sei. «Noch mehr Extensivelemente zu schaffen ist uns nicht möglich. Hier haben wir unser ganzes Poten­zial ausgeschöpft.»  


Vernetzung und Austausch sind wichtig


Auf die Frage, wie sie zu ihrer Sortenvielfalt gekommen sind, antwortet Helmut Müller: «Viele der Sorten gehen auf unsere Vorfahren zurück, die Bäume und Sorten waren einfach da.» Dazu gibt es noch etwa 40 eigene Züchtungen. Durch die Zusammenarbeit mit anderen Züchtern, Baumschulen und Obstbetrieben anderer Länder – allen voran Frankreich – kamen weitere alte und robuste Sorten dazu. Diese internationale Zusammenarbeit sei enorm wichtig, so Müller.


Um die Brücke von Konsument zu Hochstammobstbaubetrieben zu schlagen, riefen Helmut Müller und Monika Bühler die Website www.hochstamm-obst.ch ins Leben. Die Resonanz aus dem Ausland ist riesig. Die Schweizer Höfe waren da etwas träger. «Schade», findet Müller, «eine Sortenvielfalt wäre aus ­verschiedenen Gründen förderlich und müsste somit im In­teresse jedes Bewirtschafters ­liegen.»

Was Helmut Müller und Monika Bühler tun, machen sie mit Erfolg. «Man muss Freude an dem haben, was man tut, sonst kann man es gerade so gut sein lassen», sind sie überzeugt. «Wir wollen zeigen, dass auch ein kleiner Hof überlebens-

fähig ist – auch ausschliesslich mit Hochstammbäumen.»


Stefanie Giger