Gestartet hat Andreas Ritter seine Berufskarriere als 24-Jähriger: Am 1. Juni 1976 wurde er vom Milchverband St. Gallen-Appenzell als Sachbearbeiter zur Einführung der Milchkontingentierung angestellt.

Heute ist Ritter Geschäftsführer der Genossenschaft Vereinigte Milchbauern Mitte-Ost. Das noch bis Ende April dieses Jahres. Dann geht er in Pension. Und er wird auf 40 Jahre Berufsjahre zurückblicken können, in denen er stets mit der Milchwirtschaft verbunden war. 
Auf 40 Jahre, in denen der Milchmarkt tiefgreifende Ver-

änderungen erfuhr. Nach seiner Pensionierung wird sich Ritter vermehrt der Familie widmen und sein Hobby Bergwandern pflegen. Er wird aber auch das Archiv der Vereinigten Milchbauern Mitte-Ost aufarbeiten. Das Präsidium der Schaukäserei Appenzell in Stein wird er noch bis zum Ende seiner Amtsdauer in drei Jahren weiterführen.

Vor der Kontingentierung


Aufgewachsen ist Andreas Ritter als Bauernsohn im bernischen Utzigen, wo er noch die Milchwirtschaft vor der Kontingentierung kennenlernte. Das Landwirtschaftsgesetz, welches im Jahr 1953 in Kraft gesetzt wurde, bildete die Grundlage 
für eine umfassende gesetzliche Regelung der schweizerischen Milchwirtschaft.

Der Staat garantierte den Bauern den Milchpreis und verpflichtete sie, die Milch in die angestammte Sammelstelle abzuliefern. Jeder Käserei war eine Sorte zugeteilt, die sie zu produzieren hatte. Bevorzugte Käsesorten waren damals Emmentaler, Gruyère und Sbrinz.


Milchverbände setzten die Politik um


Um dieses System umzusetzen, wurde in Zusammenarbeit zwischen den Branchenvertretern und den zuständigen Bundesstellen im Halbjahresrhythmus ein Verwertungsprogramm beschlossen. Mit der Umsetzung dieses Programms betraut – für die «Milchverwertungslenkung», wie es damals auf Amtsdeutsch hiess – waren die Milchverbände.


Diese waren etwa zuständig, wenn eine Käserei ihre Sorte wechseln wollte, wie sich Ritter erinnert. Dann trat die Verwertungslenkungskommission in Aktion, sammelte Stellungnahmen und erliess einen Entscheid auf der Basis des Milchverwertungsprogramms.


Auch den Käsereien wurde eine feste Marge garantiert. Die Händler mussten den Käse auf Basis dieser Vorgaben übernehmen. Musste dieser unter dem Einstandspreis exportiert werden, übernahm der Bund die Differenz über die eidgenössische Milchrechnung. Kombiniert mit den hohen Aufwendungen für die Butterverbilligungen (die «Butterberge» haben eine lange Geschichte) führte dies zu Kosten, die auf Dauer nicht bezahlbar waren.


Da halfen auch Massnahmen zur Selbsthilfe nicht, die Ende der 60er-Jahre ergriffen wurden, wurden doch damals die Bauern verpflichtet, überschüssigen Käse, der zu Schmelzkäse verarbeitet worden war, selber zu essen. Auch die «Quersubventionierung» durch Konsummilchabgaben von zwei bis drei Rappen oder Rahmabgaben konnten die eidgenössische Milchrechnung nicht nachhaltig entlasten.


Kontingentierung als Reaktion auf Überproduktion


Als Reaktion auf diese im System angelegte Überproduktion wurde mit einem dringlichen Bundesbeschluss im Mai 1977 die Milchkontingentierung eingeführt. 1979 erfolgte die definitive Gesetzgebung. Basis für die Zuteilung der Kontingente war im Wesentlichen die Milchmenge des Milchjahres 1975/76. Im

Regime der Kontingentierung wurde der Milchgrundpreis, aber auch die Rückbehalte der Produzenten beibehalten. Neu wurden «Überlieferungsabgaben» für Milch eingeführt, die über das Kontingent gemolken wurde.

Die Kontingentierung führte bei den Bauern zu grossen Diskussionen. Viele fühlten sich «bschisse», erinnert sich Ritter. Vor allem diejenigen Produzenten, welche in den Basisjahren bei der Milch
ablieferung Zurückhaltung geübt hatten, wurden nun durch eine tiefe Basismenge bestraft.

