In der EU tobt ein Verdrängungskampf unter den Zuckerfabriken. Diese bereiten sich auf den Quotenausstieg vor, der Ende September 2017 vollzogen wird. Die Schweizer Zuckerindustrie ist dabei nicht nur Zaungast, sondern mittendrin. Weil nämlich der Zuckerpreis in der Schweiz und in der EU sich um maximal drei Franken je 100 kg unterscheiden dürfen, müssen auch die Pflanzer hierzulande mit ansehen, wie der Zuckerrübenpreis massiv ins Rutschen kommt. Die Zuckerbranche versucht, mit Kostensenkungsmassnahmen die Auswirkungen zu dämpfen, appelliert aber gleichzeitig an den Bund, mehr Unterstützung zu geben.


Zuckerrübenimporte aus Deutschland für Frauenfeld


Weil sich innerhalb der Schweiz die Anbaubereitschaft vom Osten in den Westen verlagert, ist die Zuckerfabrik Frauenfeld gefährdet. Einerseits sinkt die Auslastung, andererseits werden die Transportkosten der Rüben bisher auf alle Rübenproduzenten verteilt.

Um die nötige Fabrikauslastung aufrechtzuerhalten, prüft die Zuckerfabrik nun, ob sie Zuckerrüben aus dem süddeutschen Raum importieren und verarbeiten will. «Die Zuckerfabriken müssen gleichmässig ausgelastet sein, damit die Produktion an beiden Standorten rentabel betrieben werden kann. Und Rüben aus dem Westen nach Frauenfeld zu bringen hat wegen der hohen Transportkosten keinen Sinn», sagt Andreas Blank, Präsident des Verwaltungsrats der Schweizer Zucker AG.

Allerdings finden das Westschweizer Zuckerrübenproduzenten unhaltbar. In einer Resolution haben sie an der letzten Delegiertenversammlung des SVZ am Dienstag den Vorstand aufgefordert, das Projekt umgehend zu stoppen und die Inlandproduktion zu erhöhen. Auch SVZ-Präsident Josef Meyer findet das Projekt riskant, allerdings würde es helfen, die Zuckerfabriken am Markt halten zu können.


Bei den Transportkosten arbeiten die Zuckerfabriken und die Zuckerrübenpflanzer an Vorschlägen für die künftige Kostenaufteilung. Eine Möglichkeit wäre, den Zuckerrübenpreis zu erhöhen und die Transportkosten vollumfänglich den Rübenpflanzern zu überlassen. Davon profitieren würden vor allem Bauern, die nahe um die Fabriken sind und kurze Transport­distanzen haben. Benachteiligt wären Pflanzer, die ihre Rüben weiter transportieren müssen, beispielsweise solche aus Genf.


Insgesamt verspricht man sich von einer effizienteren Trans­port­organisation Kostenersparnisse und damit eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit. Weil die SBB ausserdem Güterwaggons ersetzen müssen, drängt sich gemäss Blank auch die Frage auf, welche Möglichkeiten der Transport auf der Strasse bietet. «Eigentlich wäre der Transport auf der Strasse im Moment günstiger. Nur stossen wir gerade in Aarberg schon heute logistisch an Grenzen. Das ganze Verladesystem auf die Schiene hat noch enormes Sparpotenzial», meint er.  

Grenzschutz soll Zeit verschaffen


Allerdings sind nach Ansicht der Zuckerrübenpflanzer und der Zuckerfabriken diese Massnahmen alleine nicht genug, um die kommenden Jahre zu überstehen. Denn die Schweizer Zuckerbranche steht mit einem Produktionsvolumen von weniger als 300'000 t Zucker als Winzling der europäischen Zuckerbranche gegenüber. Diese pro
duziert mit 15 Mio t jährlich fünfzig Mal mehr Zucker. Für Andreas Blank ist es deshalb unverständlich, warum der Bund nur den Einzelkulturbeitrag erhöhen, nicht aber den Grenzschutz anpassen will. «Unser Markt ist im Kontext der EU unbedeutend, aber für unsere Landwirtschaft und unsere Bauernfamilien ist die Zuckerrübe eine sehr wichtige Kultur. Die EU hat ausserdem einseitig die Spielregeln geändert und behält ihren hohen Zoll», sagt er. Dass mit den Dumpingpreisen die ganze Zuckerbranche gefährdet werde, sei ihm unverständlich.

