Seit gut 100 Tagen ist der Waadtländer Cédric Moullet (49) Leiter des Direktionsbereichs Digitalisierung und Datenmanagement im Bundesamt für Landwirtschaft (BLW). Wir wollten von ihm wissen, wo die Digitalisierung in der Landwirtschaft steht und wie er die Kritik der Bauern kontert.
Herr Moullet, Sie waren für das Covid-Zertifikat und die Digitalisierung des SAC verantwortlich. Wie hat es Sie in die Landwirtschaft verschlagen?
Cédric Moullet: Ich bin auf dem Land in der Gros-de-Vaud (Waadt) aufgewachsen und habe bis heute Freunde, die Bauern sind. Ich habe dann Kultur- und Vermessungsingenieur gelernt und bin schnell in den digitalen Bereich gekommen. Das BLW ist ein Amt , welches der Digitalisierung eine hohe Bedeutung gibt, das hat mich gereizt. Und natürlich habe ich mich schon immer für technologische Entwicklungen, den Umgang mit natürlichen Ressourcen oder Ernährung interessiert
Sie sind seit gut 100 Tagen im Amt, wie lautet Ihre erste Bilanz zum Stand der Digitalisierung in der Landwirtschaft?
Es gibt einen Vergleich mit der Autoindustrie, der mir gut gefällt. Es gab früher den Mechaniker, dieser heisst heute Mechatroniker. Ich denke diese Bewegung werden wir auch in der Landwirtschaft sehen, es wird auch hier immer mehr Richtung Mechatroniker gehen. Die Landwirte und Landwirtinnen werden immer mehr der Technik umgehen können müssen, beispielsweise mit Herdenmanagementsystemen.[IMG 2]
Braucht es eine neue Landwirtschaftsausbildung?
Es braucht nicht eine neue Ausbildung sondern eine Weiterentwicklung der aktuelle Ausbildung. Die mangelnde Ausbildung im Digitalisierungsbereich ist einer der Gründe für die Skepsis der Bauern. Um die Vorteile der Digitalisierung zu erkennen, braucht es Ausbildung und Gewohnheit.
Kürzlich haben Sie an einer Versammlung von Milchbauern referiert. Dort schlug Ihnen viel Skepsis entgegen, Stichwort «gläserner Bauer». Hat Sie das überrascht?
Überrascht war ich nicht. Diese Skepsis ist normal. Die Digitalisierung hat nicht all ihre Versprechen erfüllt. Typischerweise müssen die Landwirte heute die gleichen Daten in verschiedenen Systemen mehrfach erfassen. Zudem wissen sie nicht immer genau, was mit diesen Daten passiert und sie haben datenschutzrechtliche Bedenken.
Verstehen Sie die Skepsis?
Ja, die Entwicklung geht sehr schnell und ein Landwirt ist berechtigterweise bei den Tieren oder auf dem Feld als am Computer. Jetzt müssen wir versuchen, besser zu erklären, was wir tun und die Systeme benutzerfreundlicher gestalten. Die Digitalisierung muss die Landwirtschaft dienen und nicht umgekehrt.
Wurden hier auch Fehler gemacht bei der Einführung der Digitalisierung in der Landwirtschaft?
Ich würde nicht von Fehlern sprechen. Zusammen mit den Kantonen hat das BLW hat sehr früh angefangen mit Digitalisierung und hatte eine Vorreiterrolle. Agis ist beispielsweise 19 Jahre alt. Und Agate (2011) war eines der ersten Portale in der Bundesverwaltung. Jetzt haben alle Landwirte eine elektronische Identität. Da ist man weiter als viele anderen Sektoren.
Also keine Altlasten, die Sie jetzt anpacken müssen?
Ich sage nicht, dass es keine Altlasten gibt. Es gibt viele Sachen, die wir heute anders machen könnten. Man muss auch sehen: Die Technologien haben sich rasend entwickelt. Eine IT-Architektur von 2005 war anders als eine von heute. Oder nehmen wir das I-Phone: Das erste Smartphone kam erst 2007 auf den Markt, nach der ersten Version von AGIS.
