Seit August 2023 leitet Renato Isella als Rektor das Berufsbildungszentrum Natur und Ernährung im Kanton Luzern (BBZN). Dieses hat drei Standorte (Sursee, Hohenrain und Schüpfheim) und umfasst mit Landwirtschaft, Milchwirtschaft, Gartenbau und Floristik sowie Hauswirtschaft vier Berufsfelder.

Ihre ersten Eindrücke nach rund fünf Monaten in der neuen Funktion?

Renato Isella: Die Vielfalt und Breite dieser Berufsbilder beeindruckte mich sehr. Und im Bereich Landwirtschaft die Bedeutung der Beratung, mit anderer Kundenstruktur als bei der Ausbildung. Dafür und auch für Projekte haben wir ja seitens Dienststelle Berufs- und Weiterbildung unter anderem einen Leistungsauftrag mit der Dienststelle Landwirtschaft und Wald. Viele Mitarbeitende haben somit kombinierte Tätigkeiten als Lehrer und Berater. Aufgefallen ist mir, wie gut aufgestellt das BBZN ist und wie hoch die Bildungsqualität.

Und Ihre Eindrücke von der Luzerner Landwirtschaft?

Ich hatte schon vorher mit der Landwirtschaft zu tun, aber nicht kantonsspezifisch. Der Agrarkanton Luzern ist geprägt von einer hohen Professionalität, mit Produktionsschwerpunkt im tierischen Bereich, was allerdings auch sehr kapitalintensiv ist. Somit gibt es hier viele attraktive Arbeitsplätze in vor- und nachgelagerten Branchen und viele Lehrstellen für den Nachwuchs. So ein «Cluster» Landwirtschaft und Ernährung gibt es in kaum einer anderen Region, der soll auch durch eine adäquate Ausbildung weiter gestärkt werden.

Wo wollen Sie Schwerpunkte setzen?

Mir ist gerade im Hinblick auf die Umsetzung der neuen Bildungsverordnung eine möglichst praxisnahe Ausbildung wichtig. Die Produktion, effizient und mit hoher Qualität, soll sich am Markt und den Bedürfnissen der Konsumenten ausrichten. Unternehmertum und Marketing werden wichtiger, wie auch der Beitrag an die Ernährungssicherheit. Gerade im Kanton Luzern werden die Spezialrichtungen, die neu im dritten Lehrjahr angeboten werden, bedeutend. Im Fokus bleiben hier sicher die Milchvieh- und die Schweinehaltung.

Sie waren bei Grossverteilern tätig, welche Erfahrungen bringen Sie aus der Privatwirtschaft mit in die Verwaltung?

Das Wort Wirtschaft umfasst auch die Wirtschaftlichkeit, da geht es um effiziente Prozesse, Orientierung an Zielen und Resultaten sowie unternehmerisches Verantwortungsbewusstsein. Meine Erfahrungen in der Führung mit Kennzahlen sind auch in der Funktion als Rektor und für Lernende dienlich. Etwas anders in der Verwaltung sind sicher die politisch bedingten Entscheidungsprozesse oder auch das Personalrecht.

Bei Max Havelaar und bei Coop waren Sie zuständig für Themen wie Nachhaltigkeit. Wo können Sie da als Rektor Akzente setzen?

Nachhaltigkeit ist kein Kontrast zu Ökonomie. Es geht immer auch um die langfristige Sicherung der Existenzfähigkeit einer Branche oder eines Betriebes, auch im wirtschaftlichen Sinne. Nachhaltigkeit muss Ökologie und Ökonomie berücksichtigen.

Gerade das wird ja in der Landwirtschaft eher als Spannungsfeld angesehen, Produktion kontra ökologische Leistungen …

Da habe ich eine klare Haltung von sowohl als auch statt entweder oder. Nachhaltigkeit muss wie erwähnt ökologische und ökonomische Kriterien umfassen, auch in der Landwirtschaft. Dabei haben auch verschiedene Produktionsrichtungen und -intensitäten Platz und ihre Berechtigung, bei allem gibt es aber Grenzen bezüglich Sinnhaftigkeit. Alle Bauern wollen doch auch aus Eigeninteresse gesunde Betriebe mit gesunden Böden weitergeben. Die Stärkung der Nachhaltigkeit gilt es auch in der Bildung und Beratung umzusetzen. Es braucht eine gesunde Mischung von Produktionsorientierung und Nachhaltigkeitsleistungen. Produzierende und Konsumierende müssen in einem Boot sein, es braucht eben die marktgerechte Produktion.

Zusammenarbeit gibt es ja auch im Bildungswesen, über die Kantonsgrenzen hinweg. Oder wie gross ist die Konkurrenz unter den Bildungszentren?

