«Die Tierhaltung ist weiterhin wichtig, gerade für eine standortangepasste Nutzung des Graslands», betonte Christian Hofer. Der Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) erläutere an einer Medienkonferenz die Eckpunkte der neuen Klimastrategie Landwirtschaft und Ernährung 2050 (KSLE). Sie umfasst drei Oberziele (siehe Kasten) und einen Strauss von Massnahmen in den Stossrichtungen «Wissen erweitern», «Beteiligung stärken» und «Politik kohärent weiterentwickeln».  Es handelt sich um eine Aktualisierung der Klimastrategie von 2011, ist allerdings im Gegensatz zu jener als Zusammenarbeit dreier Bundesämter (BLW, BLV und Bafu) entstanden. Sie solle alle Stellen von Produktion bis Konsum einbeziehen.

Keine neuen Empfehlungen zum Fleischkonsum

Wenn Klimaschutz und Bund in einem Satz genannt werden, steht die Frage nach Fleischkonsum und der tierischen Produktion sofort im Raum. «Seit Jahren empfehlen wir zwei bis maximal drei Portionen Fleisch pro Woche», gab Michael Beer vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) zu bedenken. Das habe sich nicht geändert und werde es auch nicht im Zuge der laufenden Revision der Schweizer Lebensmittelpyramide. «Was sich aber auch nicht geändert hat», fuhr Beer fort, «ist, dass wir heute dreimal zu viel Fleisch essen». Das soll sich nun dank der KSLE ändern – aber ohne jemanden auf den Teller zu greifen, wie Christian Hofer betonte.

«Wir essen heute dreimal zu viel Fleisch»

Michael Beer, BLV, über den Schweizer Fleischkonsum

Wissen und Rahmenbedingungen schaffen

Ressourcenprojekt Klimastar Milch234 Milchvieh-Betriebe sind schon im ersten Jahr klimafreundlicher gewordenDonnerstag, 3. August 2023 Innovation, Motivation und Selbstverantwortung – darauf fusst die KLSE. Sie will den nötigen Wandel ohne harte Vorschriften erreichen. Auf die Frage, ob er ernsthaft an ein Gelingen dieses Vorgehens glaube, zeigte sich Hofer davon überzeugt. Er will primär das nötige Wissen und die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, damit die Akteure von Produktion bis Konsum von selbst aktiv werden. Ein mehrfach genanntes Beispiel für solchen Klimaschutz innerhalb der Branche ist das Projekt Klimastar Milch.

Mehr Acker- statt Futterbau

Die Landwirtschaft ist von den meisten Teilzielen und vielen Massnahmen der KSLE betroffen, etwa durch die vorgesehene Anpassung des «Produktionsportfolios». «Im Sinne der Ressourceneffizienz folgt die landwirtschaftliche Produktion dem Prinzip der Flächennutzung für Lebensmittel statt für Tierfutter», steht dazu in der Strategie und weiter: «seit langem bestehendes Grasland soll soweit möglich erhalten bleiben». Zusätzliche Ackerfläche zu generieren, sei ein «dynamischer Prozess», erklärte Christian Hofer auf die Frage, wie denn die pflanzliche Produktion auszubauen sei. 80 Prozent der Schweizer Landesfläche seien Grasland (60 Prozent der LN plus das Sömmerungsgebiet), gleichzeitig würden aber 60 Prozent der Äcker futterbaulich genutzt. Hier soll mehr Pflanzenbau direkt für die menschliche Ernährung betrieben werden. Zu Reduktion der Nahrungsmittel- und Flächenkonkurrenz sieht die KSLE ein Forschungs- und Dialogprojekt vor, das mit Zeithorizont 2026+ Reduktionspotenziale zu Tage fördern soll.   

