Da kann man nur den Hut ziehen: Seit nicht weniger als 24 Jahren laden Hunderte von Schweizer Landwirtschaftsbetrieben die Bevölkerung am Nationalfeiertag zum gemeinsamen üppigen Frühstück. Der
1.-August-Brunch ist aus dem kulinarischen Jahreskalender nicht mehr wegzudenken.
Rund 150 000 Personen lassen sich an der Scholle jeweils mit allem verköstigen, was die Höfe hergeben: Rösti aus Pfannen so gross wie Traktorräder, Eier in allen Formen, tonnenweise Brot, Zöpfe und anderes Gebäck, reich bestückte Käseplatten, Charcuterie vom Feinsten, Konfitüre aus der Ernte von ganzen Hochstammanlagen und Honig eines stattlichen Bienenvölkerbunds, um nur einen kleinen Ausschnitt aus den Sortimenten der rührigen Anbieter zu nennen.
Das alles gibt es inklusive Kaffee, Milch und Tee à discrétion zu Preisen, die an längst vergangene Zeiten der Schweizer Gastronomie erinnern. Keine der Bauernfamilien wird mit dem Grosszmorge reich. Das heisst aber nicht, dass es sich beim Brunch um eine uneigennützige Wohltat zugunsten der nicht-bäuerlichen Bevölkerung handelt. Der Anlass hat schon manch einer Kundenbeziehung zwischen Land und Stadt Gevatter gestanden. Der Brunch ist ein ideales Forum, um engere Bande zwischen Produzenten und Konsumenten entstehen zu lassen. Dabei handelt es sich um eine der wichtigsten Aufgaben für die Landwirtschaft in den kommenden Jahren, will man die Marktdominanz von Verarbeitern und Detailhändlern einigermassen eindämmen.
Das ans Schlaraffenland gemahnende Angebot auf den Höfen stammt in den meisten Fällen aus eigener Produktion oder von benachbarten Betrieben. Regionaler könnte das Füllhorn kaum sein, damit hat der Brunch lange vor dem herrschenden Boom für Regionalvermarktung ein Schaufenster für diesen Trend geschaffen. Die Brunch-Betriebe dokumentieren so, dass die regionalen Eier nicht im Keller von Coop gelegt und die lokalen Kartoffeln nicht auf dem Migros-Parkplatz geerntet werden. Das ist wichtiger Anschauungsunterricht für den wohl wichtigsten Schatz der Landwirtschaft heute: die Kunden mit Verständnis für die Nöte und Bedürfnisse des Primärsektors.
Beeindruckend ist der Brunch auch als Demonstration der Solidarität zwischen den Landwirten, Bäuerinnen und den ihnen zugewandten Orte. Ohne die Hilfe von zahllosen freiwilligen Helfern wäre der Grossanlass Brunch für die allermeisten Betriebe nicht zu meistern. Die Heinzelmännchen hinter und vor den Kulissen erwarten in den meisten Fällen keine Entlöhnung, sondern lassen sich ihre Fronarbeit gerne mit Naturalien abgelten. Diese bargeldlose Entschädigung ist zwar auch nicht gratis, aber sie hilft Beziehungen zu knüpfen, in denen alle Beteiligten ihre Stärken einbringen können.
Dies alles sind ermutigende Umstände, welche zeigen, wie viel positive Energie in dieser Branche steckt. Gleichzeitig zeigt der Brunch aber auch Grenzen auf. Ein Bauernhof ist kein Gasthof, die Organisation eines Anlasses mit durchschnittlich über 400 verpflegten Personen auf jedem der gut 350 Höfe ist ein Kraftakt sondergleichen, den nur wenige Betriebe mehr als einmal jährlich zu stemmen vermögen, dies unterstreicht auch die seit Jahren stagnierende Zahl der Brunch-Betriebe.
Es gibt zwar mittlerweile viele Landwirtschaftsbetriebe, welche erfolgreich Besenbeizen betreiben. Damit eine Gastwirtschaft aber zu einem tragenden Standbein für einen Hof werden kann, braucht es Ressourcen, die in einer Landwirtschaft unter hohem ökonomischem Druck nicht einfach zu generieren sind. Vor diesem Hintergrund ist die jüngst neu lancierte Polemik des Gewerbes gegen die angeblichen Privilegien der Bauern nicht nachvollziehbar. Schade, dass man die Landwirtschaft zumindest an der Verbandsspitze nicht als das akzeptieren kann, was sie ist, nämlich eine interessante Ergänzung des Angebots und Lieferantin von regionalen Top-Produkten.