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Ein halbes Dutzend Cars stehen da, das Feld daneben füllt sich mit immer mehr Autos. Eine Menschenschlange wälzt sich hügelaufwärts in einen schönen Herbstsonnenuntergang hinein. Weniger schön ist der Grund, warum die schätzungsweise 2500 Menschen am Mittwochabend auf ein Feld bei Kirchberg BE strömen. Sie sehen den Zuckerrübenanbau in der Schweiz gefährdet – und demonstrieren für dessen Rettung.

Als lebendes Transparent unterwegs ist Ursula Hofmann aus Nods BE. «Ich bin da, weil die Bauern heuer angeblich mehr verdient haben sollen. Das erlebe ich ganz anders», sagt Hofmann, die aus einer Bauernfamilie stammt. «Ich bin nicht einverstanden damit, was wir Konsumenten für die Produkte bezahlen und was die Produzenten dafür erhalten.»


«Nach dem Lesen des Vertrags bin ich explodiert»


Den rund 6000 Rübenflanzern in der Schweiz gibt Fritz Lehmann aus Bellach SO eine Stimme. Seit 35 Jahren baut der Landwirt und SVP-Kantonsrat Rüben an. Jetzt haben die Übernahmebedingungen für ihn das Fass zum Überlaufen gebracht: «Beim Lesen des Anbauvertrags 2016 habe ich erst im dritten Anlauf begriffen, dass dieser Preis ernst gemeint sein soll. Danach bin ich explodiert!», ruft er ins Mikrofon. Mittlerweile müsse man sich sogar an besten Ackerbaustandorten überlegen, ob man dort nicht lieber Ökoelemente mache. «Diese Agrarpolitik macht den Rübenanbau kaputt!», redet sich Lehmann in Rage.

Einen minimalen Grenzschutz einführen


An der Grosskundgebung präsentierten die Pflanzer auch ihre Forderungen an die Politik. «Die Priorität muss ein vernünftiger Rübenpreis sein», hält Martin Rufer, Leiter Departement Produktion, Märkte und Ökologie beim Schweizer Bauernverband (SBV), in seiner Rede fest. Die Schiene zuckerrübenspezifischer Direktzahlungen sei gefährlich: «Wir dürfen diese nicht weiter erhöhen, das erhöht die Abhängigkeit von der Politik. Stattdessen müssen wir die Marktordnung ändern!»

Die heutige Marktordnung von 2005 funktioniere nicht mehr. Damals wurde im Rahmen von bilateralen Verträgen mit der EU eine sogenannte Doppelnulllösung ausgehandelt und gleichzeitig der Schweizer Rübenpreis an den EU-Preis angebunden. Die EU wird 2017 aus der Zuckerquote aussteigen. Gleichzeitig habe sie beschlossen, so Rufer, dass es keinen Exportbeschränkungen mehr gebe. Die EU-Zuckerbranche bereite sich nun auf diesen Aussteig vor. «Weil wir diesen Freihandel im Bereich Zucker haben, strömt nun billiger Exportzucker in die Schweiz und drückt unsere Preise.» Auch die Wechselkurssituation habe den Druck auf den Preis erhöht. 2005 lag der Wechselkurs zum Euro bei 1,60 Franken. Heute schlage die Frankenaufwertung voll durch.


«Es ist daher nötig, wieder einen minimalen Grenzschutz für Zucker einzuführen», appelliert Martin Rufer an die Politik. Ideal wäre laut dem SBV ein Schwellenpreissystem wie beim Futtergetreide. «Der Bund versteckt sich gerne hinter den internationalen Verpflichtungen. Beim Zucker funktioniert diese Ausrede allerdings nicht», hält Rufer fest. Die Schweiz dürfe einen Zoll einführen. «Wir haben in der WTO einen Zuckerzoll von 610 Franken pro Tonne ratifiziert. Unser Vorschlag ist auch vereinbar mit den Verträgen der EU.» Schliesslich habe gar die EU selbst einen Grenzschutz.

Für Rufer ist klar: «Der Bundesrat und das Bundesamt für Landwirtschaft könnten ganz einfach bereits morgen über eine Verordnungsänderung handeln.» Nationalrat und SBV-Direktor Jacques Bourgeois , welcher ebenfalls an der Demo referierte, hat zum Zuckermarkt eine parlamentarische Initiative eingereicht.

Skepsis beim Bundesamt für Landwirtschaft

Dem Vorschlag der Pflanzer steht das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) allerdings skeptisch gegenüber: «Wir sind der Meinung, dass diese Forderung wirtschaftlich gesehen zurzeit nicht umgesetzt werden kann», so BLW-Mediensprecher Jürg Jordi am Mittwoch in der SRF-Sendung «Schweiz aktuell». Die Lebensmittelverarbeiter seien auf wettbewerbsfähige Preise angewiesen, sagte er weiter.

Für die Pflanzer ist jetzt aber bereits 5 vor 12: Die Produzentenpreise seien um 30 Prozent eingebrochen, schlug Josef Meyer, Präsident des Schweizerischen Verbands der Zuckerrübenpflanzer, Alarm. «Wenn wir die Zuckerproduktion jetzt aufgeben, wird in Zukunft nie mehr eine Rübe auf hiesigen Feldern wachsen.» Am Schluss appellierten Meyer und die Organisatoren der Demo an die Zuckerrübenpflanzer, durchzuhalten und noch nicht aus der Produktion auszusteigen.

Jeanne Woodtli