«Umweltschutz mit den Bauern – nicht gegen sie» lautet der bezeichnende Titel des Kommentars in den Blättern von Tamedia (Bund, Berner Zeitung, Tages-Anzeiger usw.). Den Umweltschützern sei es unbenommen, weitere Volksinitiativen mit Maximalforderungen zu lancieren, so der Kommentator Stefan Häne. Ob sie damit an der Urne je reüssieren könnten, sei indes zweifelhaft. Immerhin hätten sie nach dem wüsten Streit um die Agrarinitiativen erkannt, dass der Bauer als Feindbild nicht taugt. «Die aktuelle Kampagne war weniger aggressiv, die Debatte sachlicher». Diese Einsicht sei jedoch zu spät gekommen: Bauern und Wirtschaft seien da längst eine Allianz eingegangen.

Tages-Anzeiger: «Vielleicht ein Anfang für neue Projekte»

Der Journalist hat auch gleich ein Rezept für die Reformanhänger zur Hand. «Erfolg versprechender wäre es für die Zukunft, politisch dort zu investieren, wo es Berührungspunkte gibt, etwa bei der Frage, wie sich der Absatz von Schweizer Labelfleisch steigern lässt», schreibt Häne. Konventionelles, dazu oft ausländisches Fleisch sei heute im Vergleich viel zu günstig.

Hier brauche es Korrekturen, denn der Preis diktiere letztlich, was gekauft wird. Diese Erkenntnis sei zwar nicht neu. «Vielleicht ist sie aber ein Anfang für neue Projekte, die Bauern und Umweltschützer gemeinsam tragen», so das Fazit.

NZZ: «Kontraproduktive Vorlage»

Auch die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) hat eine klare Meinung zum Ergebnis: «Die abgelehnte Vorlage war kontraproduktiv und zielte am eigentlichen Problem vorbei: Wer über Tierhaltung reden will, muss auch über den Fleischkonsum reden», so der Kommentator David Biner.

Die 36 Prozent Ja-Stimmende, bezeichnet er als «Sieger der Herzen». Sie hätten keine Hemmungen, Bauern und Fleischproduzenten zu gängeln, trauten sich aber nicht, über die Gründe für den hohen Fleischkonsum zu reden, so die NZZ: «Denn nominal steigt der Fleischkonsum in der Schweiz nur, weil die Bevölkerung seit Jahren massiv wächst. Pro Kopf sinkt er seit geraumer Zeit und liegt deutlich unter dem Konsum der Nachbarländer».

Watson: «Eier und Fleisch wären Luxusprodukte geworden»

«Nun müssen wir das Tierwohl eben kaufen», betitelt das Newsportal Watson seinen Kommentar. Eine Annahme der Initiative hätte laut Chefredaktor Maurice Thiriet die Produktionskosten im Inland in prohibitiver Weise erhöht und gleichzeitig Importe verunmöglicht. Fleisch, Eier und Milchprodukte wären zum Luxusgut für die oberen Zehntausend geworden.

Dass die unredliche Initiative abgelehnt worden ist, möge aus Klima- und Tierschutzsicht zwar bedauerlich sein. Aber die auf den ersten Blick tiefe Zustimmung von rund einem Drittel der Stimmberechtigten sei doch eine gute Basis, die inländische Fleischproduktion in tier- und klimafreundlichere Gefilde zu lenken.

«Eklatanter Vollzugsnotstand beim Tierschutzgesetz»

Dieses Drittel solle sich nun organisieren, via NGOs und Medien Druck machen, «um den eklatanten Vollzugsnotstand des eigentlich sehr strengen schweizerischen Tierschutzgesetzes zumindest auf lokaler und regionaler Ebene zu lindern».

Es solle sich politisch engagieren, um die Subventionen für tier- und umweltfreundliche Fleischwirtschaft weiter zu erhöhen. Und vor allem soll das Drittel via die Regale von Migros und Coop auf die Art und Weise der landwirtschaftlichen Produktion einwirken. «Wo die Nachfrage fehlt, wird das Angebot unweigerlich zurückgehen», so der Watson-Chef.