Eine der Sorgen der Landwirt(innen) ist, dass sie «gläsern» werden und nackt vor den Behörden stehen, die alles wissen, können Sie das nachvorziehen?
Ich verstehe das Problem, aber der Bund ist immer noch ein Vertrauenselement im System. Das hat man gesehen, als das Volk unter anderem die eID abgelehnt hat wegen der Beteiligung aus der Privatwirtschaft. Der Bund hat keine wirtschaftlichen Interesse und kann die Daten den Bauern auch für ihr Betriebsmanagement zurückspielen.
Viele Leute haben eher das Gefühl, dass der Bund immer tiefer ins Privatleben eindringen will.
Ein Aspekt ist die Transparenz. Der Bund ist verpflichtet, zu sagen, wie die Daten verwendet werden. Außerdem kann sich jedermann auf das Öffentlichkeitsgesetz berufen. Wir können natürlich auch unsere Systeme als Open Source publizieren, das haben wir schon beim Covid-Zertifikat gemacht und es gab anschliessend null Diskussion um das Verfahren. Es ist wichtig auch Akzeptanz zu schaffen., Diese können wir nicht ganz alleine schaffen. Es braucht für Digitaliesierungsprojekte auch Begleitgruppen aus der ganzen Branche. Das Endziel ist, dass die Digitalisierung der Landwirtschaft dient und nicht umgekehrt. Aber das geht nicht im Schnellzugtempo. Wichtig ist auch zu ergänzen, dass der Bund bis anhin nie im grossen Stil gehackt wurde. Holz anrühren.
Eine Befürchtung ist, dass die Daten ungenügend geschützt sind…
Diese sind unbegründet. Entweder gibt es mit einer Verordnung einen klaren gesetzlichen Rahmen, wozu die Daten verwendet werden dürfen. Das BLW hat mit «Meine Agrardaten-Freigabe» (MAF) ein geschütztes Datenaustauschsystem entwickelt. Hier muss sein Einverständnis geben damit die Datenpakete Datenpakete aus Agis oder TVD z. B. zu IP-Suisse oder zu Bio Suisse transferieren werden können.
Der administrative Aufwand hat durch die Digitalisierung eher zu- als abgenommen…
Das Once-Only-Prinzip, wo die Daten nur noch einmal eingegeben werden müssen noch nicht voll einsatzfähig. Dieses wird helfen, den Aufwand zu reduzieren. Das ist ein Versprechen für die Zukunft. In den letzten Jahren sind die Bedürfnisse für die Datenerhebung gestiegen. Die Erhebung der Daten für einen Durchschnittsbetrieb dauert aber vier bis acht Stunden pro Jahr. Das ist aus meiner Sicht nicht so viel..
Gehen Sie davon aus, dass die Digitalisierung noch an Bedeutung zunehmen wird?
Die Daten werden noch stärker im Zentrum stehen. Der Landwirt sollte noch stärker profitieren können von all den Daten die bereits erhoben sind. Heute sind die Daten noch zu wenig genutzt.
Woran liegt das?
Das liegt daran, dass Datenwissenschaft noch eine junge Disziplin ist. Denken Sie nur an künstliche Intelligenz (KI).
Was kann die KI zur Landwirtschaft beitragen?
Man kann zum Beispiel die Meteodaten mit Informationen über Boden und die gesäten Kulturen kombinieren und so den Betrieb optimieren. Genau so, wie man heute schon die Fütterung der Kühe unter Benutzung von Gesundheitsdaten optimieren kann.
Wo bestehen noch die grössten Defizite bei der Digitalisierung?
Die Verknüpfung der Daten zwischen den Systemen und deren Austausch ist eine grosse Herausforderung. MAF z. B. ist noch sehr Datenpaket-fixiert, hier gibt es viel Potenzial für die Vereinfachung des Datenaustausches.
All diese Dinge werden jetzt mit Digiflux umgesetzt?