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Tiere gehören selbstverständlich dazu

Die Autoren der KSLE sind sich bewusst, dass eine Veränderung der Produktion synchron mit jener der Nachfrage vonstatten gehen muss. Eine für die Praxis passende Umsetzung der Strategie werde vom BLW viel Flexibilität erfordern, sagte Nicole Ramsebner von IP-Suisse mit einem bedeutungsvollen Blick zum BLW-Direktor. Weil die Nachfrage nicht mit der Anbaubereitschaft mithält, müsse IP-Suisse im Moment Produzenten für Speisehafer, Emmer und Quinoa auf eine Warteliste setzen. «Ausserdem sind tierische Produkte eine wichtige Einnahmequelle», fuhr die IPS-Mitarbeiterin fort. «Für uns ist es selbstverständlich, dass Tiere auf einem integrierten Hof auch in Zukunft Platz haben – idealerweise sogar mehr Platz, denn es sollen ja ein paar weniger werden.» Wirtschaftlich müsse es dann aber auch aufgehen, der Markt oder der Staat müssten bei der Bewältigung der Kosten helfen.

«Tierische Produkte sind eine wichtige Einnahmequelle»

Nicole Ramsebner, IP-Suisse, erinnert an die Wirtschaftlichkeit

Was ist für die Tierhaltung vorgesehen?

Zwar beinhaltet die KSLE zu den einzelnen Massnahmen auch Indikatoren, die der Überwachung der Zielerreichen dienen sollen. Sie beziffert aber nicht, wie stark der Tierbestand in der Schweiz zu reduzieren sei. Es ist die Rede von «widerstandsfähigen Rassen» und die Förderung einer längeren Nutzungsdauer gemessen an der Anzahl Abkalbungen (statt der Lebenstagleistung) macht klar, dass extensives Rindvieh im Fokus stehen dürfte. Gleichzeitig machte BLW-Direktor Christian Hofer auf die Erkenntnisse aus dem Projekt Klimastar Milch aufmerksam, bei dem die Branche sich um tiefere Emissionen und weniger Nahrungsmittel- sowie Flächenkonkurrenz bemüht. Die Resultate daraus würden für die Weiterentwicklung der KLSE bzw. deren Umsetzung berücksichtig, so Hofer. Ein zentraler Hebel ist bei Klimastar allerdings die Effizienz, die mit einer hohen Milchleistung pro Tier verbunden ist.

Genug Schweizer Milch dürfte weiter im Rahmen der KLSE auch ein Anliegen sein. Denn wie Hofer bemerkte, empfehle die überarbeitete Lebensmittelpyramide eine Portion Milch mehr als die aktuelle.

«Mit der Anzahl Wiederkäufer sind wir bezüglich Futtergrundlage auf einem guten Level, weil vor allem Raufutter verfüttert wird», ergänze Lukas Kilcher an der Medienkonferenz die Ausführungen des BLW-Direktors. Anders sehe es bei den Schweine- und Geflügelbeständen aus, deren Futter vom Acker oder aus dem Ausland stamme. Als Futterquelle für Schweizer Nutztiere nennt die KLSE grundsätzlich «Grasland ausserhalb der Ackerfläche» und unvermeidbare Verluste aus der Lebensmittelherstellung.  

Keine Millionen für TV-Werbung

Bericht «Aufgedeckt»Wie Fleischwerbung funktioniert – und was Proviande anders machtMittwoch, 5. Januar 2022 Lorenz Hirt, Geschäftsführer der Föderation Schweizer Nahrungsmittelindustrien (Fial) machte die Unterstützung seiner Organisation für die KLSE klar. Das Hauptproblem sehe er aber in den zunehmend auftretenden Zielkonflikten, z. B. zwischen Lebensmittelsicherheit bzw. Gesundheit und Ökologie. «Der Bund schreibt neu Blühstreifen am Feldrand vor», gab Hirt ein Beispiel. Diese würden aber das Risiko für Mutterkorn im Getreide erhöhen und dass gleichzeitig ein anderes Bundesamt die Höchstwerte für Mutterkorn senke, sei schwierig. Die Mitglieder der Fial werden laut Hirt die Umsetzung der KSLE mit weiteren Innovationen unterstützen. «Wir haben bereits vegane Alternativen für fast alles und es geht weiter, z. B. in Richtung zelluläre Landwirtschaft.» Es sei aber nicht die Aufgabe der Fial-Mitglieder, die Konsumenten zu erziehen, betonte Hirt. Dafür will das BLV mit transparenten Informationen arbeiten, «aber wir planen keine 10 Millionen Franken für TV-Spots», so Michael Beer.