Blick: «Eine Niederlage mit Ansage»

Für den «Blick» war es eine «Niederlage mit Ansage». Die Initiative sei zu extrem gewesen, als dass sie eine Chance gegen den geballten Widerstand von Bauern und Wirtschaft gehabt hätte, schreibt Lea Hartmann. Doch den Initiant(innen) sei es gelungen, eine wichtige Diskussion ins Rollen zu bringen. «Seien wir ehrlich: Wir wissen oft nicht, woher das Fleisch auf unserem Teller kommt. Und vor allem: Wir wollen es gar nicht so genau wissen.»

Die Abstimmung habe in dieser Hinsicht Fakten geschaffen. Jeder oder jede könne essen, was sie/er will. «Aber wer sagt, ihm liege das Tierwohl am Herzen, darf nicht länger die Augen davor verschliessen, wie das Schwein gelebt hat, das er als Plätzli verspeist», so die «Blick-Redaktorin. Hier sieht sie auch die Bauern und Verarbeiter in der Pflicht: «Heute wollen sie den Konsumenten die Wirklichkeit in Ställen und Verarbeitungsbetrieben verschweigen – aus Angst, uns würde dadurch der Appetit aufs Pouletbrüstli vergehen», schreibt Hartmann, «was wir jetzt brauchen, ist mehr Mut zur Realität».

Le Temps: «Kluft zwischen Stimm- und Konsumverhalten»

Der Westschweizer «Le Temps» weist auf die Kluft zwischen dem Markt für Bio-Fleisch, der 6 Prozent ausmacht, und den 37 Prozent der Wähler(innen) hin, welche die Initiative zur Einführung von Bio-Produktionsstandards angenommen haben? Diese Diskrepanz zeige die Widersprüche zwischen der Stimmabgabe der Bürger und ihren Gewohnheiten als Kunden auf, die nicht bereit sind, den Preis für Ökologie und Tierschutz zu zahlen.

Zwischen den Verbrauchern, die meist aus der Stadt kommen, und den Erzeugern klaffe nach wie vor eine große Lücke, bilanziert Redaktor Michel Guillaume: «Erstere haben eine idyllische Vorstellung von der Landwirtschaft und kennen meist die Regeln des Marktes nicht, der von den Einzelhändlern beherrscht wird, die ihre Gewinnspannen eher durchsetzen als verhandeln. Letztere haben ihrerseits Schwierigkeiten, einen komplexen Beruf zu erklären, der sowohl technische als auch finanzielle Kompetenzen bei der Verwaltung eines Hofs erfordert».

Wie überall gebe es auch unter den Bauern einige schwarze Schafe. Die Videos mit den schockierenden Bildern der Befürworter der Initiative hätten dies gezeigt. Aber anstatt die Debatte zu fördern, verzerrten sie sie. Ein ganzer Berufsstand werde an den Pranger angeklagt, das Tierwohl zugunsten der Rentabilität zu opfern.

«Die Branche macht zwei Fehler»

Die Branche mache zwei Fehler, so das Fazit des Westschweizer Journalisten: «Zum einen werden Fälle von Tierquälerei zu oft totgeschwiegen, obwohl sie in der Regel schnell in den Kreisen der Betroffenen bekannt werden. Andererseits suchen die Landwirte nicht ausreichend den Dialog mit ihren Kunden und Verbrauchern, um offensiv zu informieren. Man hört sie nur in solchen Abstimmungskampagnen, wenn sie in die Defensive gedrängt werden».

Es sei dieser Dialog, den man dringend wieder aufnehmen müsse, so der Kommentator. Dies lieber anlässlich eines Glas Weins im analogen Raum, als in den sozialen Netzwerken, «die nur die Fronten polarisieren».