Ende Juni 2022: 35 Grad in der Schweiz, brütende Hitze, die Gerste wurde teils bereits gedroschen. Auf der Leserreise nach Island gab es eine faszinierende, kühle Insel mit engagierten Landwirt(innen) zu entdecken.

Kaltes Heuwetter im hohen Norden

Während die Schweiz unter der Hitze ächzte, wehte in Island ein anderer, kalter Wind. Auf dem Betrieb Núpur III im Süden Islands bei der Landwirtin Berglind Hilmarsdóttir war die Heuernte in vollem Gang: Bei knapp 13 Grad wurde gemäht, auf zwei trockene Tage gehofft und dann das «Heu» in Ballen gepresst.

Die Landwirtschaft in Island kennt ähnliche Herausforderungen wie in der Schweiz: Wetterkapriolen, Preiswettbewerb und immer weniger Betriebe. Berglind Hilmarsdóttir führt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in siebter Generation den Betrieb Nupur III. Dort, wo heute eine pensionierte Frau lebt, haben die ersten Siedler in Island einen der ersten Betriebe überhaupt errichtet.

Ein Betrieb am Fuss des Vulkans

LeserreiseMit 26 Schweizern Island entdecktMontag, 8. August 2022 Dessen Lage ist doch etwas speziell: In sechs Kilometer Entfernung liegt das Meer, gleich hinter dem Hof beginnt der Hang, der zum Vulkan Eyjafjalla und zum Gletscher Eyjafjallajökull führt. 2010 habe sie die Hand nicht mehr vor dem Gesicht gesehen, erzählt Berglind Hilmarsdóttir. Damals war der Vulkan ausgebrochen und hatte die Gegend mit einer dicken Ascheschicht bedeckt.

Hilmarsdóttir trägt es mit Fassung – Isländer erschüttern Naturereignisse nicht gross. Dafür zeigt sie der Reisegruppe mit Begeisterung ihre Herde. Insgesamt hat sie rund 240 Tiere, darunter 65 Milchkühe. Sie behält sämtliche Tiere; die Kuhkälber als Nachzucht, die Stierkälber für die Mast. In Island gibt es keine Viehauktionen, Tierverkäufe sind unüblich.

Ausnahmesituation Vulkanausbruch

Noch heftiger betroffen war Ólafur Eggertsson. Er ist ein Pionier, der auf 130 ha Heu produziert, zudem auf 10 ha Raps anbaut und auf 48 ha Getreide. Wer ihn und seinen Betrieb Þorvaldseyri am Fuss des Eyjafjalla besucht, kann durch ein Museum schlendern, sich über den Vulkan und den Betrieb informieren und vor allem: in einem Video miterleben, wie der Ausbruch 2010 für die Landwirte war. Es geht zu Herzen, wenn man sieht, wie Eggertsson und seine Familie die Tiere in den Stall treiben, vom Hof wegfahren müssen und nur unter Begleitung einmal pro Tag zurückkommen, melken, füttern und den Stall machen können.

Heute präsentiert Eggertsson einen Vorzeigebetrieb mit eigenem Getreidesilo, einem beeindruckenden, sauber verräumten Maschinenpark und einer Milchviehherde, die wie bei Hilmarsdóttir von einem Roboter gemolken wird. Die Schafe sind wie überall in Island über den Sommer in den Bergen und im Winter eingestallt. Ólafur Eggertsson verwendet sein Rapsöl als Treibstoff. Er hat ein eigenes Wasserkraftwerk und produziert so viel Energie, dass er komplett unabhängig ist.

Die einheimische Ziegenrasse stirbt nicht aus

Auf einem weiteren Besuch lernte die Reisegruppe Hulda Brynjólfsdóttir kennen. Die Agronomin führt mit ihrem Mann Tyrfingur Sveinsson einen Schafbetrieb in Hellu. Die Wolle der Tiere verarbeitet und vermarktet sie komplett selbst. Doch nicht nur Schafwolle wird verarbeitet: Auch die Haare von Hunden und Kaninchen werden zu Wolle, dazu experimentiert sie mit Milch, Rosen und Algen.

