Urs Köchli weiss, was es heisst, Tierarzt zu sein. Bereits sein Vater war Tierarzt und eröffnete vor 65 Jahren eine Praxis für Grosstiere mitten in Lyss BE. Später stieg er bei seinem Vater ein und übernahm das Geschäft. Wie es mit seiner geschichtsträchtigen Praxis jedoch nach seiner Pensionierung weitergehen soll, weiss der 63-Jährige noch nicht.
Lange Präsenzzeiten wirken nicht verlockend
«Mein Sohn hat sich noch nicht entschieden, was er studieren will», sagt Urs Köchli. Aber eher nicht Tierarzt, vermutet er. «Kein Wunder» meint er, und fügt schmunzelnd an, «schliesslich hat er miterleben können, was es heisst, Tierarzt zu sein.»
Köchli ist mit Leib und Seele Tierarzt. Mit ein Grund, warum er auch die weniger schönen Seiten nur allzu gut kennt. «Die Präsenzzeit ist enorm. Die Kunden erwarten von ihrem Tierarzt, dass er immer erreichbar ist und in möglichst kurzer Zeit bei ihnen auf dem Hof sein kann», erläutert der Lysser. Das sei eine Herausforderung. Um sich diesbezüglich entlasten zu können, hat er noch eine Tierärztin zu 50 Prozent in seiner Praxis angestellt. «Dann kann ich auch mal frei machen», so Köchli.
Aber nicht nur die Präsenzzeit kann einem Tierarzt zu schaffen machen. «Die Aufzeichnungspflicht und die Kontrollen haben in den vergangenen Jah
ren enorm zugenommen», erläutert er. Deshalb würde auch der
Zeitaufwand für administrative Arbeiten stetig steigen. Das Einkommen aus seiner Praxistätigkeit sei für ihn in Ordnung, man werde nicht reich, könne aber davon gut leben.
Auch Ehe- und Finanzberater
Aber auch auf die schönen Aspekte seines Berufs angesprochen muss Köchli nicht lange überlegen: «Am meisten motiviert mich in meinem Beruf die Dankbarkeit der Kunden.» Die Treue, die sie ihm über all die Jahre bewiesen haben, berührt ihn.
Da er die meisten seiner Kunden seit über 50 Jahren kennt, konnte er langjährige
Beziehungen aufbauen. «Oft bin ich nicht nur Tierarzt, sondern gleichzeitig Ehe- und Finanzberater oder auch Kleinkindererzieher», lacht Köchli.
Neben dem Kontakt zu den Menschen schätzt er die Herausforderung, die der Beruf als Tierarzt mit sich bringt: «Es gibt immer wieder Krankheitsbilder, die ich trotz meinen Erfahrungen, auf den ersten Blick nicht richtig einordnen kann. Das fordert mich geistig und akademisch.»
Ohne Unterstützung der Familie geht es nicht
Die Praxis von Urs Köchli steht im Zentrum von Lyss. «Die Entwicklung von Lyss begann erst mit der Eisenbahn, vorher waren entlang der Aare zahlreiche kleine Bauernbetriebe, die aber mit der Zeit verschwanden», erklärt er die Lage der Praxis. Sein Kundenstamm befindet sich in einem Umkreis von 25 km.
Hauptsächlich pflegt er Rinder, aber auch Schweine. Am meisten behandelt er Probleme bei der Fruchtbarkeit, gefolgt von Problemen mit dem Euter. Die Kälberkrankheiten seien je nach Bestand unterschiedlich. Ebenfalls häufig seien Krankheiten, die den Stoffwechsel beträfen. Zusätzlich in seinem Haus in Lyss hat er noch eine Praxis für Kleintiere. «Das Verhältnis ist ungefähr 85 Prozent Gross-, und 15 Prozent Kleintiere», sagt Köchli.
Das war nicht immer so. Zu Beginn habe man nur Grosstiere und Pferde behandelt. Dann sind die Kleintiere dazugekommen. Eine Zeitlang seien sie sogar drei Tierärzte gewesen.
