2007 untersuchte die Universität Bern das Sexualverhalten von 6500 Schweizerinnen und Schweizern. Nach dieser Studie könnte man sich theoretisch zurücklehnen, denn sie brachte zutage, dass 80 Prozent der Deutschschweizerinnen angaben, ihren Partner in den letzten fünf Jahren nicht betrogen haben; bei den Männern sagten immerhin 68 Prozent, dass sie ­ihre Partnerin in diesem Zeitraum nicht betrogen.


Bestimmt kennen Sie den Satz: «Glaub nur der Studie, die du selber gefälscht hast.» Sicher gilt das auch für diese Studie – denn wer garantiert, dass die Befragten ehrlich geantwortet haben? Oder anders gesagt: Würden Sie einem wildfremden Menschen Auskunft über Ihr Sexualleben erteilen? Es muss also davon ausgegangen werden, dass diese Zahlen «mit Vorsicht zu geniessen sind».

Egal, ob sie stimmen oder weit daneben liegen: Auch in Bauernhäusern kommt Fremdgehen vor – und zwar zunehmend.

Fürs Gespräch den richtigen Moment wählen

Fremdgehen ist wohl der grösste Vertrauensmissbrauch in einer Partnerschaft. Es ist sehr schwierig, Fremdgehen zu verzeihen. Der Mensch, dem man seine Liebe schenkt, mit dem man vielleicht Kinder hat, hat einem auf eine unverzeihliche Art hintergangen. Ob es ein One-night-Stand oder eine Affäre war ist einerlei – es schmerzt so oder so! Wie soll man sich verhalten? Soll man schweigen und denken «Schwamm drüber»?


Nein, rät die Diplompsychologin Doris Wolf. Es sei nötig, zu reden. Wichtig sei aber, nicht sofort nachdem man vom Seitensprung erfahren habe, dieses unumgängliche Gespräch zu führen. «Fahren Sie zuerst ‹etwas runter›, schlafen Sie darüber, denn in der grössten Wut und Verzweiflung kommen Worte über die Lippen, die Sie vielleicht einen Tag später nicht mehr sagen würden.»

Wenn die neue Beziehung andauert, ist das eine andere Situation. Jetzt gibt es plötzlich eine Dritte oder einen Dritten im Bund. So oder so: Es stellen sich Fragen zur Zukunft.

Fremdgehen hat eine Geschichte


Wenn jemand fremdgeht, kommt das oft nicht «über Nacht»! Vielleicht vermisst der eine Partner für ihn oder sie Wichtiges in der Beziehung. Trotzdem heisst das nicht, dass das ein Freipass fürs Fremdgehen ist – ganz im Gegenteil! Wer sich in der Ehe nicht mehr verstanden fühlt und etwas vermisst, muss das Gespräch suchen. Fremdgehen ist ein feiger Weg. Sehr oft passen die sexuellen Wünsche der beiden Partner nicht (mehr) zueinander. Während der eine Partner mehrmals in der Woche Sex wünscht, sieht das der andere Teil anders: Ihr oder ihm würde einmal wöchentlich oder noch weniger genügen. Dasselbe gilt für die Wünsche: Während die eine Seite eher an Kuschelsex denkt, wünscht sich das Gegenüber leidenschaftlichen Sex mit unterschiedlichen Praktiken.

Der alte Spruch: In Sachen Sexualität ist Schweigen Silber und Reden Gold, hat Gültigkeit. Nur wer über die unterschiedlichen Wünsche in Sachen Sexualität und Häufigkeit spricht, hat die Chance, eine für beide Seite befriedigende Situation zu erreichen.


Antworten auf schwierige Fragen finden


Wenn eine Affäre vorüber ist oder andauert, muss über mögliche weitere Wege nachgedacht werden. Wichtig ist zu versuchen, sich in den Partner einzufühlen. Für die betrogene Person ist eine Welt zusammengebrochen. Für sie war die Treue in der Beziehung eine der wichtigsten Grundlagen – und jetzt fehlt genau diese. Das hat ihr «den Boden unter den Füssen weggezogen». Zudem stellt sich erfahrungsgemäss jeder betrogene Mann und jede betrogene Frau die Frage: Wieso ist er oder sie fremdgegangen? Was hat die oder der Andere, das ich nicht habe? Was macht der oder die Andere besser? Ist es die Schönheit, ist es besserer Sex – oder was?

Diese Fragen schmerzen riesig. Da gibt es nur eine Lösung: Das Gespräch miteinander suchen. Nicht «in der Hitze des Gefechts» aber kurze Zeit später sollte über mögliche weitere Wege nachgedacht werden.

Können wir gemeinsam weitergehen? Steht die Aussenbeziehung weiterhin im Wege oder kann der betrogene Partner nicht verzeihen? Diese Fragen stehen im Raum. Die Beantwortung muss letztendlich das Paar selber vornehmen – doch ist es sehr oft sinnvoll, eine Fachperson beizuziehen. Das kann eine Mediatorin oder ein Paartherapeut sein. Die Erfahrung zeigt, dass mit einer neutralen beziehungsweise allparteilichen Drittperson sehr oft bessere Gespräche geführt werden können.

Ohne Verzeihen geht nichts mehr


Ohne ehrliche und saubere Klärung der Hintergründe des Fremdgehens wird ein Scherbenhaufen zurückbleiben. Konnten die Hintergründe aber geklärt werden, beginnt die eigentliche Arbeit: die Veränderung. Das Besprochene muss in die Tat umgesetzt werden – ohne Wenn und Aber. Hinter vielen schwerwiegenden Paarkonflikten steht ein Generationenkonflikt. Das heisst konsequenterweise, dass beispielsweise auch die Wohnsituation unter die Lupe genommen werden muss oder dass an der Beziehung zwischen den Generationen gearbeitet werden muss. Sicher ist, dass der künftige gemeinsame Weg nur vielversprechend sein kann, wenn keine Tabus mehr vorliegen und die kritischen Punkte angegangen werden.

Um das Vorhaben eines Neustarts gelingen zu lassen, muss der betrogene Partner verzeihen wollen. Konkret heisst das, dass weitere Vorwürfe bezüglich des Seitensprungs fehl am Platz sind. Damit das möglich ist, muss der andere Partner alles unternehmen, damit das verlorene Vertrauen in ihn wieder wachsen kann.

Agnes Schneider Wermelinger