"Als Landwirt ist man sein eigener Chef." Diesen Satz sagen viele, die den Beruf erlernen. Sie freuen sich darauf, jenseits von Büroalltag und immer gleichen Fabrikarbeitsplätzen selbst bestimmen zu können, wann sie was tun und lassen. Auch gestandene Bauern lieben die Freiheit ihres Berufes, die Arbeit in und mit der Natur, die Arbeit mit den Tieren, überhaupt die praktische und handfeste Arbeit.

Führungstheorien, das ist aus ihrer Sicht vor allem etwas für gestresste Manager, die in ihrem Büroalltag oder in der Fabrik sich selbst zu wichtig nehmen und gleichzeitig die Arbeit verbürokratisieren. Nein, Führungstheorien, das ist nichts für den Landwirt von heute. Ganz so einfach ist es nicht, denn während in grossen Hierarchiestrukturen von Konzernen zwischen Führungspersonen und arbeitsausführenden Menschen unterschieden werden kann, ist das auf einem klassischen bäuerlichen Familienbetrieb weder möglich noch gewünscht.

Ein "richtiger" Bauer ist zusammen mit seiner Familie sein eigener Chef, sein eigener Angestellter, sein eigener Knecht und ab und zu sogar der eigene Lehrling. Er muss alles machen, die schönen Arbeiten. Und die weniger schönen. Er ist in der Lage, ein neues Konzept für den Betriebszweig zu entwerfen und wintert jeden Herbst die Maschinen selbst ein. Er handelt manchmal die Abnahmeverträge aus, nur um dann wieder morgens und abends im Stall zu stehen und selbst zu melken.

Bauern sind auch Manager, einfach in Gummistiefeln

Der Landwirt plant und organisiert so seine Arbeit. Nutzt praktische und konzeptionelle Fähigkeiten. Tagtäglich wird er mit Führungsaufgaben konfrontiert, tagtäglich wendet er Führungstheorien an. Vielleicht sagt man dem "Chef-sein" anders, oder nimmt gar nicht zur Kenntnis, dass man führt, weil man statt Massanzug Gummistiefel trägt.

Und das hat einen einfachen Grund: "Auf dem Bauernhof stehen das gemeinsame Wirtschaften, das Zusammenleben und -arbeiten als Familie im Vordergrund", sagt Hermine Hascher von der Agridea. Sie leitet den Bereich Unternehmen und Familie und sagt, dass auf jedem Betrieb die Ausgangslage für erfolgreiche Führung anders ist. Aber der bäuerliche Familienbetrieb ist nach wie vor die Regel.

Familien treffen strategische Entscheidungen

Wie Patrizia Schwegler nämlich ergänzt, sind über 90 Prozent der Bauernhöfe in der Schweiz nach wie vor Familienbetriebe. Schwegler arbeitet im Team von Hascher und betreut die verschiedenen Planungshilfen der Agridea. Dazu gehören zum Beispiel das BET-VOR oder das Paracalc.

Schwegler kennt die Verflechtungen von Familienleben und den Tätigkeiten auf dem landwirtschaftlichen Betrieb aus eigener Erfahrung. "Die Familie trifft die strategischen Entscheide", sagt sie. Während in einem Konzern meistens der Chef entscheidet, ist es in Familienbetrieben weniger klar, wer letztlich die Entscheidung trifft.

Allerdings ist es in den häufigsten Fällen klar, wer die Entscheidung umsetzen muss: Die Familienmitglieder. Wie Schwegler sagt, verrichtet nämlich die Familie den grössten Teil der Arbeit selbst. Der bäuerliche Familienbetrieb funktioniert  soweit gleich wie die Bäckerei ums Eck oder der  Schreiner. Auch dort ist es die Familie, die meistens die Arbeitskraft bereitstellt, die Entscheidungen gemeinsam trifft, zusammen das Geschäft entwickelt.

Der bäuerliche Familienbetrieb ist aber anders

Allerdings gibt es zwei wesentliche Unterschiede zwischen einem Familienbetrieb eines Handwerkers und einem landwirtschaftlichen Familienbetrieb. Zuerst ist da die starke Zusammenarbeit mit und Abhängigkeit von der Natur.

"Als Betriebsleiter eines landwirtschaftlichen Betriebes ist man von der Vegetation und der Witterung abhängig", sagt Schwegler. Für die Führung und die Planung heisst das: flexibel bleiben. Das Wetter sorgt regelmässig für Überraschungen. In der Betriebsplanung ist es deshalb sinnvoll - nicht nur auf die Witterung bezogen-  in Varianten oder Szenarien zu denken. Damit kann man flexibel bleiben, hat aber gleichzeitig die Gewissheit, dass man die Betriebsziele erreichen kann.

Schwegler erklärt, dass ein Landwirt auch für gepflegte Landschaften verantwortlich ist, die ein wichtiges Element für den Tourismus seien. "Ein blühendes Rapsfeld oder eine schöne, extensive Wiese als sogenannt positiver externer Effekt für die erfreuten Spaziergänger ist ein öffentliches Gut", sagt Schwegler. Sie meint damit eine Art Nebenprodukte der "klassischen" landwirtschaftlichen Produktion von privaten Gütern.  Mit Direktzahlungen wird ein Anreiz geschaffen, mehr solche öffentliche Güter wie Blumenwiesen, gepflegte Holzzäune und Brunnen für die Allgemeinheit zu erhalten oder neu zu erstellen.

Jeder Hof braucht Führung

"Das System Familienbetrieb, zusammen mit den Voraussetzungen und den Eigenheiten der Natur und die Bereitstellung von privaten und öffentlichen Gütern ist ein Balanceakt, der nicht einfach so gelingt", sagt Schwegler deshalb. Weil die Ausgangslage mit den Rahmenbedingungen und dem System Familienbetrieb auf jedem Hof komplex ist, braucht es Führung. Es braucht eine Idee, wo man hin möchte.

Es gibt dabei aber nicht einfach ein richtiges Patent, sondern verschiedene Konzepte und Lösungswege. Wie Schwegler sagt, ist dabei der Einklang von Führungspersönlichkeit, Führungskonzept und Führungsstil enorm wichtig. Im Falle von landwirtschaftlichen Familienbetrieben ist die Führungsperson nicht unbedingt nur der Bauer.

Vielmehr kann die Führung auf dem Hof von verschiedenen Personen in verschiedenen Bereichen ausgeführt werden. Als Paar oder Familie sei es wichtig, dass man sich auf die definierten Ziele und eine Strategie abstützen könne. Führung, das heisst auch Sicherheit geben. Und mit gezielten Massnahmen dem Wunschzustand näher zu kommen.

Wie viel Zeit für die Führung aufgewendet werden muss, ist indes abhängig vom Betrieb und der Art der Führung.

In der Theorie spricht man von sechs Führungsaufgaben:

  • Planen
  • Steuern
  • Organisieren
  • Kontrollieren
  • Weiterbilden
  • Rat einholen

Gemäss Agroscope sind jährlich etwa 200 Arbeitsstunden für diese Aufgaben notwendig.

Hansjürg Jäger, lid