«Die Erziehung der Konsumenten ist nicht unsere Aufgabe»

Lorenz Hirt, Fial, über den Beitrag der Lebensmittelindustrie

Handeln kommt auf jeden Fall günstiger

Eben diese Konsumenten seien beim Ganzen die wichtigsten Player, hielt Ebenrain-Direktor Lukas Kilcher fest. Er legte als Delegationsleiter Klima der Konferenz der Landwirtschaftsämter (Kolas) die Sicht der Kantone dar. Die KLSE sei ein «guter Startpunkt» und man freue sich auf die weitere Zusammenarbeit mit den Bundesämtern.

Die Strategie zeige die Grundzüge des möglichen Wandels bis 2050, betonte Christian Hofer abschliessend die langfristige Perspektive. Mehrfach machte er klar, man wolle die Bauernfamilien unterstützen. Es gehe um die Sicherung der Produktionsgrundlagen in der Schweiz, ohne negative Auswirkungen ins Ausland zu verlagern. Zu den Kosten gibt sich die KSLE vage, zu Handeln sei aber sicher günstiger als auf die Folgen eines ungebremsten Klimawandels reagieren zu müssen. Grob rechnet man laut Christian Hofer mit plus/minus 100 Millionen Franken.

Weitere Informationen und die vollständige Klimastrategie finden Sie hier.


Ziele und Massnahmen

Die KLSE nennt drei Oberziele bis 2050:

Selbstversorgungsgrad: Mindestens 50 Prozent des inländischen Nahrungsmittelbedarfs aus Schweizer Produktion, die das Standortpotenzial und die Tragfähigkeit der Ökosysteme berücksichtigt.

Ernährung: Reduktion des Treibhausgas-Fussabdrucks der Ernährung pro Kopf um mindestes 2/3 gegenüber 2020. Gesund und ausgewogen, umwelt- und ressourcenschonend.

Klimaschutz: Treibhausgasemissionen aus der Schweizer Landwirtschaft gegenüber 1990 um mindestens 40 Prozent reduzieren, den Rest so weit wie möglich ausgleichen.

Weiter gibt es acht Teilziele mit verschiedenen Massnahmen, von denen im Folgenden nur einige genannt werden. Manche davon sollen auch nur geprüft bzw. Wissen dazu zusammengetragen werden.

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Ressourcenschonender Konsum: Revision der Absatzförderung, prüfen einer freiwilligen Klimakennzeichnung für Lebensmittel, Vorschläge für bessere Kostenwahrheit.

Reduktion Food Waste: Umsetzung des Aktionsplans.

Handelsbeziehungen: Analyse des Grenzschutzes, prüfen von Importerleichterungen basierend auf Umweltstandards.

Produktionsportfolios: Reduktion der Nahrungsmittel- und Flächenkonkurrenz, Acker- statt Futterbau, Direktzahlungen und Marktzulagen gezielter einsetzen, neue Beratungs- und Weiterbildungsangebote, Einschätzung der Tiergesundheit dank Digitalisierung verbessern, Strukturverbesserungen für ressourcenschonende Bauten, Anlagen und Maschinen, Stärkung von Pflanzenbau und Züchtung, Revision Sortenprüfung.

Nährstoffe: Absenkpfad Nährstoffe umsetzen, Revision der betrieblichen Nährstoffbilanz, Förderung des Ammoniakrechners.

Wasser: Austauschplattform, Leitfaden und Konzept zur Bewässerung.

Boden: Gezielte Beratung, betriebliche Humusbilanz fördern, Leitfaden für Moorböden («im Einzelfall» renaturieren), Agroforst unterstützen, Pflanzenkohle erforschen.

Energie: Energieeffiziente Maschinen und Gebäude, Erneuerbare Energieproduktion, Revision der Mineralölsteuer, betriebliche Energieberatung.  


Viel Zustimmung, einiges an Kritik vom SBV

Verschiedene Organisationen melden sich nach Veröffentlichung der Klimastrategie Landwirtschaft und Ernährung 2050 (KLSE) in Mitteilungen zu Wort.