Bindung an die Fläche wurde zunehmend gelockert


Bei der Einführung der Milchkontingentierung musste Ritter als Sachbearbeiter Gesuche bearbeiten: Etwa bei Wechseln bei Bewirtschaftern, Stallsanierungen oder bei Härtefällen. Dabei habe er stets auf Basis von Verordnungen entscheiden müssen. Bei der Einführung sei die Kontingentierung sehr strikte gehandhabt worden, erinnert sich Ritter. Die Kontingente waren streng an die Flächen gebunden. Sie waren auch nicht übertragbar. Dieses strenge Regime wurde im Laufe der Jahre schrittweise gelockert. So entfiel etwa die Flächenbindung und der Kontingentshandel wurde ermöglicht.

Diese Lockerungen führten zu neuen Ungerechtigkeiten und lösten letztlich die Diskussionen aus, die zum Ausstieg aus der Milchkontingentierung führten. Ab 1992 wurden die allgemeinen Direktzahlungen eingeführt. Gleichzeitig wurde der staatlich garantierte Milchpreis schrittweise gesenkt. 1999 wurde die Milchpreisgarantie endgültig aufgehoben. In den Jahren 2002 bis 2007 wurde der Käsemarkt gegenüber der EU schrittweise geöffnet.


«Der Ausstieg ist nicht ideal verlaufen»


Die Aufhebung der Milchkontingentierung wurde ab dem Jahr 2006 eingeleitet und im Jahr 2009 vollzogen. «Der Ausstieg ist nicht ideal verlaufen», sagt Ritter. So bestand bereits ab 2006 die Möglichkeit, aus der Kontingentierung auszusteigen. Produzen­tenorganisationen und PMO wurden in rauen Mengen Mehrmengen bewilligt, um neue Märkte zu erschliessen. «Teilweise wurde alles bewilligt», stellt Ritter fest. «Erst im letzten Kontingentierungsjahr wurden einige Gesuche abgelehnt.» Im Nachhinein müsse leider fest
gestellt werden, dass nicht alle Mehrmengen zu einer nachhaltigen Markterschliessung geführt hätten, sagt Ritter.


Rasches Reagieren auf den Markt ist schwierig


«Bis ins Jahr 1999 war die Stabilität für die Bauern höher», bilanziert Andreas Ritter. Er kannte den Preis für die Milch. Er musste nicht selber für den Milchpreis kämpfen. «Seine Hauptaufgabe war, zu schauen, dass es den Kühen gut geht.» Aber, so stellt Ritter fest, «unternehmerische Bauern wurden behindert».

Heute sind die Milchpreisschwankungen sehr hoch. Die Branchenorganisation Milch  setzt alle drei Monate den Richtpreis für A-Milch fest. Für einen Milchbauern ist es jedoch schwierig, schnell auf die Marktsituation zu reagieren. «Ab dem Zeitpunkt, zu dem ein Kalb geboren wird, dauert es gut zwei Jahre, bis es Milch gibt. Der Bauer weiss aber nicht, wie hoch der Milchpreis zu diesem Zeitpunkt sein wird», so Ritter. Ausserdem bedinge die Milchwirtschaft hohe Investitionen.


Der Bauer ist zu einem Einzelkämpfer geworden


Eine Rückkehr zur Mengensteuerung könne man vergessen, sagt Andreas Ritter: «Der Bauer ist zu einem Einzelkämpfer geworden, der als Unternehmer für seinen Betrieb schauen muss.»

Als traditionelles Milchexportland ist die Schweiz stark abhängig von den Entwicklungen auf den internationalen Märkten, stellt Ritter fest. Damit hätte eine Einschränkung der schweizerischen Milchproduktion nur eine sehr geringe Wirkung auf den Milchpreis. Die Milchbauern würden aber gut daran tun, selber auch einen Beitrag für einen geordneten Milchmarkt zu leisten. Er spielt dabei auf die Rolle der Milchverbände und die Streitigkeiten um die Lactofama an.

«Die Schweiz ist kein Fleischland»

Die Situation für die Milchbauern ist zurzeit mehr als schwierig. Das sieht auch Andreas Ritter so. Er warnt aber vor einer Dramatisierung. Im EU-Raum sei der Milchpreis prozentmässig stärker zurück- gegangen als in der Schweiz, stellt er fest. Ausserdem werde in der Schweiz der Milchpreis nach wie vor durch die Ver- käsungszulage und die Silo- verzichtzulage gestützt. Ritter warnt davor, zu stark auf die Mutterkuhhaltung zu setzen. Die Schweiz sei kein «Fleischland» und kaum bekannt für Fleischspezialitäten. Dagegen sei die Schweiz bekannt für hochwertige Milchprodukte. Und solche würden sich auch in einem zunehmend liberalisierten Markt durchsetzen, ist Andreas Ritter überzeugt.

Christian Weber