In der Garderobe stehen Cowboystiefel, ein Westernhut hängt an einem Ständer. Auf der kleinen Weide neben der Zufahrt zum Hof grasen aber keine Cowboypferde, sondern die beiden Esel Juanita und Zöttel.


«Ich bin ein richtiger Country-Fan», sagt Sandra Herrli. Die Musik gefiel ihr schon lange. Am Country-Festival in Interlaken BE entdeckte sie dann Line Dance, eine choreografierte Tanzform, bei der einzeln in Reihen und Linien zu Country-Musik getanzt wird. Seither geht sie wöchentlich tanzen. «Die Formen sind recht kompliziert, doch das ist gut für die Gehirnzellen, es hält frisch», sagt sie und schmunzelt.

Die 49-jährige Mutter von vier erwachsenen Kindern ist sehr kreativ. Neben dem Tanzen und dem Singen im Pop-Chor Aarberg – was ihr sehr wichtig ist – betätigt sie sich auch gerne künstlerisch. Etliche Bilder im Haus zeigen ihr Geschick. Sie hat aber auch Pflanzenschalen betoniert, Kugeln getöpfert oder ein Feuerrohr geschweisst.

Etwas ganz anderes

13 Jahre lang tummelten sich neben den eigenen drei Töchtern und dem Sohn Tageskinder auf dem Bauernhof am Rande des Seeländerdorfs Lyss. Insgesamt 19 waren es, und zu vielen hat sie heute noch Kontakt. «Ich war lange ein Mami, doch jetzt möchte ich noch einmal etwas ganz anderes machen.»


Die gelernte Zahnarztgehilfin absolvierte eine Ausbildung zur Fusspflegerin. Und stellte fest, dass die beiden Berufe gar nicht so verschieden sind. «Ich arbeite jetzt einfach einen Stock tiefer.» In einem ehemaligen Kinderzimmer richtete sie ein kleines, gemütliches Fusspflege-Studio ein.

An der Wand hängen die Fussabdrücke ihrer letzten vier Tageskinder. «Das war unser Abschiedsritual. So habe ich sie doch immer noch ein wenig bei mir», sagt die fröhliche, kinderliebende Frau. Die Arbeit als Fusspflegerin befriedigt und erfüllt sie.

Es lief gleich von Anfang an gut, vor allem in der warmen Jahreszeit. Sandra Herrli kann nun aber auch flauere Zeiten überbrücken, denn sie arbeitet je einen Nachmittag in einem Altersheim und einem Wohnheim für Behinderte. «Das ist so schön», schwärmt sie. «Es erfüllt mich total, ich komme jedes Mal ganz glücklich heim.» Die alten oder behinderten Menschen würden es jeweils sehr geniessen, dass sich jemand nur mit ihnen beschäftigt und für sie da ist.  


Ein Stadtkind


Sandra Herrli wuchs in Bümpliz bei Bern in einem Block auf, war  also ein richtiges Stadtkind. Nach ihrer Ausbildung arbeitete sie in einer Zahnarztpraxis in Nidau. Dort lernte sie ihren späteren Mann kennen, den Landwirt Fritz Herrli – er war Patient in dieser Praxis.

Als sie zusammenzogen, arbeitete sie zuerst weiter, doch dann wurde die Doppel-

belastung zu viel. Sie besuchte die Bäuerinnenschule auf dem Schwand, sie heirateten, und bald darauf kam schon das erste Kind zur Welt.

Ackerbau und Milchwirtschaft sind der Haupterwerbszweig auf dem Betrieb von

Herrlis. Wegen Rückenproblemen des Landwirts wurden die Milchkühe

vorübergehend reduziert, im Moment sind es noch neun Stück. Als die Beschwerden ganz akut waren, musste auch Sandra Herrli zwischendurch beim Melken einspringen. «Ab und zu geht das schon, aber um es ständig zu machen, hätte ich zu wenig Erfahrung.»


Nun ist eine Tierhaltergemeinschaft mit einem Nachbarn geplant, der einen neuen Stall baut. Sandra Herrli macht normalerweise morgens den Stall fertig und hilft dort, wo es sie gerade braucht. «Früher war ich mehr im Stall, doch nun habe ich vermehrt Kundschaft.»


Grosse Zufriedenheit


Ihre Fusspflege entwickle sich zu einem richtigen Standbein, freut sie sich. «Ich liebe Menschen, beschäftige mich gerne mit ihnen. Es ist für mich wirklich der ideale Beruf.» Dafür habe sie keinen Garten. «Das überlasse ich lieber denen, die das gut können. Ich habe schon früher immer gesagt: lieber einen Garten voller Kinder als voller Salatköpfe.» Sie lacht. Überhaupt ist Sandra Herrli

ein fröhlicher, optimistischer Mensch. «Ich würde mich als offen bezeichnen, positiv, einfach als zufrieden», bestätigt sie.


Nächstes Jahr feiert sie ihren 50. Geburtstag. Bereits ist sie am Planen, denn es soll ein Country-Fest geben. Die Band ist schon gebucht. Beim Besuch der Esel auf der kleinen Hausweide zeigt sie den Schopf, wo das Fest steigen soll. «Da haben wir schon Konfirmationen gefeiert, einmal gab es auch einen Gottesdienst.» Und nächstes Jahr dann eben einen Country-Geburtstag mit Musik und Tanz.


Renate Bigler-Nägeli