Jürg Niklaus, woran denken Sie am Morgen zuerst: ans Frühstück oder an Agrarpolitik?
Jürg Niklaus: Unter der Woche bin ich ein karger Frühstücker. Am Sonntag nehme ich mir die Zeit, mit meiner Frau und unseren drei Töchtern ausgiebig zu brunchen. So denke ich unter der Woche meistens zuerst an die Agrarpolitik bzw. als Anwalt ans Agrarrecht, meine berufliche Leidenschaft.
Sie sind Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Agrarstandort Schweiz und verlangen vom Bund, rechtzeitig handelspolitische Optionen zu entwickeln und aufzuzeigen. Fällt es Ihnen schwer, gegen den Strom zu schwimmen?
Nein. Gegen den Strom zu schwimmen, schärft die Sinne. Wer Optionen hat, bleibt handlungsfähig. Wer keine hat, ist ausgeliefert. Dann übernehmen andere die Entscheide. Die Schweizer Landwirtschaft liegt mir am Herzen. Ich möchte mich dafür einsetzen, dass sie Vertrauen in die Zukunft hat.
Dann haben Sie ja jetzt genügend Trainingsgelegenheiten – in Bezug auf internationale Handelspolitik wird heute protektionistischer gehandelt, als noch vor zehn Jahren.
Mir scheint, dass vor allem die Taktik und die Rhetorik verschiedener handelspolitischer Akteure protektionistisch ausgerichtet sind. Insgesamt strebt man jedoch fairere und durchaus auch offenere Handelsbeziehungen an. Mit protektionistischen Parolen will man die anderen Akteure unter Druck setzen und zu Konzessionen bewegen. Gleichzeitig wird überall sondiert und verhandelt. Soeben hat die US-Regierung dem Kongress eine Erklärung vorgelegt, dass mit der EU, mit Grossbritannien und mit Japan über ein Handelsabkommen gesprochen werden soll. Das Thema bleibt somit auf der Traktandenliste.
Agrarpolitisch versucht die Igas seit zehn Jahren, Optionen aufzuzeigen und Handlungsspielraum für die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft zu schaffen. Mit Erfolg?
Unsere Botschaft richtet sich ja nicht nur an die Politik, sondern auch an die Akteure der Land- und Ernährungswirtschaft. Der Dialog ist entscheidend. Unsere Botschaft wird in der Branche wahrgenommen. Und sie bleibt wichtig, etwa bei strategischen Entscheiden der Betriebe. Welche Märkte werden bearbeitet, welche Investitionen getätigt? Aber es ist schon so, dass wir von der Politik mehr Gestaltungswillen und Dynamik erwarten, auch was das Thema Nachhaltigkeit betrifft.
Politisch ist eine gute Verteidigungsstrategie doch erfolgversprechender, als ein gutes Angriffsspiel, nicht?
Dass die Liberalisierung der Agrarpolitik zumeist von aussen kam, bestreitet niemand. Das ist ja sowieso ein helvetisches Verhaltensmuster. Nicht umsonst haben die wichtigsten Jahreszahlen in unseren Geschichtsbüchern mit internationalen Ereignissen zu tun. Und wenn man die aktuellen handelspolitischen Entwicklungen genauer betrachtet, ist es nicht unwahrscheinlich, dass wir uns schon bald wieder in einer solchen Situation befinden. Da bezweifle ich, dass eine Verteidigungsstrategie noch die richtige ist. Die Welt um uns herum bleibt ja nicht stehen.
Bisher ist die Schweiz sehr Europa- und USA-orientiert. Was ist mit China und Südamerika?
China und Südamerika sind wichtige Absatzmärkte für unsere Exportwirtschaft. So ist es verständlich, dass sie einen diskriminierungsfreien Zugang zu diesen Märkten will. Schliesst die EU mit dem Mercosur ein Handelsabkommen ab, so will unsere Wirtschaft möglichst zeitgleich ein gleichwertiges Abkommen für die Schweiz. Unsere Land- und Ernährungswirtschaft kann sich dieser Entwicklung nicht entziehen. Sie sitzt im Seitenwagen der Wirtschaft und hat auch selber offensive Interessen, etwa beim Käse. Wir müssen schauen, wo wir Ausnahmen und Übergangsfristen aushandeln können. Wir sollten rechtzeitig sinnvolle Begleitmassnahmen vorbereiten und uns ganz allgemein für gute Standortbedingungen einsetzen, die uns im internationalen Wettbewerb stärken.
Wenn die Igas etwas zur Ausgestaltung der Agrarpolitik sagt, heisst es oft, sie würde die Landwirtschaft abschaffen wollen. Kränkt Sie das?
Würde mich solche Polemik kränken, wäre ich weder Anwalt noch Igas-Geschäftsführer geworden. Vor zehn Jahren war die Marktöffnungsdebatte viel aufgeladener. Wir verstanden uns jedoch nie als Kampforganisation, wie vermutet wurde, sondern als breite Dialogplattform. Heute wird die Debatte offener geführt. Die Marktakteure spüren, dass die hiesigen Agrarmärkte zum Teil schon heute offen sind. Schon heute zieht kühle Luft ins Haus. Man muss sich also bewegen. Das betrifft unterdessen selbst jene Bereiche, welche noch geschützt sind.
Angenommen, Sie sind zu einem Abendessen bei Ihren Eltern eingeladen und erfahren, dass sie gleichentags mit dem US-Handelsminister über neue Handelsbeziehungen diskutieren könnten: Wem geben Sie Vorrang?
Holt meine Mutter ihre bewährten Kochrezepte hervor, wird es schwierig! Als ehemaliger Suisseporcs-Präsident und langjähriges Vorstandsmitglied des SBV würde mir mein Vater die Entscheidung jedoch rasch abnehmen: du wirst ja wohl wissen, wo du an diesem Abend hingehörst! Oft fahre ich bei der Rückfahrt von solchen Anlässen noch bei den Eltern vorbei, auch wenn es spät wird. Dann wird ein schmackhaftes Plättli und ein kühler Möhl serviert – wunderbar!
Interview (schrift.) Hansjürg Jäger