Auf dem Risberg ausserhalb des 400-Seelen-Dorfs Wisen im Solothurner Jura betreibt Regula Bitterli das «Coiffeurstübli Risberger Hörlidieb». Der Coiffeurbesuch auf dem Bauernhof kommt in der Region so gut an, dass Bitterli kaum noch freie Termine hat. Besonders beliebt ist der Risberger Hörlidieb bei Kindern. «Für viele ist es ein Highlight», sagt Bitterli. Manche schauen sich noch auf dem Hof um oder machen einen Spaziergang. Wieder andere verbinden den Coiffeur mit einer Velotour durch die Juralandschaft.[IMG 2] 

Doch wie kommt eine Bauernfrau dazu, weitab von den geschäftigen Passantenströmen einen Coiffeursalon zu eröffnen? «Ich habe immer schon als Coiffeuse gearbeitet», sagt sie. 2010 zog sie vom Solothurner Niederamt nach Wisen. Anfangs fuhr sie noch hinunter ins Mittelland zur Arbeit. »Doch die Leute im Dorf meinten, ich solle doch hier Haare schneiden», sagt Bitterli.

2012 begann sie damit, jeweils am Abend auf dem Hof Kundschaft zu empfangen. Richtig los ging es aber erst 2014. Bei einer Renovation des Hofes wurde ein Zimmer zum Coiffeursalon umgebaut, und Bitterli gab ihren Posten als Geschäftsführerin in einem Coiffeurbetrieb in Aarau auf.

Inserate in Vereinsblättern

Am Anfang arbeitete sie jeweils drei Tage pro Woche im eigenen Salon und daneben noch drei Tage auswärts. Später wurden es vier Tage pro Woche. «Vor vier Jahren machte ich mich völlig selbstständig», sagt Bitterli. Zu Beginn kam ihre Kundschaft noch vor allem aus ihrer alten Heimat unten im Niederamt. Mittlerweile rekrutiert sich der Kundenstamm aber zu einem grossen Teil aus den Dörfern im angrenzenden Oberbaselbiet.

Gewonnen hat Bitterli diese durch Inserate in Vereinsblättern, zum Beispiel von den lokalen Schützengesellschaften und Musikvereinen. «Ich bin ein Vereinsmensch, und wenn jemand anfragt für ein Inserat, sage ich selten Nein», verrät Bitterli ihr Erfolgsgeheimnis. Sie selbst ist in der Dorfmusik Wisen aktiv.

Wichtiger Nebenerwerb

Für den Landwirtschaftsbetrieb, den ihr Mann Lorenz führt, ist Regula Bitterlis Arbeit als Coiffeuse mittlerweile überlebenswichtig. »Mein Mann hatte 2014 einen schweren Arbeitsunfall», sagt Bitterli. Damit fiel ein wichtiger Pfeiler im Haushalt der Bitterlis weg: Lorenz Bitterli hatte zuvor mit einem Nebenerwerb in der Holzerei ein Zusatzeinkommen erzielt. «Das geht nicht mehr», sagt Bitterli. Und einfach so eine neue Qualifikation zu erwerben, sei im Alter zwischen 50 und 60 Jahren nicht einfach. Zumal eine Arbeit im Dienstleistungssektor einem auch liegen müsse. «Wir wollten nie aufgeben», sagte Bitterli. «Mein Mann ist hier aufgewachsen, er kann sich nichts anderes vorstellen.»

[IMG 3]Auf dem Hof hatte sie schon immer selbst mit Hand angelegt. Es sind lange Tage: Bevor der Salon aufmacht, ist sie im Stall, nach dem Feierabend um 18.30 Uhr geht es wieder an die Arbeit auf dem Hof. Die grösste Schwierigkeit war für die Bitterlis aber nicht das Arbeitspensum, sondern der bürokratische Spiessrutenlauf, der mit Regula Bitterlis Selbstständigkeit losging. «Am Anfang habe ich einfach mal gemacht, aber mit der Selbstständigkeit wurde klar, dass es eine Bewilligung braucht», sagt Bitterli.

