"Also Streiken ist nicht so meins", sagt Ruth Kobel und setzt sich an den Tisch. Sie sage zwar sehr direkt, was sie denke; auf die Strasse stehen, Plakate in die Höhe stemmen und Parolen rufen mag die Bäuerin trotzdem nicht.

Es ist Freitagmittag, als Ruth Kobel in Ersigen BE auf der Terrasse von Barbara Kunz Platz nimmt. Sie ist der Einladung ihrer Kollegin nur zu gerne gefolgt. Während in Bern, Zürich, Brugg und zahlreichen anderen Schweizer Städten Frauen ihre Arbeit niederlegen, hat Bäuerin Barbara Kunz aus Ersigen BE am Freitag Freundinnen zur Streikdiskussion geladen. Verhandeln will man grosse und kleine Themen – den Alltag mit Mann und Kindern ebenso wie das Bodenrecht, die soziale Absicherung, die politischen Positionen verschiedener Verbände und das Leben als Bäuerin. Gekommen sind neben Kobel auch Christine Gafafer, Christine Brügger, Karin Sommer, Rita Gfeller und Elisabeth Liechti. Später setzt sich dann noch Barbara Kunz' Tochter Christina an den Tisch.

Während in Bern, Zürich, Brugg und zahlreichen anderen Städten Frauen den Verkehr lahmlegen, lautstark Lohngleichheit und Gleichberechtigung fordern, diskutieren die Bauersfrauen darüber, was sie selbst machen können. Und sie sprechen darüber, was sie selbst alles richtig und falsch gemacht haben.

Mehr Möglichkeiten, mehr Rechtfertigungsdruck

Es dauert keine zehn Minuten, bis sich das Gespräch um Gewohnheiten und um gesellschaftliche Erwartungen dreht. Die Frauen erzählen, wie schwierig es manchmal sein kann, mit den Schwiegereltern unter einem Dach zu leben. Sie erzählen davon, wie sie sich während den letzten Jahrzehnten laufend mehr Freiraum erkämpften – und wie selbst heute die Teilnahme am Frauenstreik Reaktionen auslöse, die man erst einmal aushalten müsse. Dasselbe gelte auch, wenn es um Lebensformen gehe – etwa in Sachen Erwerbssituation oder Kinderbetreuung. Man ist sich schnell einig, dass die "Vielfalt der Modelle stark zugenommen hat", wie es Rita Gfeller formuliert. Dadurch gibt es mehr Optionen, die zur Verfügung stehen. Aber wer den eigenen Weg geht, muss damit zurechtkommen, dass es weniger Menschen gibt, die den gleichen Weg beschreiten und muss sich entsprechend öfter rechtfertigen.

Davon können die Frauen am Tisch ebenfalls ein Lied singen. Sie stören sich daran, dass der Schweizerische Bauernverband in Sachen Gleichstellung mauert. Und sie wissen um die Tatsache, dass selbst innerhalb der Bäuerinnen keinesfalls Konsens darüber herrscht, ob man am Frauenstreik teilnehmen soll, oder nicht. Gründe um daran zu zweifeln, gibt es viele – etwa die im Vergleich zum Ausland privilegierte Situation der Schweizerinnen, die Feststellung, dass jeder selbst für seine Gleichberechtigung verantwortlich ist, Bequemlichkeit oder schlicht die fehlende Lust, sich für irgendetwas stark zu machen. In manchen Facebook-Gruppen geht deshalb seit ein paar Tagen regelrecht die Post ab. Und immer gehe es um Grundsätzliches. "Manche schreiben, dass man besser im Sudan demonstrieren geht", sagt Barbara Kunz. "Dort wäre es auch wirklich nötig", fügt sie an.

Starre Rollenvorstellungen

Das Argument sticht – allerdings nicht richtig. Barbara Kunz und ihre Kolleginnen sind nämlich überzeugt, dass in der Schweiz und gerade in der Landwirtschaft nicht alles zum Besten steht. "Die Bauernschaft hat schon eine relativ konkrete Idee davon, was eine Bäuerin sein soll", sagt Kunz. Es ist ein Rollenverständnis, das über die letzten Jahrhunderte gewachsen ist. Und eines, das von Generation zu Generation weitergegeben, verändert und angepasst wird. Tochter Christina Kunz sagt von sich, dass sie eher konservativ sei - und im Falle einer Familiengründung zunächst dem Kind schauen und erst später wieder als Milchtechnologin arbeiten wolle. Die Frauen am Tisch lachen, als sie erzählt, dass sie dann auch einen richtigen Vatertag einführen möchte. "Dann aber mit Waschen und Putzen", sagt Ruth Kobel und spielt darauf an, dass bei vielen Vatertagen Lustiges und Unterhaltsames im Vordergrund stehen - Waschen und Putzen bleibt trotzdem Frauensache. Rita Gfeller betont, dass es nicht schaden würde, wenn auch Männer lernen, wie anstrengend es sein kann, Kinder gross zu ziehen.

Zu wenig hat sich verändert

Den Kaffee serviert Barbara Kunz in alten Tassen, die sie irgendwo in einem Lager fand. "Die Tassen sind mindestens dreissig Jahre alt", sagt Kunz. Sie braucht sie nur bei speziellen Gelegenheiten – und der Frauenstreik ist so eine Gelegenheit. Betrachtet man die derzeitige Situation, ist nicht ausgeschlossen, dass sie in 28 Jahren beim nächsten Frauenstreik wieder auf dem Tisch stehen werden. Wie nämlich Christine Brügger sagt, hat sich seit dem letzten Frauenstreik wenig bewegt, was die Situation wirklich verbessert hätte – zu wenig aus ihrer Sicht.