Neben der angestellten Tierärztin hilft ihm noch seine Frau vor allem in organisatorischen und administrativen Belangen. Ohne das gehe es nicht. «Wenn man den Beruf so wie ich
ausüben will, braucht man die volle Unterstützung der Familie», zeigt er sich überzeugt. Freizeit sei etwas, was er eher weniger kenne. Denn Tierarzt sei kein
Beruf, der am Abend einfach beendet sei. «Tierarzt ist man 365 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag.»
Feminisierung des Berufs ist nicht das Hauptproblem
Noch hat er sich nicht aktiv nach einem Nachfolger umgesehen, aber er kennt von vielen Berufskollegen das Problem und weiss, dass auch er sich demnächst intensiv damit auseinandersetzen muss.
Urs Köchli geht davon aus, dass seine Praxis, so wie sie heute aufgestellt ist, eher schwer zu vermitteln ist. Obwohl die Ausgangslage der Praxis grundsätzlich gut ist: «Ich betreue zwar 50 Prozent weniger Bauernbetriebe als früher, doch die Betriebe sind dafür grösser geworden. Ich habe Kunden verloren, aber verhältnismässig wenig Tiere», erläutert er. Die Grossbetriebe seien zudem intensiver in der Betreuung.
Kein Konkurrenzkampf
Einen Konkurrenzkampf gebe es nicht, so genannte Gebietsrivalitäten kennt er nicht. «Bereits mein Vater hat mit den Tierärzten aus der Umgebung gewisse Grenzen vereinbart», erläutert er. Daran würden sich auch noch heute alle halten. «Mein Nachfolger könnte einen intakten Kundenstamm übernehmen. Und Arbeit hat es genug.» Aber er gehe davon aus, dass eine Praxis in seiner Situation nun umstrukturiert werden müsste.
Dass eine Frau seine Praxis übernehmen wird, hält Köchli für unwahrscheinlich, wenn auch nicht für ausgeschlossen. Die Feminisierung des Tierarztberufs stört ihn nicht. «Die meisten sind sehr gut ausgebildet und motiviert», erzählt er. Aber die körperliche Robustheit könne zu einem Problem werden. Ausserdem dauere das Studium lange, und oft werde unlängst nach dem Abschluss die Familienplanung aktuell.
«Ich glaube, Tierarzt ist ein Modestudium. Wenn man diesen jungen Mädchen zeigen könnte, was auf sie zukommt, würden sie vielleicht früher einen anderen Weg einschlagen», vermutet Köchli.
Gemeinschaftspraxen als Lösung des Problems?
Dass genau der Nutztierbereich nun Schwierigkeiten mit der Nachfolge hat, ist zu einem gewissen Teil paradox, denn schliesslich hätten genau diese das typische Bild des Tierarztes geprägt, analysiert Urs Köchli weiter. Ob Gemeinschaftspraxen die Situation entlasten würden, kann er nicht beurteilen. «Wenn grössere Einheiten geschaffen werden, muss das Gebiet vergrössert werden, es entstehen längere Anfahrtswege und höhere Kosten und die Rentabilität dürfte fallen», erklärt er.
Wie dann die Versorgung mit Nutztierärzten dann in Zukunft sicherstellen? «Ich glaube, der Markt wird das Problem regeln.» Er könne sich auch vorstellen, dass seine Praxis umstrukturiert und der Kleintieranteil erhöht wird. Ausgebildete Tierärzte hätten heute schlicht andere Möglichkeiten, als eine Grosstierpraxis zu übernehmen. Eine Arbeitsstelle mit festem Einkommen und fixen Arbeitszeiten sei für viele verlockender. «Verständlich», meint Köchli.
Julia Schwery
«Die Präsenzzeit ist enorm»
Bald geht Grosstierarzt Urs Köchli aus Lyss BE in Pension. Wer dann seine Praxis übernehmen soll, weiss er noch nicht. Bei den Nutztierärzten mangelt es an Nachwuchs.
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