Mit Digiflux werden wir versuchen, das Once-Only-Prinzip umsetzen und Schnittstellen mit dem Feldkalender erstellen. In der Zukunft, wird sicher der Landwirt nicht mehr um Datentransfer kümmern müssen.
Braucht es dafür auch neue Daten?
Ja das ist so, ein neues System bedarf neuer Daten. Aber der Landwirt muss nur erfassen, was fehlt. Wenn er einen automatischen Feldkalender benutzt, muss er die vorhandenen Daten nicht noch einmal neu erfassen.
Muss künftig jeder Betrieb einen elektronischen Feldkalender haben?
Es ist ein Fakt, dass die Digitalisierung immer mehr Platz im Alltag den Landwirten und Landwirtinnen nehmen wird. Also um die Frage zu beantworten, ja, das wäre gut.
Wird eigentlich auch die Sanktionierung digitalisiert?
Im Zentrum steht der Nutzen für die Landwirte, wir denken nicht hauptsächlich an die Sanktionierung.
Wird Hoduflu mit dem Einzug von Digiflux verschwinden?
Ja, Hoduflu wird in Digiflux integriert. Aber der genaue Zeitpunkt ist noch offen.
Die Plattform Digiflux soll helfen, die Absenkpfade umzusetzen
Landwirtschaftsbetriebe, Unternehmen mit Grünanlagen, Gartenbaufirmen, Gemeinden, Kantone und Bund und andere sind ab 2025 verpflichtet, die berufliche Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (PSM) digital zu erfassen. Auch wer PSM, Dünger und Kraftfutter verkauft oder weitergibt, muss dies melden.
Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) entwickelt dafür die digitale Plattform Digiflux. Damit können die Meldepflichtigen ab 2025 der Mitteilungspflicht nachkommen, wie sie das Parlament 2021 beschlossen hat. Doch Digiflux bietet laut einer neu aufgeschalteten Informationsplattform mehr als das: «Digitale Systeme werden vernetzt und Doppelerfassungen verhindert.»
Digiflux solle besonders im Bereich der Landwirtschaft den administrativen Aufwand mindern. Und es schaffe die Möglichkeit, die erfassten Daten gezielt für weitere Aufgaben einzusetzen. Es brauche dafür weder Vorkenntnisse noch spezielle Software. Es reiche ein Login auf dem Portal Agate mit einem Namen und einem selbstgewählten Passwort, wie bei einem Postfach für E-Mails.
Der Verkauf und die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln sind ab 1. Januar 2025 mitteilungspflichtig. Ab 1. Januar 2026 muss auf Digiflux auch der Verkauf und die Weitergabe von Dünger und Kraftfutter eingetragen werden. Die Nutzenden von Digiflux können nur ihre eigenen Daten einsehen. Jede Nutzerin und jeder Nutzer entscheidet selbst über deren Weitergabe an Dritte. Nur dort, wo eine entsprechende Gesetzesgrundlage vorliegt, haben die zuständigen Bundesstellen und kantonalen Vollzugsbehörden Datenzugriff, um ihre Aufgaben zu erfüllen.
Nach der Definition der Grundanforderungen hat das BLW von Juli 2021 bis Mai 2022 zusammen mit externen Partnern einen Prototyp erarbeitet. Dieser wurde von ausgewählten Nutzer(innen) getestet. Basierend auf diesen Erkenntnissen realisiere das BLW nun die Plattform Digiflux.
Digiflux soll in drei Etappen umgesetzt werden:
- Ab 1. Januar 2025: Die Basisversion soll bereit sein. Zu diesem Zeitpunkt tritt die Mitteilungspflicht für die Erfassung von Lieferungen und Anwendungen von PSM in Kraft.
- Am 1. Januar 2026 kommen die Funktionen für die Lieferungen (Pflicht) und Anwendungen von Nährstoffen (freiwillig) wie Futtermittel und Dünger hinzu.
- Ab dem 1. Januar 2027 sollen die Nährstoffbilanz, der Ammoniak- und der Humus-Rechner automatisiert verfügbar sein.