«Das geht ja gar nicht!» Rolf Bernhard schaut suchend über das Kühlregal, das mit Käse des Labels «Aus der Region. Für die Region.» gefüllt ist. Das Stück Käse, das er in der Migros im Shoppyland in seiner Hand hält, scheint ihm nicht zu gefallen. Sofort verschwindet der Leiter Agrarbeziehungen und Labels der Migros Aare hinter einer automatischen Türe. Nach wenigen Augenblicken kommt er forschen Schrittes zurück. Seine Fitness verdankt Bernhard nicht etwa einem ausgeklügelten Sportprogramm, sondern seiner Disziplin, wie er erklärt. «Ich bin eigentlich ein Genussmensch», sagt er und meint, dass er genau deshalb zwischendurch Verzicht übe.
Will mehr wissen
Hinter dem Genussmenschen verbirgt sich einer, der sich nicht einfach mit einem Stück Käse und einem Glas Wein zufriedengibt. Er will mehr wissen. Will wissen, woher das kommt, was er da in seinen Händen hält, wie es produziert wurde und von wem. Vielleicht eine beruflich angeeignete Deformation und vielleicht auch einfach ein Stück Rolf Bernhard. Das passt zu ihm. Denn eines seiner höchsten Ziele im Arbeitsprozess bei der Migros Aare ist, dem Kunden zu erklären, was beim Kauf genau dieses Produktes sein Vorteil ist. Das ist nicht immer ganz einfach: «Teils ist das alles hochwissenschaftlich», sagt er. Und genau das scheint den Kunden wenig zu interessieren. Dieser hat meist seine Gewohnheiten, seine Vorlieben, wenig Zeit. Rolf Bernhard weiss, dass nur ganz wenige Kunden so sind, wie er selbst. Nur wenige hinterfragen so konkret und haken so gezielt nach. «Wir haben verschiedene Kundensegmente, und es ist schwierig, alle zu bedienen.» Genau das scheint er aber zu wollen. Auch wenn er das nicht konkret sagt. Es dürfte eines der Leitbilder Rolf Bernhards sein. Das Ziel, etwas Sinnvolles zu tun und dabei auch zu überzeugen. Nicht nur beim Kunden, sondern auch nach innen, in den Betrieb der Migros hinein.
Zielorientiert vorgehen
Die Verhandlungen mit einem wie Rolf Bernhard dürften grundsätzlich kein Zuckerschlecken sein. Er ist klar in der Argumentation, setzt konkrete Ziele und will diese konsequent erreichen. Und im Prozess der Erreichung dieser Ziele sind die Produzenten ein wichtiger Partner. Genau das hat den jugendlich und schalkhaft wirkenden 45-jährigen Mann, der als Bauernsohn in Ballmoos aufgewachsen ist, auch zu einer der grossen Identifikationsfiguren der Migros Aare im Kontakt mit der Landwirtschaft gemacht. Er hat zahlreiche landwirtschaftlichen Produkte in die Regale der Migros gebracht und damit vielen Bauern und bäuerlichen Produzenten den Zugang zu einem grossen Markt geöffnet. Mit Innovation und Mut. Mut, etwas zu beginnen, dessen Erfolg nicht von Anfang an gesichert schien. In diesem Zusammenhang müsse man auch lernen, Feedback einzuholen. «Was ich gut finde, ist vielleicht nicht für alle gut», sagt Rolf Bernhard. Rückschläge oder Niederlagen hinzunehmen, weil ein Produkt ganz einfach nicht ankommt beim Kunden, obwohl Innovation dahintersteckt, gehört im Detailhandel zum Alltag. «Es ist nicht immer lustig an der Verkaufsfront», so Bernhard zum herausfordernden Geschehen am Markt. Innovation sei wichtig, aber nicht einfach der Garant dafür, dass ein Produkt vom Kunden gekauft und geliebt werde.
