Anfang Jahr hatte sich der Bundesrat zum Ziel gesetzt, die bereits seit gut drei Jahren laufenden Verhandlungen zum Rahmenabkommen in der zweiten Jahreshälfte 2017 endlich abzuschliessen.

Dieses Abkommen soll gemäss Bund «eine einheitlichere und effizientere Anwendung bestehender und zukünftiger Verträge im Marktzugangsbereich gewährleisten».

Dazu gehört ein Streitbeilegungsmechanismus, der im Streitfall aktiviert werden kann. Die dabei vorgesehene Rolle des EU-Gerichtshofes (EuGH) sorgt jedoch in der Schweiz für rote Köpfe.

Inhalt ist das primäre Ziel

Eine Unterzeichnung in der zweiten Jahreshälfte sei auch weiterhin das Ziel, versicherte Aussenminister Didier Burkhalter im Juni vor den Medien. «Aber was noch wichtiger ist als dieses Ziel, ist der Inhalt», relativierte er das einstig ambitionierte Vorhaben.

Der Bundesrat wolle nicht «unter allen Umständen dieses Jahr» noch unterschreiben.

Doch wie viel Zeit Bern für die Verhandlungen mit der EU wirklich noch bleibt, ist ungewiss. Denn möglicherweise macht der Brexit dem Bundesrat einen Strich durch die Rechnung.

Verhandlungen könnten auf Eis gelegt werden

Laufen die Verhandlungen der EU mit dem Vereinigten Königreich nämlich so richtig auf Hochtouren, könnte die EU-Kommission die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der Schweiz auf Eis legen.

Denn alles, was ein künftiges bilaterales Abkommen mit Grossbritannien präjudizieren könnte, dürfte Brüssel vermeiden wollen.

Diese Erfahrung musste die Schweiz schon einmal machen – bei den Gesprächen mit der EU über die Anpassung des Freizügigkeitsabkommens als Folge der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative.

Gespräche kurzfristig ausgesetzt

Im Frühling letzten Jahres – vor der Brexit-Abstimmung im Vereinigten Königreich, wo kontrovers über die Personenfreizügigkeit diskutiert worden war – setzte Brüssel die Gespräche mit Bern kurzerhand aus.

Ob es erneut so weit kommen wird, ist aus heutiger nicht absehbar. Ausserdem ist noch völlig unklar, ob es am Schluss zu einem «harten» oder einem «weichen» Brexit kommen und wie ein künftiges Abkommen zwischen der EU und Grossbritannien aussehen wird. Alles Faktoren, die sich auf das Verhältnis Schweiz-EU auswirken können.

Blaupause für Schweiz

Trotz der vielen Unbekannten ist eines aber jetzt schon sicher: Für das Vereinigte Königreich wird es keinen bilateralen Weg à la Schweiz geben. Das hat die EU bereits explizit ausgeschlossen. Verstärkung für Bern aus London dürfte es damit also nicht geben.

In ihren Leitlinien zu den Brexit-Verhandlungen schreiben die EU-Staaten nämlich: Ein neues Freihandelsabkommen könne nicht «auf eine Teilnahme am Binnenmarkt oder an Teilen davon herauslaufen».

Und weiter unten steht: «Die künftige Partnerschaft muss einen geeigneten Durchsetzungs- und Streitschlichtungsmechansimus einschliessen (...).»

Bald sollen erste Gespräche beginnen

Laut Brexit-Fahrplan sollen Brüssel und London bereits im Herbst erste Gespräche über ein künftiges Abkommen führen. Der Fahrplan gilt aber als äusserst ambitioniert, und es ist fraglich, ob die Austrittsverhandlungen dann schon so weit fortgeschritten sind, dass die EU bereit ist, mit London über die Zukunft zu reden.

Doch haben sich die beiden dereinst auf einen Streitbeilegungsmechanismus geeinigt, könnte dieser als Blaupause für das Schweizer Rahmenabkommen dienen – falls Bern noch keine eigenständige Lösung mit der EU ausgehandelt hat. Für die EU wäre das jedenfalls bequem: ein Mechanismus für zwei Drittstaaten.

Zeit arbeitet gegen die Schweiz

Kritiker des Rahmenabkommens lehnen sich zurück und argumentieren, ein solches Abkommen sei für die Schweiz sowieso nicht nötig.

Denn so lange sie kein neues Marktzugangsabkommen für die EU wolle, brauche sie auch kein Rahmenabkommen. Was aktuell auch stimmen dürfte. Denn es gibt kaum politischen Druck aus der Wirtschaft für ein solch neues Abkommen. Doch die Zeit arbeitet für die EU.

Denn die Integration des EU-Binnenmarkts schreitet voran. Gut möglich, dass sich die Schweiz eines Tages in der Situation wiederfindet, wo ein neues Markzugangsabkommen essenziell für ihre Wirtschaft sein wird, damit die Geschäfte wie bisher weitergeführt werden können.

54 Prozent der Exporte landen im EU-Raum

Denn noch immer ist die EU «für die Schweiz die mit Abstand wichtigste Handelspartnerin», schreibt der Bund auf seiner Website. 2016 gingen 54 Prozent der Schweizer Exporte in die EU, während 72 Prozent der Schweizer Importe aus der EU stammen.

Ist es dereinst so weit, dann wird sich Bern – anders als jetzt – als Bittstellerin an Brüssel wenden. Verhandeln soll man aber besser aus einer Position der Stärke.

sda