Alles hat angefangen mit einem Golfplatz. Im Rahmen seines Studiums hat der Umweltingenieur Ludwig Glöcklhofer untersucht, ob sich in den Teichen auf Golfplätzen Flusskrebse halten lassen. Sein Fazit: die Wasserqualität ist für die Flusskrebshaltung ungeeignet, da auf Golfplätzen grosse Mengen von Dünger und Fungizid eingesetzt werden. Glöcklhofer fragte sich, wie man Golfplätze biologisch pflegen könnte. Gemeinsam mit seinen Studienkollegen stiessen sie auf die Prinzipien der regenerativen Landwirtschaft. Die Methode beruht auf einer minimalen Bodenbearbeitung, einer steten Begrünung der Flächen sowie der Pflanzenstimulation mit Komposttee. Und diesem wollten die drei nachgehen.

Macht die Nährstoffe verfügbar

Komposttee ist eine wässrige Lösung, die sowohl lebende als auch leblose Komponenten enthält. Es handelt sich bei den lebenden oder biotischen Komponenten um nützliche Mikroorganismen (siehe Infobox). Die leblosen oder abiotischen Anteile sind Sekundärmetabolite, also chemische Stoffe, die entstehen, wenn sich Mikroorganismen vermehren und gegenseitig fressen. Diese Metaboliten können direkt durchs Blatt von der Pflanze aufgenommen werden und schützen die Pflanze. Nebst der Blatt-Applikation kann der Komposttee auch in den Boden gebracht werden. Dort regt er Stoffwechselprozesse an und macht die Nährstoffe pflanzenverfügbar. Das ist vergleichbar mit dem fettlöslichen Vitamin A, das im menschlichen Körper nur dann aufgenommen wird, wenn es mit Fett verzehrt wird.

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Verschiedene Rezepte für denselben Tee

Wie sein Name verrät, ist der Komposttee tatsächlich ein Auszug aus Kompost. Er wird auf der ganzen Welt von Profis im Gartenbau, in der Baumpflege und in der Landwirtschaft eingesetzt und es existieren zahlreiche Tutorials auf Youtube, wie Hobbygärtner ihn selber mischen können. Die Rezepte sind so unterschiedlich, dass schnell den Überblick verliert, wer genauer hinschaut. Für die drei Umweltingenieure Adrian Rubi, Ludwig Glöcklhofer und Lorenz Rieger ein Grund, sich in ihrem Studium an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW in Wädenswil vertiefter mit Komposttee auseinanderzusetzen.

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Auszüge können gefährlich sein

Die simpelste Methode, ein löchriger Plastiksack mit Kompost in Wasser einzulegen und nach ein paar Stunden zu entfernen, sei auch die unsicherste, erzählt Adrian Rubi. „So ein Auszug bildet sich ohne Sauerstoffzufuhr, das heisst er kann Bakterien wie E. Coli enthalten, die unerwünscht sind“, so der Mitgründer von Edapro. Wenn mit dieser Flüssigkeit Blätter bespritzt werden, die kurz danach verspeist werden, können sie Verunreinigungen aufweisen, die für den menschlichen Konsum eine Gefahr darstellen.

Nach einigen Untersuchungen an der Hochschule hatten die drei Studenten eine sichere Weise gefunden, einen Komposttee zu mischen, der garantiert keine gefährlichen Bakterien enthalten und jedes Mal ähnliche Inhaltsstoffe aufweisen würde. 2016, am Ende ihres Studiums, gründeten sie die Firma Edapro. Das griechische Wort Edaphon bezeichnet die im Boden lebenden Organismen, der Name lag fast auf der Hand. Seither hat sich aufgrund des Wegzugs von Ludwig Glöcklhofer das Team mit dem Unternehmensentwickler Andy Koller erneuert und Edapro zählt neben Golfparks auch Baumschulen, Hausgarten-Anwender und Landschaftsbetriebe zu seinen Kunden.

Betriebsspiegel Hof Halterhus 
In Ruswil LU bewirtschaftet Adrian Rubi den Hof Halterhus mit Ackerbau, Hochstamm-Obst und 14 Aubrac-Mutterkühen. Er pflanzt Ackerbohnen und Weizen an und verwendet den Rest der Nutzfläche als Futterfläche für seine Kühe. Zum Hof gehören 1.8 Hektar Wald. www.halterhus.chwww.edapro.ch

Nur Mikroben aus der Natur

Weil Komposttee frisch hergestellt werden muss, verkauft Edapro Bausätze, die aus einem Brausystem, aus Mikrobensubstrat und -nahrung bestehen. Das Brausystem, also die Maschine worin der Anwender den Tee mischen kann, stellt sicher, dass dem Tee während des 24-stündigen Mischvorgangs ständig Luft zugeführt wird. Das Mikrobensubstrat basiert auf einem Kompost mit einer hohen Biodiversität an Mikroorganismen. „Wir erhalten Proben von unseren Zulieferern und begutachten ihre Qualität unter dem Mikroskop“, erklärt Rubi.
Weil nicht jeder Kompost gleich gut geeignet sei, empfehle sich insbesondere für Erstanwender, den Tee mit dem vorgeschlagenen Kompost anzumischen. Wenn ein Landwirt seinen Boden gut kenne und mit einem Mikroskop die Mikroorganismen beobachte, sei es möglich, dass der Landwirt eigenen Kompost verwende, so Rubi. „Aber auch wenn der Kompost nicht vom eigenen Hof ist: die Mikroorganismen verfügen über eine hohe Anpassungsfähigkeit, weil sie nicht im Labor unter künstlichen Bedingungen gezüchtet wurden, sondern aus der natürlichen Umwelt stammen“, erklärt Adrian Rubi.

