Während der Hochblüte des Glarner Stoffdrucks, von 1860 bis 1900, gehörte es zum guten Ton, dass die Herren schnupften. Um sich die Hände beim anschliessenden Naseputzen nicht schmutzig zu machen, benutzten sie Glarner Tüechli.
«Diese mussten farb- und kochecht sein. Die hohen Anforderungen an die Farben erfüllten zu jener Zeit krapprot und indigoblau», betont der pensionierte, aber noch sehr aktive Firmeninhaber Edwin Hauser, der zusammen mit seiner Tochter Susanne ein eingespieltes Team bildet.
Profitiert vom Wissen des Vaters
«Wir ergänzen uns perfekt. Seine wertvolle Erfahrung und sein profundes Wissen kommen mir täglich zu Gute», betont Susanne Hauser. Als Mitglied der Geschäftsleitung führt sie zunehmend die Geschicke des Unternehmens.
Dabei scheut sich die Allrounderin nicht, überall mit anzupacken. Das geht von der Lagerbewirtschaftung über die Administration bis hin zum Organisieren und dem Besuch von Fachmessen. «Weil ich von A bis Z alles machen kann, lassen sich viele Ideen verwirklichen. Natürlich machen wir einige Dinge anders, als anno dazumal», meint sie lächelnd.
Seit 222 Jahren
Begonnen hat die Firmengeschichte 1792 mit der Druckerei Jenny & Blumer in Schwanden GL. Deren Handelshaus in Ancona, Italien, befuhr mit zwei eigenen Schiffen die Weltmeere, als der Handel mit bedruckten Stoffen zusehends florierte.
Als Tochterunternehmen wurde 1828 die Druckerei Blumer & Cie. mit rund
650 Beschäftigten gegründet. Damals war Glarus als Textilland bekannt. Praktisch in jedem Dorf entlang der Linth gab es Textilfabriken oder -druckereien. Um die oft schlechten Arbeitsbedingungen zu regeln, wurde 1864 das erste Fabrikgesetz der Schweiz eingeführt.
Exportauftrag an ein Indianerreservat
Wie aus dem Firmenarchiv hervorgeht, lieferte die Druckerei Blumer ihren ersten Exportauftrag an ein Indianerreservat in Albuquerque im US-Bundesstaat New Mexiko: Fransentücher, 150 mal 150 Zentimeter, bedruckt mit farbenprächtigen Rosen wurden nach Übersee verschifft. In New Mexico ist Wüstenland.
Als mit Iran, Afghanistan und Libanon drei wichtige Exportmärkte geschlossen wurden, stellte Blumer 1979 die Produktion ein, blieb jedoch als Handelshaus bestehen und wurde 1993 von Edwin Hauser übernommen.
Die Liebe zum Stoff wurde dem ausgebildeten Schneidermeister und Kaufmann von seinen Eltern weitergegeben, die eine Massschneiderei geführt hatten. Inzwischen ist auch Susanne Hauser seit über 20 Jahren mit dem Unternehmen verbunden, das 2011 vom Standort Schwanden nach Niederurnen umgezogen ist.
Glarner Kulturgut
Das klassische Glarner Tüechli ist nach wie vor türkischrot; aber inzwischen liegt ein attraktives Sortiment von 36 Farben vor. Die Bezeichnung türkischrot oder Türkenkappen rührt daher, weil die roten Kaschmirtücher überwiegend in der Türkei, im Libanon, in Persien und Afghanistan abgesetzt wurden.
Das typische Dessin erinnert an Tränen oder Tropfen, symbolisiert jedoch eine «Palmette» aus Indien. Doch wie gelangten dieses eingerollte Palmenblatt und die orientalische Bordüre ausgerechnet auf ein Glarner Tüechli?
Fabrikherr Conrad Blumer machte 1843 eine beschwerliche Geschäftsreise nach Fernost und als er eineinhalb Jahre später zurückkehrte, hatte er verschiedene Dessins aus Indien und Indonesien im Gepäck. Das eingerollte Palmenblatt erfreut sich seither grosser Beliebtheit und ist auch als Paisley-Muster bekannt.
Weitere Dessins ist der Lebensbaum aus arabischen Ländern, sehr gefragt ist das «Katzenpfötli», ebenso folkloristische Motive mit Kühen, Ziegen oder Edelweiss.
Aufwendiger Arbeitsprozess
Der Arbeitsprozess eines Glarner Tüechlis ist aufwendig: Noch heute wird der gleiche Faden wie vor hundert Jahren verwendet. Gewoben wird der Stoff bei der Firma Jenny in Haslen, dann wird der rohe Stoff gebleicht und kommt in die Druckerei in Mitlödi.
«Die Endkontrolle geschieht dann im eigenen Haus. Lediglich das Säumen der Tücher wird ausserhalb des Kantons Glarus vollzogen», betont Susanne Hauser. So bügelt sie trotz Führungsfunktionen schon mal ein Glarner Tüechli oder wirft ein prüfendes Auge auf die Etikettierungen. Ursprünglich hat sie die Handelsschule abgeschlossen und auf einer Bank gearbeitet.
Modisches Accessoire
Das Glarner Tüechli entwickelte sich vom Schnupftuch zum modischen Accessoire. Wanderer und Skifahrer schätzen das bunte Tüechli ebenso wie trendbewusste Menschen. Im Kanton Glarus erhält jeder Neuzuzüger ein Glarner Tüechli als Begrüssungsgeschenk.
«Der Name hat sich schweizweit etabliert. Leider kommen immer wieder billige Kopien aus China auf den Markt. In unseren Original-Tüechli ist eine Jaquard-Etikette ‹Glarner Tüechli, Made in Switzerland› eingenäht», erklärt Susanne Hauser.
Pro Jahr werden rund 30 000 Meter Stoff für Glarner Tüechli verarbeitet, also rund 120 000 Exemplare. Zu den Abnehmern gehören Textilfachgeschäfte und Souvenirshops. Ein sehr guter Kunde ist das Schweizer Heimatwerk.
Stoffdruck mit digitalem Druckverfahren
Heute steht Blumer für modernste technologische Trends im Textilbereich. Nach längerem Unterbruch führt die Firma Blumer die 185-jährige Tradition des Stoffdrucks auf digitale Art weiter.
Mit Tintenstrahldruckern wird mit spezieller Farbe auf spezielles Papier gedruckt und die Farbe anschliessend mittels hohem Druck und Hitze in den Stoff verdampft. So werden beispielsweise Multifunktionstücher mit Glarner Tüechli-Musterung bedruckt. Allerdings eignet sich das so genannte Sublimationsverfahren nicht für alle Fasern.
Neue Ideen und Entwicklungen
Inzwischen gestaltet die Firma mit ihrem Dessin auch neue Produkte: Espressotassen, Tortenplatten oder Fondue-Caquelons. Neben den Glarner Tüechli in vielen Dessins und Farben wird im Fabrikladen in Niederurnen ein breites Sortiment angeboten: Bandanas,Wollschals, Seidenfoulards, Meterware und sogar Sonnenschirme mit dem Glarner Tüechli Muster. Dank den schicken Regenschirmen lässt die Firma Blumer auch niemanden im Regen stehen.
Brigitte Meier
Die Firma Blumer im Internet: www.blumer-f.ch
Dieser Artikel erschien im frauenland.