Nähe zum Bauern
In einem Sitzungszimmer des Hauptsitzes der Migros Aare in Schönbühl, das mit Bildern aus dem Schwingsport geschmückt ist, wiederholt der Mann, der über seinen gehaltvollen Ausbildungsweg und Werdegang keine grossen Worte verlieren mag, dass die Bauern ganz eindeutig vom Label «Aus der Region. Für die Region.» profitierten. Mit diesem Label gibt sich die Migros ganz besonders basisnah. Das hat viel mit der ebenso leidenschaftlichen wie akribischen Arbeit von Rolf Bernhard zu tun, der seinerzeit selber als Landwirt in seinen Berufsalltag gestartet ist. Nun verlässt dieser nach 15 Jahren aber den orangen Riesen und geht zu Hauert. Das Unternehmen in Grossaffoltern ist heute am Markt die Nummer 1 für in verschiedenen Pflanzenernährungssegmenten. Was zieht den Mann, der mit dem Detailhändler geradezu identifiziert wird, zum Rasen? Rolf Bernhard lacht: «Ich kann guten Mutes gehen, weil die Migros Aare topfit ist.»
Voll ausgelebt
Auch wenn Rolf Bernhard es nicht direkt sagt, es ist die Herausforderung, die er sucht. Er habe bei der Migros richtig Gas geben können, erklärt er. Ohne einem Pflichtenheft hinterherrennen zu müssen, hat sich Bernhard im riesigen Konstrukt der Migros voll ausleben können. Im Urlaub rasch den Alpkäse probieren gehen, der hernach im Gestell ein Renner werden soll. Das sind Geschichten, wie sie sie um den zweifachen Familienvater zuhauf gibt. Obwohl Bernhard jetzt die Türklinke bei Migros in der Hand hält, spricht er weiter von «wir», von «uns», wenn er vom Detailhändler erzählt.
Affinität fürs Wesentliche
Er scheint nicht der Typ, der an seinem Arbeitsplatz in erster Linie die Sicherheit sucht. Er will bewegen, auch mal etwas verändern. Und dabei scheint ein Grundsatz für ihn ganz wichtig: Sich mit den wesentlichen Dingen beschäftigen. Und dafür hat er eine Affinität. Dass man nicht verkaufen kann, ohne das Personal zu motivieren, gehört genauso dazu, wie mit einem Produzenten über seine Visionen zu sprechen oder dem Konsumenten zu erklären, was Biodiversität oder Tierwohl ist.
Mit Rückenwind
Vielfältigkeit entspricht ihm. Die Migros gab sie ihm. «Das ist mein Ding», so Rolf Bernhard. Und vielleicht ist der Weg zu Hauert und der Verantwortung über Swissgreen nicht nur die Suche nach einer neuen Herausforderung und spannenden
Weiterentwicklung eines Mittvierzigers, der mit Rückenwind unterwegs ist. Er dürfte sich mit der Grösse der Unternehmung im innovativen Pflanzenernährungsbereich und wohl der zusätzlichen Freiheit, die da lockt, sehr gut zurechtfinden. Denn Rolf Bernhard ist keine Nummer und kaum einer von vielen unerkannten Angestellten, die der grösste Arbeitgeber des Landes zeitweise beschäftigt hat.
Wie weiter?
Die Migros verzichtet im Moment darauf, Rolf Bernhard «eins zu eins» zu ersetzen. Mehrere Personen werden seine wichtigsten Aufgaben unter sich aufteilen, da es kurzfristig nicht möglich ist, ihn zu ersetzen, heisst es. Parallel läuft die Suche um zu gegebener Zeit eine Person mit diesem Profil aufzubauen. Vielleicht geht das, weil die Migros Aare topfit ist, vielleicht, weil seine Arbeitskollegen von ihm gelernt haben. Eines ist klar: Einen wie Rolf Bernhard einfach so zu ersetzen, geht nicht. Da reicht kein Griff ins Gestell. Zu hoffen ist, dass die Bauern seinen Abgang nicht spüren werden.
Simone Barth
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