Seit Anfang Juli ist Julius Jordi Leiter der Anicom Ostschweiz. Den Arbeitsvertrag unterschrieben hatte er wenige Tage, nachdem im März dieses Jahres der ­Bundesrat wegen Corona den Lockdown beschloss und der Rindfleischmarkt kurz darauf einbrach. «Da lade ich mir eine schöne Bürde auf.» Dieser Gedanke sei ihm damals durch den Kopf geschossen, erinnert sich Jordi in seinem Büro am Sitz der Anicom Ostschweiz in Oberohringen bei Winterthur. Aber auch: «Gisch alles was häsch, dänn wirds scho guet.» Und es ist glücklicherweise für Anicom weniger schlimm herausgekommen als befürchtet. So fielen etwa keine Chauffeure aus. Denn Chauffeure mit einer Zusatzausbildung für Tiertransporte sind selten. Und zudem sind die Chauffeure ein Teil der Visitenkarte von Anicom. Der Fleischkonsum ist trotz Lockdown nicht lange eingebrochen.

Der direkte Kontakt zählt

«Gisch alles was häsch» – dieses Motto passt auch zu Julius Jordis beruflicher Laufbahn. Mit gerade mal 29 Jahren ist der Vater von drei Kindern Leiter der Region Anicom Ostschweiz geworden. «Die Anicom ist ein führender Tiervermarkter der Schweiz», stellt Jordi fest. Und ein grosser Teil dieses Handels wird in der Ostschweiz abgewickelt. «Der Handel findet in der Region statt», sagt Jordi. «Die Nähe zu den Produzenten und den Abnehmern ist wichtig. Der direkte Kontakt zu den Produzenten, aber auch zu den Abnehmern der Tiere ist wichtig.»

Eines von zehn Kindern

Aufgewachsen ist Jordi als eines von zehn Kindern in einer Grossfamilie im Unteren Toggenburg. Den Bauernhof seiner Grosseltern übernahm aber nicht sein Vater, sondern dessen Bruder. Trotzdem war «Landwirt» stets der innigste Berufswunsch von Julius Jordi. Wenn immer möglich, sei er auf dem Hof seines Onkels oder einem Bekannten gewesen und habe mitgeholfen. Schon als Kind habe er Kleintiere gehalten – und wenn es nur Ziegen waren. Und auch das «Handeln und Geschäften» mit Kaninchen, Ziegen, Schafen und Kälbern unter Kollegen sei sehr früh eine seiner Leidenschaften gewesen. «Mit 13 Jahren hatte ich meine erste eigene TVD-Nummer.»

Trotz seiner Leidenschaft für die Landwirtschaft hat sich Jordi im Erstberuf zum Landschaftsgärtner ausbilden lassen. Nach dieser Ausbildung gründete er sogleich die eigene Gartenbaufirma. Danach hängte er eine berufsbegleitende Nachholbildung an und schloss diese mit dem Fähigkeitszeugnis Landwirt EFZ ab.

Herber Rückschlag

Damit konnte sich Julius Jordi den Traum vom eigenen Hof erfüllen: Er übernahm einen Pachtbetrieb in Neckertal im Toggenburg. Landwirt wäre er heute noch, sagt Jordi, wenn ihn nicht ein Schicksalsschlag getroffen hätte. Ohne die Gründe dafür zu kennen, musste Jordi wegen Schmerzen seinen Hof abgeben. Kurz nach der Übergabe des Hofes kam die Diagnose: Ein grosser Rückenmarktumor. «Ich war erleichtert, dass ich wenigstens wusste, was in mir steckt. Die Angst, wie es enden wird, folgte jedoch auch gleich.» Als Folge der Erkrankung war Jordi von der Brust an abwärts gelähmt. Schritt für Schritt musste er sich in unzähligen Therapien zurück ins Leben kämpfen. Der Heilungsprozess sei nicht immer optimal verlaufen, sagt Jordi. «Ärzte und Therapeuten sagten, dass es ein Wunder ist, dass ich nicht an den Rollstuhl gebunden bin», erzählt Jordi. Wer ihn heute sieht, käme nie auf die Idee, dass dies einmal der Fall war.

«Etwas Rechtes im Köcher»

Die Ausbildung zum Agrotechniker HF am Strickhof eröffnete Julius Jordi die Möglichkeit, mit einem Bein in der Landwirtschaft zu bleiben. Und weil sich im Verlauf der in diesem Frühjahr abgeschlossenen Ausbildung abzeichnete, dass Jordi zur Anicom wechseln würde, hat er seine Diplomarbeit zu einem Thema mit Bezug zum Schweine- und Rindviehhandel verfasst. «Da habe ich etwas Rechtes im Köcher», sagt Jordi. Er wolle versuchen, dies bei Anicom umzusetzen. Konkreter will er aber auch auf Nachfrage nicht werden.

Dass er beruflich einmal in einer führenden Position bei Anicom landen würde, damit hat Jordi nicht gerechnet. Aber er ist stolz darauf, bei einer Firma zu arbeiten, welche den Produzenten gehört. Momentan befindet er sich in der Einarbeitungsphase. Über Pläne in seiner neuen Funktion möchte er sich nicht im Detail äussern. Aber ein Ziel ist klar: Anicom Ostschweiz soll schlagkräftig bleiben und in einem Markt mit sinkenden Stückzahlen weiterhin seine führende Position behaupten.

Zahrleiche Herausforderungen

Julius Jordi ist froh darüber, dass er seine Stelle in einer für die Produzenten günstigen Situation antreten konnte. «Nach einer jahrelangen Durststrecke war 2020 für die Schweinebranche wieder einmal ein gutes Jahr. Das war aber auch bitter nötig», stellt er fest. Aber trotz der für die Produzenten gegenwärtig günstigen Situation: Herausforderungen, denen sich Jordi und die Anicom stellen müssen, gibt es mehr als genug.

Es gilt, griffige Massnahmen für die zweite Corona-Welle umzusetzen. Zudem sensibilisiert die Anicom die Produzenten auf Tierkrankheiten, die gefährlich werden könnten, zum Beispiel die Afrikanische Schweinpest. Und da wären noch die zwei Agrar-Initiativen, die 2021 zur Abstimmung kommen. Die Fenaco Genossenschaft hat klar Position gegen diese Initiativen bezogen. Sie gefährden die Existenz der Schweizer Landwirtinnen und Landwirte.

Angst um den Nachwuchs

«Eine Annahme einer dieser Initiativen würde die Schweizer Landwirtschaft um Jahrzehnte zurückwerfen», sagt Jordi. Und nicht zuletzt befürchtet er, dass sich immer weniger junge Landwirte für die Schweinezucht und -mast entscheiden. Der Ruf dieses wunderbaren Betriebszweiges habe etwas gelitten, bemerkt er.

Aber trotz aller Herausforderungen: Julius Jordi freut sich bereits jetzt auf den November 2021. Dann will er die Regionaltagung für die Anicom-Produzenten, die dieses Jahr wegen Corona ausfallen musste, nachholen.