Er sorgt für Emotionen, der Wolf. Rund 140 Jahre lang war das Raubtier in der Schweizer Natur nicht mehr anzutreffen. Doch sein Image als Bösewicht und Menschenfresser hat er nicht verloren. Diese Rolle besetzt der Wolf seit weit über 100 Jahren in den Märchen. Warum wohl? Nun, die Erfahrungen, welche die Menschen schon vor Jahrhunderten mit dem Wolf machten, dürften sein Bild entsprechend gezeichnet haben.
Im 16. Jahrhundert war der Wolf noch in der ganzen Schweiz beheimatet. Mit dem Schwinden der Wälder und der natürlichen Beutetiere sowie der Zunahme der Nutztiere verschärfte sich der Konflikt mit den Wölfen. Das Tier wurde im 17. Jahrhundert im Mittelland ausgerottet und in die Alpen verdrängt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es die letzten Wölfe zu beobachten. Wie überall in Europa war der wichtigste Grund für die Ausrottung der Konflikt mit der Nutztierhaltung.
Nun sieht es fast so aus, als ob sich die Geschichte wiederholen könnte. Seit 1995 wandert der Wolf in die Schweiz ein und breitet sich aus. Vor vier Jahren entstand das erste Rudel. Parallel zur Wiederansiedlung des geschützten Raubtiers entstand ein eigentliches Bürokratie-Monster, das mit der honorigen Begründung der Artenvielfalt ziemlich unverhältnismässig ein Ziel verfolgt: Der Wolf hat Platz in der Schweiz, egal was es kostet.
Der Wolf mutierte also zum eigentlichen Arbeitgeber. Unzählige Politiker, Beamte und Vertreter von Umwelt- und Naturschutzorganisationen beschäftigen sich seit bald 20 Jahren intensivst damit, wie sie dem Wolf in der Schweiz ein angenehmes Leben bereiten könnten.
2004 verfasste das Bundesamt für Umwelt (Bafu) erstmals ein «Konzept Wolf Schweiz», das eine einheitliche Vollzugspraxis fördern soll. Das Bafu hat gemäss eidgenössischem Jagdgesetz die Oberaufsicht im Wolfsmanagement.
Wer sich die aktuelle Version dieses Wolfskonzepts zu Gemüte führt, wird den Eindruck nicht los, dass hier staatlich besoldete Gutmenschen in Nostalgie schwelgen und alte Zeiten aufleben lassen möchten. Und dies notabene mehrheitlich auf Kosten der Landwirtschaft und der Bergbevöl-
kerung, die dafür sorgen, dass die Randregionen weiterhin besiedelt bleiben. Es ist relativ einfach, vom städtischen Bürotisch aus Massnahmen niederzuschreiben, die dann in der freien Wildnis oben in den Alpen umzusetzen sind.
Mit dem Auftreten der Wolfsrudel taugen die bisherigen Rezepte kaum mehr und sind deshalb zu überarbeiten. Es sieht derzeit so aus, als ob erneut Bewegung in die Sache käme – einmal mehr angestossen auf der politischen Ebene. Die vom Parlament angenommene Motion Engler «Zusammenleben von Wolf und Bergbevölkerung» verlangt eine Revision des Jagdgesetzes, damit zukünftig Wolfsbestände innerhalb des Rahmens der Berner Konvention regulierbar sind.
Dass vom Wolf gerissene Schafe Emotionen auslösen, ist menschlich und verständlich, auch wenn Schafe «nur» Nutztiere sind. Dieser Tatsache ist künftig mehr Gewicht beizumessen, nicht zuletzt auch von Naturschutzorganisationen. So stellt etwa der WWF die jährlich durch Abstürze und Unfälle verendeten 4200 Schafe salopp den 100 bis 350 vom Wolf gerissenen Tieren gegenüber, obwohl dies überhaupt nichts miteinander zu tun hat. Das ist nur dümmliche Stimmungsmache. Denn schon vor der Rückkehr des Wolfes sind in den Bergen Nutztiere abgestürzt – allenfalls gar weniger. Das dürfte leider auch künftig vorkommen. Es ist schlicht nicht praktikabel, jede Alp rundherum einzuzäunen.
Und da nun stets mehr Wölfe unterwegs sind, braucht es auch immer mehr Herdenschutzhunde und -massnahmen. Es ist nicht auszudenken, wie beispielsweise Hundebesitzerinnen am Zürichberg reagierten, wenn sie morgens vor der Haustüre ihr Schosshündli in gerissenem Zustand noch leicht zuckend vorfinden würden.
Richtig, der Wolf, der aus dem nahen Wald kam, würde gemäss Wolfskonzept abgeschossen. Jener Wolf, der in der Nähe einer Siedlung ein Nutztier in einer Situation mit Herdenschutz reisst, erfährt bloss eine verstärkte Überwachung.
Ob der Wolf weiss, was er reisst? Kaum. Es geht also darum, die Akzeptanz bei der betroffenen Bevölkerung zu verbessern. Dies dürfte nur gelingen, wenn künftig die Interessen der Landwirtschaft und des Tourismus sowie die öffentliche Sicherheit auf dieselbe Stufe gestellt werden wie der Schutz des Wolfes und die Artenvielfalt. Eigentlich (fast) ein Ding der Unmöglichkeit. Sicher ist nur, dass der Wolf weiterhin für Emotionen sorgt.
Alois Heinzer