Tee riecht nach grüner Wiese

Damit die Mikroben sich möglichst zahlreich vermehren, wird Mikrobennahrung zugegeben, die auf fein gemahlenem Steinmehl und Luzerne basiert, die beide das Wurzelwachstum fördern sollen. Ausserdem werden Huminsäuren und verschiedene Kräuter beigemischt, damit sich die Nährstoffe optimal ergänzen. „Wir achten darauf, möglichst lange Huminsäuren beizugeben. Sie sind die Grundbausteine von Humus und verbessern die Wasserspeicherkapazität des Bodens“, sagt Adrian Rubi.

Die Mischung aus Mikrobensubstrat, Mikrobennahrung und Wasser wird 24 Stunden lang im Brausystem gemischt. Der fertige Tee muss innerhalb von 4 Stunden ausgebracht werden, damit die Bakterien nicht anaerob werden und anfangen zu faulen. „Ein frischer, guter Komposttee riecht nach grüner Wiese und Erde“, sagt Rubi.

Tüftler mit Zukunftsvision

Er wendet den Komposttee selber auf dem heimischen Hof an, den er Anfang 2020 übernommen und sogleich auf Bio umgestellt hat. Er sagt dazu: „Ich finde es spannend, meine Versuche auf dem eigenen Hof durchzuführen. So weiss ich, was funktioniert und was nicht.“ Er, gelernter Elektropraktiker, wollte vor dem Studium weder den Hof Zuhause übernehmen noch hatte er viel Ahnung von alternativen Bewirtschaftunsgmethoden, wie er selbst zugibt. Nun will er durch den Einsatz von Komposttee erreichen, dass sein Boden 5% Humus erreicht. Ein ambitioniertes Ziel, wenn man bedenkt, dass Ackerboden in der Schweiz etwa 2% Humus aufweist und Grasland etwa 3.5 bis 4%. „Ich will einen gesunden Boden, der gesunde Pflanzen hervorbringt. Bereits jetzt merke ich, dass ich dank des Komposttees gesündere und vitalere Pflanzen habe und somit den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduzieren kann“, sagt Rubi.

Er besitzt ein 200-Liter-Brausystem und bringt etwa 1000 Liter Komposttee auf seinen 18 Hektaren aus. Rubi rechnet mit rechnet mit 30 Franken pro Hektare und sieht den wirtschaftlichen Nutzen darin, dass er die Bodenfruchtbarkeit langfristig steigert. Der junge Biolandwirt vergleicht herkömmliche Pflanzenschutzmittel mit Fastfood und den Komposttee mit Rohkost-Ernährung: „Wenn ich zu McDonald’s gehe, bin ich zwar nachher satt, aber langfristig macht nur die Rohkost gesund und stark. Pflanzenschutzmittel beheben vielleicht ein Problem, aber langfristig sinnvoll ist nur, wenn ich im Boden Humus aufbaue.“

Kaum wissenschaftlich belegt

Trotz aller Euphorie des jungen Start-Ups: wissenschaftliche Nachweise zur positiven Wirksamkeit von Komposttee gibt es in der Schweiz kaum. „Kompostextrakte sind ein Teil des Mosaiks, lösen aber nicht alle Probleme“, sagt Jacques Fuchs vom Departement für Nutzpflanzenwissenschaften am Forschungsinstitut für Biologischen Landbau FiBL. Gemäss seinen Erfahrungen könne ein Komposttee zwar die Pflanze stärken, aber bei hohem Krankheitsdruck nicht anstelle eines Fungizids oder eines Pestizids wirken. „Wir haben vor ein paar Jahren einmal Feldversuche in Reben begleitet. Die Stöcke waren wegen starkem falschem Mehltaubefall schlussendlich in so schlechter Verfassung, dass wir sie mit Kupfer retten mussten“, sagt Fuchs. Es sei ein spannendes Thema aber aktuell fehle die Finanzierung für entsprechende wissenschaftliche Versuche, bedauert der Fachmann: „Es gibt  viele verschiedene Arten von Kompostextrakten. Hinzu kommt, dass mit den unterschiedlichen Komposten die Qualitätssicherung extrem schwierig ist. Es wäre spannend, hierzu mehr Forschung betreiben zu können.“

Dafür sorgen die Mikroorganismen im Boden
Damit eine Pflanze die Nährstoffe im Boden überhaupt aufnehmen kann, ist sie auf Mikroorganismen angewiesen. Es handelt sich um Bakterien, Algen, Pilze und andere mikroskopisch kleine Lebewesen. Diese zersetzen organischen Abfall, filtern Schadstoffe aus dem Boden und werden von grösseren Lebewesen wie dem Regenwurm verdaut. Das Endprodukt ist ein wertvoller Nährhumus, aus dem die Pflanze die Nährstoffe aufnehmen kann.