Die hohe Komplexität und hohen Ansprüche, welche auf die Landwirtschaft zukommen, bedingen Kooperation statt Konfrontation auch im Bildungswesen. Klar gibt es Überschneidungen von Zielgruppen, aber die gemeinsamen Interessen überwiegen doch sehr. Abgrenzungen und Wettbewerb der Bildungszentren dienen der Sache nicht. Es gibt ja schon einige Kooperationen, in der Grundbildung oder der höheren Berufsbildung, beispielsweise die gemeinsame Betriebsleiterschule in der Zentralschweiz. Und es können sicher noch viele Synergien genutzt werden. Wenn Lernende eine Weiterbildung ausserhalb des Kantons besuchen, nehmen wir das sportlich und als Ansporn, unsere eigenen Angebote kontinuierlich zu verbessern.

Die Zahlen der Lernenden steigen, die Betriebszahlen sinken, viele Ausgebildete wandern in andere Branchen ab. Gibt es noch genügend Hofnachfolger?

Die hohe Nachfrage aus anderen Branchen ist offensichtlich ein Kompliment an unsere Ausbildung, die auch gute Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Und es ist ja bekannt, dass die vielfältig ausgebildeten Landwirte arbeitswillige und gesuchte Fachkräfte sind. Die momentan hohe Anzahl an Lernenden braucht es, um die Hofnachfolgen zu sichern und eine Überalterung der Betriebsleitenden zu verhindern. Es braucht auch eine hohe Quote von Lernenden, welche eine höhere Berufsausbildung absolvieren, hier besteht noch Potenzial.

Es gibt aber auch immer mehr Quereinsteiger, Zweitausbildner oder solche, welche nur den «Direktzahlungskurs» als Schnellbleiche wollen. Sind das nicht Risiken für eine qualitativ gute Ausbildung?

Alternative Ausbildungen, vor allem lediglich für die Direktzahlungsberechtigung, sind immer Kompromisse. Die heutigen komplexen Anforderungen an die Landwirtschaft sind damit kaum abzudecken. Grundsätzlich gilt es, ein gutes Qualitätsniveau in den landwirtschaftlichen Kernthemen zu vermitteln.

Quereinsteiger und Zweitausbildner wünschen Flexibilität und modulare Angebote. Solche Leute können auch erweiterte Sichtweisen einbringen, das ist für die Branche bereichernd.

Neben Fachkompetenz braucht es heute wohl auch weitere Kompetenzen, die den Jungen zu vermitteln sind?

Unbedingt! Die Anforderungen werden breiter und anspruchsvoller, auch bezüglich unternehmerischer Fähigkeiten oder auch Sozialkompetenz und Marketing, Kommunikation. Die Betriebsleiterschule gewinnt dafür an Bedeutung, da die Lektionenzahl in der Grundbildung reduziert wird.

Es fällt auf, dass immer mehr Frauen in landwirtschaftliche Ausbildungen einsteigen und dann oft noch mit Bestnoten abschliessen …

Das ist doch sehr erfreulich, auch in andere bisherige Männerdomänen drängen immer mehr Frauen. Die klassische Rollenteilung gibt es kaum mehr. Das bereichert die Branche.

Beim Gutsbetrieb Hohenrain soll die Strategie aktualisiert werden. Um was geht es da, soll auf Bio umgestellt werden?

Nein, eine gesamtbetriebliche Umstellung ist zumindest zurzeit kein Thema, es gibt aber im Rahmen von Versuchen teilweise eine parzellenweise biologische Bewirtschaftung. Aufgrund anstehender Bauprojekte wollen wir den Betrieb aber etwas neu positionieren und fit machen für wieder mehr Forschung und Beratung, beispielsweise auch zu neuen Gülletechniken und in der Milchviehhaltung.

Welche Visionen haben Sie für das Bildungswesen?

Wie bereits erwähnt, der Bezug zur Praxis ist mir sehr wichtig. Ich denke, da sind wir mit dem BBZN schon gut aufgestellt. Und weil in der Landwirtschaft sehr viel im Umbruch ist, wollen wir die Betriebe eng begleiten, wohl noch gezielter und allenfalls spezialisierter. Beispielsweise mit Top-Fachleuten in Bildung und Beratung in den für Luzern wichtigen Bereichen Milchwirtschaft, Futterbau und Schweinehaltung gut unterstützen, aber auch zu neuen Themen wie der Offensive bei Spezialkulturen.

Welche Tipps geben Sie Ihren landwirtschaftlichen Kunden?

Dass sie ihr Wissen stetig aktualisieren aufgrund der rasanten Entwicklung der Technik und Digitalisierung, aber auch in Bereichen wie Marketing und Kommunikation. Das braucht auch eine gute Vernetzung und einen Austausch der Berufsleute untereinander, beispielsweise mit Hofgesprächen oder in Arbeitskreisen, welche das BBZN betreut und koordiniert. Also dauernd neugierig bleiben, ohne gleich jede Neuerung mitzumachen. Unternehmerisches Gespür ist auch lernbar.

Zur Person

Renato Isella (Jahrgang 1967) ist diplomierter Ing. Agr. ETH und stammt ursprünglich aus Morcote TI und Zürich. Er war bei Migros und Coop in der Ernährungswirtschaft tätig und zuletzt Geschäfts-führer der Max Havelaar Stiftung. Isella ist verheiratet, hat zwei Kinder und wohnt in Münchenstein BL. Als Hobbies nennt er Ausdauersport und Kochen.