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Neben Schafen und Kühen gibt es auch Ziegen auf Island. Dass die Rasse nicht ausstirbt, ist Jóhanna B. Þorvaldsdóttir zu verdanken. Sie habe drei Ziegen zur Hochzeit bekommen, erzählt sie. Mit viel Geduld hat sie die weltweit einzigartige, aber zum Glück gut dokumentierte Rasse aufgebaut. Heute hat sie rund 400 Tiere. Die Milch wird teilweise zu Käse verarbeitet, aber auch für Seifen und verschiedene Salben verwendet. Die Ziegen haben kaschmirartige Wolle, die in aufwendiger Handarbeit ausgekämmt wird.

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Die Direktvermarktung boomt

Käse aus Island schmeckt überraschend gut: Þorgrímur Einar Guðbjartsson und seine Frau Helga Elínborg Guðmundsdóttir verarbeiten auf dem Betrieb Erpsstaðir im Westen Islands seit 25 Jahren die Milch ihrer Kühe zu Käse. Begonnen haben sie mit 24 Tieren, heute sind es rund 60. Sie produzieren 400 000 Liter pro Jahr, davon sind 260 000 Liter Kontingentmilch mit einem Milchpreis von gut 1,35 Franken pro Liter. Was sie nicht vertränken (30 000 Liter) oder verarbeiten (20 000 Liter), geht zu einem deutlich tieferen Preis an eine Genossenschaft.

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Die Direktvermarktung boomt: Glace, Skyr (etwas dickeres Joghurt) und Käse finden reissenden Absatz. 2008 haben Einar und seine Frau den neuen Stall mit Melkroboter errichtet, seit 2009 produzieren sie Käse und Glace. Einars Vater Guðbjartur war ursprünglich Landwirt, hat den Beruf aber aus familiären Gründen aufgegeben. Seither fährt der 74-jährige Isländer Bus. Auch die Gruppe der Leserreise – «Gutti» war der gute Geist unserer Reise und wusste stets, wo es die nächste Verpflegungsmöglichkeit oder ein stilles Örtchen gab.

Einen Wermutstropfen erwähnt sein Sohn Einar auf dem Weg zurück vom Munimaststall zum professionell eingerichteten Hofladen auf Erpsstaðir: Keines seiner Kinder hat Interesse, den Betrieb zu übernehmen.

Was bei allen Ställen auffällt: Die Milchkühe wirken zwar gesund, sind sauber und den Sommer über fast dauernd draussen. Bei den Mastmunis hingegen ist es eng, die Tiere leben auf Spaltenböden und haben wenig bis keinen Auslauf. Dasselbe gilt für den Schafstall, den wir besichtigen konnten: Durchgehende Spaltenböden für den Winterstall.

Eingeführte Lupine verbessert Boden

AgrarPodcastEiner gegen Littering, Zwei gegen Wassermangel, viele auf der StöckweidFreitag, 30. September 2022 Der Boden in Island ist schwierig; die maximale Humusschicht ist zwei Meter dick. Um die Bodenerosion in den Griff zu bekommen, wurden im 20. Jahrhundert fremde Pflanzen eingeführt, etwa die sibirische Lärche (Larix sibirica) oder die Alaska-Lupine (Lupinus nootkatensis). Nun schaut man schon kurz nach dem Flughafen überrascht auf violett blühende Pflanzen: Die Lupinen breiten sich ungehindert aus. Sie bilden ein dichtes Wurzelgeflecht und verdichten so die Böden. Zudem reichern sie den Boden mit Stickstoff an.Nur Vorteile hat die Lupine nicht: Sie verdrängt einheimische Pflanzenarten und wird von keinem Tier gefressen, da sie bitter schmeckt.