Im emmentalischen Zäziwil geht es immer am letzten Mittwoch im September zu und her wie zu Gotthelfs Zeiten. Das ist nicht einfach eine Redewendung, sondern Tatsache. An der Brächete wird dann jeweils demonstriert, wie der angebaute Flachs in vergangenen Jahrhunderten durch die Dorfgemeinschaft bearbeitet wurde. Dabei ist das «Bräche», also das Brechen der Flachsstängel, einer von vielen Bearbeitungsschritten (siehe Kasten unten). Bis aus den Flachsstängeln Garn und daraus Stoff oder Seile hergestellt werden können, sind zahlreiche Schritte nötig. Nach getanem Tagwerk wurde dann abends gemeinsam gefeiert.

Eingetragen im Register der lebendigen Traditionen

Der Brauch ging verloren, als später billige Baumwolle aus dem Ausland den heimischen Leinenstoff verdrängte. 1955 liess die damalige Emmentaler Handweberei den Brauch in Zäziwil BE wieder aufleben. Jahrzehnte später übernahm die Gemeinde Zäziwil die Organisation, wie OK-Mitglied Hanna Stalder erklärt. «Das Wissen der Brauchtümer weiterzuvermitteln, ist ein Grund, die Brächete durchzuführen.» Der Anlass sei aber auch Werbung für die Region, betont Stalder.

War der Anlass schon früher ein Volksfest, ist er das auch heute noch und zieht jedes Jahr Tausende Besucherinnen und Besucher jeden Alters aus der ganzen Schweiz an. Mittlerweile ist die Brächete im Register der lebendigen Traditionen des Kantons Bern eingetragen. Die Brächete bedeutet nicht aber nur das Zeigen des alten Handwerks, auch ein vielfältiger, grosser Markt gehört dazu.

[IMG 2]

Etwas über das Brauchtum erfahren

Die Gründe zum Besuch sind vielfältig, wie vor Ort zu erfahren ist. Die einen kommen jedes Jahr, auch um Bekannte zu treffen und «weil die Brächete im Jahreskalender einfach dazugehört», andere sind das erste Mal da und wollen etwas über das Brauchtum erfahren. Ein Paar aus dem Kanton Luzern kommt ob der Ambiance und der Gemütlichkeit der ganzen Region Emmental regelrecht ins Schwärmen. «Ein Besuch in dieser Gegend tut in der heutigen Zeit einfach gut», verrät die Besucherin mit strahlenden Augen. Zudem wolle sie sehen, wie der Flachs früher verarbeitet wurde.

Dass ein solcher Grossanlass nicht ohne helfende Hände auskommt, ist klar. Viele beziehen extra freie Tage oder gar Ferien, weiss Hanna Stalder. Im nächsten Jahr feiert die Zäziwiler Brächete das 70-jährige Bestehen. Die Durchführung mittwochs kommt daher, dass die Brächete ursprünglich auch an einem Wochentag und nicht am Wochenende stattfand. «Die Brächete ist halt exquisit», schwärmt Hanna Stalder über den Umstand, dass sie trotz des Wochentags so viele Besucher anzieht.

Vom Flachs zum Leinenstoff oder Seil

Zahlreiche Arbeitsschritte sind nötig, bis nach dem Aussäen der Leinsamen schliesslich Garn entsteht.

– Säen: Aussaat in Reihen, Ende März bis Mitte April. Abstand von Hand 12 cm, mit der Maschine 16 cm. Pro Are werden 1,25 bis 1,5 kg Flachssamen benötigt.

– Stickeln: Aufbinden, sobald die Pflanze ca. 20 cm hoch ist, damit die Halme nicht knicken.

– Raufen und Trocknen: Nach 100 bis 120 Tagen wird der Flachs mit der Wurzel gezogen (Raufen) und zum Trocknen unters Dach gehängt.

– Riffeln: Abstreifen der Samenkapseln mit dem Riffelkamm vom Stengel. Die Samen werden als Saatgut oder Leinöl verwendet.

– Rotten: Stengel werden etwa zwei Wochen auf einer Wiese ausgebreitet und ab und zu gewendet. Damit soll sich der Holzteil von der Faser lösen. Danach war Brächete.

– Rösten: Über einer Feuerstelle werden die Flachsgarben erwärmt.

– Vorbrechen: Auf der Vorbreche, einem Gestell mit hölzernen, gerillten Walzen, werden die Stengel zur Arbeitserleichterung für die Brecherin vorgebrochen.

Brechen: Die Brecherin bearbeitet die Garben, bis sich alles Holz von den Fasern gelöst hat.

Schwingen: Die Fasern werden mit einem Schwingmesser, das an einem senkrecht stehenden Holzbrett hinuntersaust, so lange bearbeitet, bis die letzten Holzteile herausgefallen sind.

Hecheln: Die Fasern werden durch den Hechelkamm gezogen und von den restlichen Holzteilen und von kurzen Faserstücken gesäubert.

Nun ist der Flachs bereit, um gesponnen und dann zu Stoff verwoben oder zu Seilen gedreht zu werden. aw