Betrieb vergrössert

Bewilligt werden musste zunächst die Umnutzung. Es brauchte ein Baugesuch und ein Konzept für das Abwasser, denn Bitterlis Hof ist nicht an die Kanalisation angeschlossen. «Bei uns geht alles ins Gülleloch», sagt Bitterli. Dieses sei bei einem Umbau 1998 zum Glück genügend gross gebaut worden.

Doch damit nicht genug: Um den Salon im Nebenerwerb auf dem Hof betrieben zu dürfen, muss der Hof selbst gross genug sein. Konkret muss der Landwirtschaftsbetrieb mindestens 0,75 Standardarbeitskräfte (SAK) geltend machen können, damit Regula Bitterli überhaupt in ihrem Haus Haare schneiden darf – sonst wäre ihr Gewerbe in der Landwirtschaftszone nicht zulässig.

«Eigentlich ein Witz»

Um auf die erforderlichen SAK zu kommen, mussten die Bitterlis den Landwirtschaftsbetrieb deshalb zugleich mit der Selbstständigkeit des Coiffeursalons aufstocken. Obstbäume wurden gepflanzt, ein Flecken Land dazugepachtet. «Dass ein Bauer, der gesundheitlich angeschlagen und deshalb auf den Nebenerwerb angewiesen ist, den Betrieb vergrössern muss, ist eigentlich ein Witz», findet Bitterli. Doch am Ende klappte es, und die Bewilligung war da.[IMG 4] 

«Ich habe sie laminiert und draussen aufgehängt», sagt Bitterli. Das Obst von den Bäumen wird gebrannt und der Schnaps geht zusammen mit Brot und Züpfe via Direktvermarktung an die Kundschaft in der Region. Wichtigstes Standbein ist aber die Mutterkuhhaltung. Zwölf Kühe halten die Bitterlis – dies auch wegen des Coiffeursalons: Nur mit dieser Zahl stimmt das Verhältnis von Gülle zu Abwasser. Mit weniger Vieh dürfte das Abwasser aus dem Salon nicht in die Güllegrube abgeführt werden.

Im Dorf die Liebe gefunden

Aufgewachsen ist Regula Bitterli selbst auf einem Bauernhof in Niedergösgen. Nach dem Tod des Verpächters wurde dieser aber verkauft und der Vater verfügte nicht über das nötige Kleingeld, um den Betrieb selbst zu übernehmen. Die Landwirtschaft war für die Familie danach nur noch ein Hobby, der Vater arbeitete anschliessend als Wegmacher.

Zurück in das Bauernleben brachte Bitterli ihre zweite grosse Leidenschaft, die Musik. Bei einem Auftritt in Wisen traf sie dort in der Beiz zum ersten Mal ihren Mann Lorenz. «Da wusste ich gleich: Der wird es», sagt sie. Heimweh nach dem Mittelland hat sie keines: «Heute bin ich hier daheim.»

Fünf Fragen

Worüber können Sie lachen?
Über lustige Witze oder eine Komödie.

Was rührt Sie zu Tränen?
Wenn ein Kalb in die Metz­gerei muss – frühmorgens, wenn der Viehtransporter kommt –, muss ich zum Stall raus ... es bricht mir jedes Mal das Herz.

Welches ist Ihr Lieblingslied und warum?
Ich liebe Märsche und Polkas, deshalb hatte ich auch im Jahr 2009 eine eigene Blaskapelle mit zehn Gspändli gegründet. Die Power Polka Band. Mein Lieblingsmarsch ist der Slaidburn, er ist einfach wundervoll. Und meine Lieblingspolka ist die Ku­schelpolka, «do god der s Härz uf».

Welche lebende oder tote Person würden Sie gerne einmal persönlich treffen?
Elvis Presley

Welches Kompliment freut Sie?
Wenn die Kunden mit meiner Arbeit zufrieden sind.