Die Armaturen im Bad wollen von Kalkspuren und das Buffet im Wohnzimmer vom Staub befreit werden. Dann die Böden feucht aufnehmen, Wäsche bügeln, Kinder betreuen, kochen. Häufigkeit und Zeitaufwand für diese Arbeiten variieren, ebenso die Freude, mit der sie verrichtet werden. Denn Freiwilligkeit gilt nicht dafür, zumindest nicht für Andrea Barmettler und Noemi Abegglen. Sie absolvieren beide das Hauswirtschaftsjahr, was ihnen insgesamt viel Spass macht. Für die sich wiederholenden und zum Teil wenig anspruchsvollen Arbeiten haben sie nicht mehr als ein Schulterzucken übrig.
Gefordert sind sie anderweitig. In ihrem Bestreben, selbständig zu werden beispielsweise. Oder dann, wenn sie die Schulbank drücken. Andrea Barmettler und Noemi Abegglen absolvieren das Hauswirtschaftsjahr im Kanton Waadt. Es ist der einzige Kanton in der Schweiz, der dieses klassische Zwischenjahr noch anbietet.
Übers Wochenende geht es in der Regel nach Hause
Dem französischsprachigen Unterricht zu folgen war zu Beginn nicht ganz einfach für die zwei jungen Frauen. Mit ihren Französischkenntnissen aus der obligatorischen Schulzeit verstanden sie hin und wieder nicht viel mehr als die gröbsten Zusammenhänge. Doch sie haben beide schnell und viel dazugelernt. «Am Anfang habe ich wenig gesprochen in der Familie und wenn, dann vor allem mit den Kindern. Ihnen gegenüber hatte ich weniger Hemmungen», erinnert sich Noemi Abegglen.
Sie lebt in einer Familie mit vier Kindern. Deren Eltern arbeiten beide, die Mutter Teilzeit. So ist Noemi Abegglen regelmässig für das jüngste Familienmitglied im Kindergartenalter verantwortlich. Das geniesst sie. Überhaupt gefällt es ihr gut in der Familie. Darauf führt sie auch zurück, dass sie eigentlich nie besonders stark Heimweh hatte. Obwohl für das Hauswirtschaftsjahr grundsätzlich die 5-Tage-Woche gilt, arbeitet sie hin und wieder auch samstags. Dies hauptsächlich, um für den Jüngsten der Familie da zu sein, wenn dessen ältere Schwestern Sport treiben. Den Sonntag verbringt sie dann auch gleich im Waadtland. «Ich bin jeweils eingeladen, an den Aktivitäten der Familie teilzunehmen, muss aber nicht», erzählt sie.
Für Andrea Barmettler hingegen ist es enorm wichtig, dass sie jedes Wochenende nach Hause fahren kann. Jene Male, die das nicht möglich war, weil sie für einen freien Wochentag vorarbeiten musste, hat sie in nicht so guter Erinnerung. «Zwei Wochen haben mich schon eine lange Zeit gedünkt.» Andrea Barmettler lebt in einer Familie, die einen kleinen Landwirtschaftsbetrieb mit Nebenerwerb führt. Abgesehen vom täglichen Misten bei den Ponys arbeitet sie aber ausschliesslich im Haushalt.
In einer Familie mit Kindern und Tieren leben zu können war ihr sehr wichtig. Die beiden Mädchen der Familie sind sieben und neun Jahre alt. Wenn sie ihr tägliches Haushaltsprogramm erledigt hat, darf Andrea Barmettler jeweils mit den Mädchen spielen oder mit ihnen und den Ponys etwas unternehmen. Das geniesst sie sehr. Zumal selbst bei wirklich sorgfältiger Erledigung der Hausarbeit meist noch genügend Zeit dafür bleibt.
Ein anerkanntes Sprachdiplom
Wer das Hauswirtschaftsjahr im Kanton Waadt absolviert, besucht einen Tag pro Woche die Schule. Auf dem Stundenplan stehen Fächer wie Kochen, Ernährungslehre, Nähen, Gesundheit, Allgemeinwissen und Sport. Dazu kommt Französischunterricht, der mit einem anerkannten Sprachdiplom abgeschlossen werden kann. Das ist beiden
jungen Frauen wichtig. Ebenso bewusst haben sie sich für die hauswirtschaftliche Bildung entschieden. Die Alternative wäre ein Aufenthalt als Au-pair gewesen.
Dieser beschränkt sich auf das Arbeiten im Haushalt und Kinderbetreuung sowie das Erlernen der Fremdsprache, wofür pro Woche vier Lektionen Unterricht besucht werden können. Eine weitere Variante ist das Didac-Sprachjahr. Die Kosten für den Aufenthalt in der Gastfamilie sind abhängig von der Anzahl Stunden, die pro Woche im Privathaushalt gearbeitet werden. Je höher die Arbeitszeit, desto geringer jedoch die Anzahl Lektionen Sprachunterricht, die besucht werden können. Die Kosten für den Unterricht fallen zudem separat an. So wird ein Jahr an dieser privatwirtschaftlich geführten Institution schnell eine kostspielige Angelegenheit.
Im Gegensatz dazu werden die Kosten für die Berufsschule des Hauswirtschaftsjahrs bis auf das Schulmaterial vom Kanton Waadt getragen. Und für die Arbeit in der Familie gibt es einen bescheidenen Monatslohn.
Schnuppern bei der Familie der Wahl
Andrea Barmettler und Noemi Abegglen sind seit August 2014 im Waadtland. Sie ziehen beide eine positive Zwischenbilanz. «Ich bin froh, dass ich so gut Französisch lerne, auch wenn ich es anschliessend grad nicht mehr brauche», sagt Andrea Barmettler. Sie beginnt im August eine Lehre als Floristin. Noemi Abegglen weiss noch nicht so genau, wie es bei ihr weitergehen wird. Sie würde gerne Bäcker-Konditorin lernen, hat aber noch keine Lehrstelle. «Falls es nicht klappt, setze ich das Gymnasium fort, an welchem ich vor meinem Welschlandaufenthalt bereits ein Jahr absolviert habe. Aber eigentlich würde ich schon lieber etwas Praktisches machen.»
Ob das Hauswirtschaftsjahr in der Romandie eine gute Erfahrung werden kann, ist ganz entscheidend von der Gastfamilie abhängig, sind sich die beiden jungen Frauen einig. Sie haben beide vorgängig einige Tage bei der Familie ihrer Wahl geschnuppert. Dabei lerne man nicht nur die Familie kennen, sondern erhalte auch einen wertvollen Einblick in die Arbeiten, für welche man dann zuständig sei, sagt Andrea Barmettler. Und auch nicht ganz unwichtig für ein erfolgreiches Jahr: Je besser man schon Französisch könne, desto eher fühle man sich zu Hause in der Fremde.
Esther Zimmermann