Weil sich das BLW bisher standhaft gegen die Argumente der Zuckerbranche gewehrt hat, sprang der Bauernverbandsdirektor und Nationalrat Jacques Bourgeois (FDP/FR) in die Bresche. Er reichte vergangenen Herbst eine parlamentarische Initiative ein und fordert darin den Bund auf, die Agrareinfuhrverordnung anzupassen und den Grenzschutz zu erhöhen. Dabei führt er an, dass die EU auf Zucker einen Zoll von 420 Euro/t erhebe. Die Schweiz macht das nicht, obwohl sie das gemäss Bestimmungen der Welthandelsorganisation dürfte.


Zollfreie Importe von EU-Zucker


An dieser Praxis wird sich vorerst auch nichts ändern, wie der BLW-Vizedirektor Dominique Kohli mit Nachdruck festhält: «Bundesrat und Parlament haben nicht die Absicht, den Grenzschutz zu erhöhen.» Die Schweiz sei zusammen mit Japan, Norwegen und Südkorea in der Gruppe der Länder, die ihre Landwirtschaft am stärksten schützen und stützen. Er bezieht sich dabei auf Zahlen der Gesellschaft für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) und fügt an, dass es ein strategischer Fehler wäre, die Einfuhrzölle für Zucker zu erhöhen.

Tatsächlich sind die Zölle nicht so relevant. Denn diese gelten nur für den Import von Weisszucker. Weil der Schweizer Zucker  vorwiegend in verarbeiteter Form –beispielsweise als Süssgetränk – in die EU exportiert wird, fallen die Exporte nicht unter den von Jacques Bourgeois angeführten Zollansatz. Hinzu kommt gemäss Kohli, dass die Zollerhöhung für «die Landwirtschaft, die stark von den Zuckerlieferungen für die Schweizer Lebensmittelindustrie abhängig ist, sicher kontraproduktiv ist». Die Zuckerimporte aus der EU bleiben aber dennoch ein Problem für die Pflanzer.

Die Nahrungsmittelindustrie will nicht mithelfen

«Für die Nahrungsmittelindustrie ist es entscheidend, dass der Schweizer Zucker zu europäischen Preisen verfügbar ist», sagt Urs Reinhard, Co-Geschäftsführer der Föderation der Schweizer Nahrungsmittelindustrien (Fial). Der Zusammenschluss verschiedener Lebensmittelindustrieverbände plädiert regelmässig für eine wettbewerbsorientierte Landwirtschaft. «Den Ausbau von Massnahmen, die zu mehr Grenzschutz führen, lehnen wir generell ab. Denn je teurer der Zucker im Vergleich zu den Zuckerpreisen in der EU wird, umso schwieriger sind die Exporte von Produkten, die Schweizer Zucker enthalten.»

Würden also die Bauern das Parlament weichkochen und zu einem Sicherheitsnetz bewegen, würden einzelne Industriebetriebe den Zuckerimport für ihre Verarbeitungsprodukte noch weiter zulasten der Schweizer Zuckerindustrie ausbauen. Weil ausserdem mit dem Wegfall des Schoggigesetzes per Januar 2021 die Preisdifferenzen auch bei verarbeiteten Milch- und Getreideprodukten stärker ins Gewicht fallen, braucht es deshalb auf strategischer Ebene andere Massnahmen als der Ruf nach mehr Grenzschutz.

Urs Reinhard könnte sich dazu eine Segmentierung der Absatzmärkte vorstellen. «Bei den meisten anderen Rohstoffen gibt es unterschiedliche Preise für die Verarbeitungsindustrie und den Detailhandel – nur beim Zucker nicht», sagt er. Wenn es aber gelänge, den Verarbeitern im Zuckerpreis etwas entgegenzu­kommen und gleichzeitig im Detailhandel die Preise um ein paar wenige Rappen zu erhöhen, könnte man damit auch für die Verarbeitungsindustrie einen Anreiz schaffen, Schweizer Zucker einzusetzen. Damit das möglich ist, müssten neben den Zuckerfabriken auch die Detailhändler und letztlich die Konsumenten bereit sein, für Tafelzucker etwas mehr zu bezahlen.

Hansjürg Jäger