«Hüt fahred mer Öbere» wie man im Appenzell sagt. Elf Tage früher als letztes Jahr bringt die Familie Ehrbar aus Herisau AR die Tiere auf die Alp Steinfluh.


Um halb 3 Uhr Morgens stehen Theo Ehrbar und sein 15-jähriger Sohn Thomas nach einer kurzen Nacht auf. Die Kühe müssen noch gemolken werden, bevor die Reise losgeht. Kurz nach vier treffen die Helfer ein.

Dann wird erstmal zusammen gefrühstückt. Silvia Ehrbar tischt selbstgebackenen Zopf, Alpkäse und Speck auf. Dazu gibt’s frische Milch und Kaffee.

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Gelbe Hosen aus Ziegenleder

Die Familie wirft sich in die schönen Appenzeller Trachten. Dabei sind besonders die gelben Hosen bemerkenswert. Aus Ziegenleder und mehrmals eingefärbt, sind sie sehr steif. Das macht das Gehen schon etwas anstrengend, vom Sitzen ganz zu schweigen.

Nur zwei Männer tragen die gelben Lederhosen. Der Sennjunge und der linke der vier Sennen. Jeder, der will, steckt noch ein paar «Gwürzbalche», also Stumpen ein für den Weg.


Ein Naturjodel zum Tagesanbruch


Während die einen noch beim Frühstück weilen, wird draussen schon das Ross vor den Lediwagen gespannt. Die Leitgeiss kriegt eine Schelle umgehängt, und 
die Sennen und der Bauer stellen sich in einen Kreis, um durch Zauren, dem traditionellen Naturjodel, den Tag zu begrüssen. Ein Moment der Besinnung an einem hektischen Morgen.


Dann kommen die drei Sentumschellen zum Einsatz. Sie werden den drei Leitkühen umgeschnallt, und die Geissen werden aus dem Stall gelassen. Nach und nach auch die 20 Milchkühe und die 18 Rinder.


Scheinbar waren die Tiere das lange Warten auch etwas leid, bis sie endlich ab auf die Alp können. Im Schnellzugstempo springen sie los.

Jetzt gilts ernst. Die Tiere dürfen nicht ausser Kontrolle geraten. Viel zu schnell ist ein Unfall passiert. Der Bless «Frisch» gibt den Ton an und hilft mit, die Tiere zu treiben.

Trotz dem Übermut der insgesamt 46 Tiere ist bald ein schönes Sentum gebildet. So nennt sich die Zusammensetzung des Alp­aufzugs.

Jeder hat seinen rechten Platz


Die Appenzeller Ausserrhoder pflegen eine ganz bestimmte Reihenfolge bei ihrem Aufzug. Vorab gehen die Kleinsten. An der Spitze der Geissbub mit den fünf Geissen und dem Geissbock im Rücken. Hinter den Geissen gehen die «Gääsmeetli», heute zwei kleine Mädchen, die ihrerseits mit einem Tannzweig als Treibgerät auf die Geissen Acht geben.

Dann kommt der Vorsenn. Das ist Thomas’ Rolle. Anschliessend die vier Sennen nebeneinander, wobei der «Geelhösler» stets links geht. Dieser hat auch den «Fahreimer» dabei, ein hölzerner Milcheimer mit traditioneller Bemalung.


Die vier Sennen gehen mit den drei Leitkühen. Deren «Schellen» erklingen in verschiedenen Tonhöhen und ergeben somit eine schöne Harmonie. Zu dieser Harmonie lässt sich besonders gut zauren. «Bi ös hett ebe nüd jedi Chue eifach en Hafe a», meint Grossvater Köbi Oertle schmunzelnd.


Dann kommen die Kühe und die Rinder. Für die Rinder sind die zwei Töchter Andrea (15)

und Manuela (13) verantwortlich. Die zwei jungen Frauen haben die Rinder voll im Griff. Das beobachtet Vater Theo von hinten mit Stolz. Er und Helfer Ueli Knöpfel machen mit dem Rosswagen das Schlusslicht.


Mit Teamwork 
sicher zum Ziel


Theo Ehrbar bringt die Ruhe in das Sentum. Er behält den Überblick von hinten und greift nur wenn nötig und dann gezielt ein.


Andreas, der Geissenbub, hält die Geissen mit ganzem Körpereinsatz in Schach, während die zwei Mädchen ebenfalls dafür sorgen, dass keine Geiss ab vom Weg kommt. Thomas, der Vorsenn, hilft den Kindern und hat auch bei den Schellenkühen den Überblick.

Wenn alle Kühe schön laufen nutzen die vier Sennen die Zeit, um zu zauren. Da schlägt das Herz schon mal höher, wenn die Schellen klingen, die Männer zauren, und das Auge über die schöne Landschaft schweift.

Auf der Alp angekommen


Nach 16 Kilometern ist der ganze Tross am Ziel auf der Steinfluh. Die Schellen werden zum Haus getragen und ein letztes Mal zauren die Mannen. Dieses Mal gibt der 14-jährige Thomas den Ton an, was er mit glasklarer und kräftiger Stim
me tut. Anschliessend gibt es, wohl verdient, ein anerkennendes Kopfnicken des Vaters dazu.

Nadine Baumgartner