Schweizer Bauernverband (SBV): Der SBV bewertet es positiv, dass der Bund Anpassungen an den Klimawandel thematisiert. Die Bemühungen zu einer Reduktion der tierischen Produktion und Lenkung des Konsums seien hingegen «problematisch». Man lehne eine politisch gesteuerte Schwächung der einheimischen Tierhaltung ab, zumal gemäss Ernährungsempfehlungen mehr Milchprodukte konsumiert werden sollten und es eine Nachfrage für tierische Produkte gebe. Die Idee, Importe von Produkten mit hohen Umweltstandards zu erleichtern, hält der SBV für kontraproduktiv. Weiter sei die Finanzierung nicht geregelt: «Mit einer reinen Umverteilung der bestehenden Mittel lassen sich die geplanten Massnahmen nicht umsetzen.»

Bio Suisse: Der Dachverband geht davon aus, dass die KSLE wichtige Entwicklungen ermöglichen und der Biolandbau davon profitieren wird. Man bedaure aber, dass die Strategie stark verspätet fertiggestellt worden sei und das Parlament sich geweigert habe, das Thema Systematisch in die Agrarpolitik 2022-2030 aufzunehmen. Bio Suisse hält fest, selbst schon länger auf dem Weg in Richtung eines klimafreundlichen Ernährungssystems zu sein. Ein erstes Programm 2022 bis 2025 schaffe Grundlagen und vermittle Wissen für das Netto-Null-Ziel bis 2040. «Die nächsten Schritte befinden sich in Entwicklung.»

Konferenz der kantonalen Landwirtschaftsdirektoren (LDK): «Die künftige landwirtschaftliche Produktion soll immer noch von den Konsumenten nachgefragt, neu klimafreundlicher sein und den Landwirten mehr Wertschöpfung bringen», fasst die LDK ihre Vision zusammen. Sie begrüsst die KSLE, sie passe gut zu den zahlreichen kantonalen Klimaaktionspläne. Man würde sich aber wünschen, dass der Konsument und sein Kaufverhalten noch stärker im Fokus des Bundes stünde. Es gelte ausserdem, Zielkonflikte anzugehen.

Agrarallianz: Da die KSLE von mehreren Bundesämtern gemeinsam ausgearbeitet worden ist, zu den Entwicklungszielen der UN passe, eine Systemperspektive einnehme und eine produktive Landwirtschaft ins Zentrum stelle, hält sie die Agrarallianz für «richtungsweisend». Darauf aufbauend könnten nun die Direktzahlungen weiterentwickelt werden. Sie sollen flexibler und einfacher umsetzbar werden und weniger Fehlanreize bieten.

Kleinbauern-Vereinigung, Slow-Food, Vision Landwirtschaft: Die grossen Hebel – namentlich Verarbeiter, Handel und Konsum – packe die KSLE nur ungenügend an, finden die drei Organisationen. Es sei nicht sinnvoll, mit einer grossen Anzahl Massnahmen primär bei der Landwirtschaft anzusetzen. Die gemeinsame Mitteilung wird damit begründet, man verfolge gemeinsame Ziele für eine nachhaltige, gesunde und klimafreundliche Ernährung und Landwirtschaft aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven. «Durch die gemeinsame Kommunikation soll mit grösserer Kraft zu einer konstruktiven Lösungsfindung und einem breiten Dialog beigetragen werden.»

Animal Rights Switzerland, Sentience Politics, Vegane Gesellschaft Schweiz, Tier im Recht: Die Tierschutzorganisationen melden sich gemeinsam und sind sich einig: Die Tiere können von einer Reduktion der Bestände profitieren. In Anbetracht der Umweltprobleme und «unhaltbarer» Lebensbedingungen von Nutztieren ist für sie die KSLE aber viel zu wenig ehrgeizig.

Sustainable Development Solutions Network (SDSN): Die Klimastrategie sei auf den falschen Zeithorizont ausgerichtet, kritisiert das Netzwerk für Nachhaltigkeitslösungen. Im Einklang mit den internationalen Sustainable Development Goals (SDGs) müssten die Schweizer Klimaziele bereits 2030 statt erst 2050 erreicht sein. Weniger Treibhausgas-Emissionen würden sogar den Selbstversorgungsgrad erhöhen, bemerkt das SDSN.