Anfang April sorgte ein Communiqué der Agroscope in der Schweizer Landwirtschaft für rote Köpfe. Kurz und knapp wurde informiert, dass bei Agroscope Stellen abgebaut und Kosten gespart werden müssen. Über Nacht wurden die 24 die Institutsleiter quasi auf die Strasse gestellt. Agroscope, das ist die staatliche Agrarforschungseinrichtung, die von Michael Gysi geführt wird, und dem Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) unterstellt ist.
Überraschte Branchen
Die Branchen waren baff – die Milchproduzenten und die gewerblichen Käser befürchteten, dass mit der Reorganisation die Forschung und das Angebot an Käsekulturen unter Druck kommen. Die Getreidebranche war sich nicht sicher, ob Agroscope sich noch weiter aus der Getreidezüchtung zurückzieht. Die Gemüse- und die Obstproduzenten machten sich Sorgen um die Kompetenzen im Gemüsebau, insbesondere um die Forschung zu den Pflanzenschutzmitteln.
Alle waren sie sicher: Ohne Agroscope hätte man in der Schweizer Landwirtschaft ein Problem. Am Montag fand nun eine weitere Aussprache zwischen Branchenvertretern, BLW-Direktor Bernard Lehmann und Agroscope-Direktor Michael Gysi in Bern statt. Das Fazit der Übung: Die Wogen beginnen sich zu glätten, die Entscheidungen der BLW- und Agroscope-Führung werden fassbarer. Dem ersten Erstaunen folgen nun viele, kritische und konstruktive Fragen über die Zukunft der Schweizer Agrarforschung.
Handlungsbedarf vorhanden
Dass Handlungsbedarf besteht, daran liessen weder Michael Gysi noch Bernard Lehmann Zweifel aufkommen. «Ohne eine Neuaufstellung könnten wir die Leistungen der Ressortforschung von Agroscope nicht gewährleisten», sagte Lehmann bei der Aussprache. Agroscope begegnet mit der Neuausrichtung interner und externer Kritik und muss auch sparen: Bis Ende 2017 sind es im Vergleich zu 2016 rund fünf Millionen Franken.
Damit dieses Geld nicht in der Forschung fehlt, wird das Management verkleinert und die Organisation angepasst. Zudem ist geplant, dass durch die neue Organisation die Leistungen für die unterschiedlichen Anspruchsgruppen gesteigert werden können. Die heutigen vier Forschungsinstitute und 19 Forschungsbereiche werden aufgehoben und durch zehn Einheiten ersetzt: sieben Strategische Forschungsbereiche und drei Kompetenzzentren für Forschungstechnologie und Wissensaustausch. Hinzu kommt eine Einheit Ressourcen mit Finanzdienst, Personalwesen, Informatik usw.
Mit der Anpassung fällt per 1. Januar 2017 innerhalb der Agroscope die Hierarchiestufe der Institutsleiter weg. Die 24 betroffenen Mitarbeitenden mussten sich erneut auf die frei werdenden Stellen bewerben. Zehn von ihnen wurden wieder angestellt. Vier konnten eine andere Aufgabe innerhalb der Agroscope finden. «Und auch für die übrigen zehn Mitarbeitenden gibt es Lösungen», sagte Michael Gysi. Konkret werden die meisten frühpensioniert. Und selbst bei den Härtefällen, die weder in den Ruhestand noch zu einem anderen Arbeitgeber können, würde man angepasste Lösungen finden.
Agroscope als Matrix
Die neue Organisationsstruktur der Agroscope ist eine Matrix-Struktur. Wie Michael Gysi ausführte, will man Handlungs- und Erkenntniswissen künftig besser vernetzen. Die strategischen Forschungsfelder und die Kompetenzzentren sollen noch stärker zusammenarbeiten und mit weniger mehr erreichen, wie es Bernard Lehmann ausdrückte.
In den strategischen Forschungsfeldern soll international ausgerichtete Forschung möglich werden, die auch durch Fördergelder der EU oder den Nationalfonds kofinanziert werden kann. Dass damit die als weniger nützlich erachtete Grundlagenforschung stärker gewichtet wird, sieht Bernard Lehmann nicht. «Mit einer international konkurrenzfähigen Forschung profitiert auch die Praxis von besseren und genaueren Massnahmen», sagt er. Damit die Forschungsgruppen auch an ihren Auftrag erinnert werden, wählten Gysi und Lehmann die Matrixorganisation. Gysi will damit versuchen, die Abläufe soweit zu standardisieren, dass die Zusammenarbeit zwischen den Bereichen nicht von den einzelnen Personen abhängig ist.
Francis Egger vom Schweizer Bauernverband befand, dass eine Matrix mit jährlich wechselnden Gruppenleitern unführbar sei. Für Gysi scheint das kein Problem zu sein. Bereits heute finde ein Austausch statt, sobald man in der Agrarforschung wirklich sinnvolle Lösungen präsentieren wolle. «Beispielsweise, wenn man neue Fütterungstechnik untersucht und diese gleichzeitig noch mit wirtschaftlichen Kennzahlen hinterlegen möchte.» Die Matrixorganisation sei da schon heute gegenwärtig, befand Gysi.
Forschung bleibt
Bernard Lehmann und Michael Gysi betonten, dass die Forschungsaufgaben der Agroscope nicht angetastet werden. «Wir wollen nicht zulasten der Forschung sparen», sagten beide mehrmals. Geht es nach ihnen, ist Agroscope nach dieser Reorganisation noch besser für zukünftige Herausforderungen gerüstet. «Die Forschung muss nämlich künftig auch für die Konsumenten einen Nutzwert haben», sagte Lehmann dazu. Ab 2018 soll die Agroscope deshalb 17 Strategische Forschungsfelder bearbeiten. Jacques Gygax, Direktor der Fromarte, hielt fest, dass die Priorisierung der Forschungsfelder die nächste grosse Herausforderung werde. Er wollte wissen, wie das künftig gehandhabt wird. «Nur so viel ist klar: Käse ist in einem dieser Themenfelder fest integriert», antwortete Bernard Lehmann.
Weiterentwicklung ist nötig
Da man erst vor zwei Jahren die Agroscope-Standorte fusionierte, war der Unmut über die bevorstehenden Veränderungen gross; viele verstanden nicht, warum schon wieder eine Reorganisation nötig ist. Für Michael Gysi hingegen ist die Anpassung nichts Unerwartetes. «Es ist normal, dass man zwei Jahre nach der ersten Reorganisation noch einmal nachjustieren muss», sagt er.
Am Dienstag und Mittwoch fand die erste Sitzung der Geschäftsleitung in neuer Zusammensetzung statt. Man sprach vor allem über die Einführung der neuen Organisation. Aus Sicht von Gysi und Bernard Lehmann befindet sich die Agroscope nämlich auf dem richtigen Weg.
Hansjürg Jäger