«Viele Menschen beschreiben dieses Gefühl als unendlich tiefen Schmerz in der Herzgegend – es fühle sich an wie Messerstiche oder wie eine Operation am offenen Organ», sagt Beziehungsexpertin Martina Rissi auf die Frage, wie sich Liebeskummer nach einer Trennung anfühlt. Nicht alle Menschen würden Emotionen gleich intensiv erleben, «das hängt von der Veranlagung und dem Temperament ab, hat aber auch mit Prägung oder dem Umgang mit tiefen Gefühlen zu tun. Einige können es eher verdrängen, andere werden davon förmlich überschwemmt.»

Es gibt dieses Phasenmodell nach einer Trennung mit den vier Phasen: 1. Schock, 2. Wut und Traurigkeit, 3. Reflexion und Neuorientierung, 4. Neuanfang. Trifft das Ihrer Erfahrung nach auf alle Menschen zu?

Martina Rissi: Nicht alle Menschen durchlaufen diese Phasen und auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Wenn jemand zum Beispiel schon länger aus der Beziehung aussteigen wollte, sich lange mit dem Thema beschäftigt hat oder vielleicht bereits eine neue Partnerschaft wartet, dann erlebt er natürlich die Trennung und auch diese Phasen anders.

Gehen Frauen und Männer unterschiedlich mit einer Trennung um?

Ich bin kein grosser Fan der geschlechterspezifischen Unterscheidung, aber natürlich gibt es Tendenzen dazu, gerade in Bezug auf das Handling von Emotionen. Das Klischee und auch die Forschung sagen, dass Frauen eher dazu neigen, Gefühle offen zu zeigen, sich auch Hilfe von aussen zu holen und in den Kontakt mit anderen Personen zu gehen, seien das Freunde oder Therapeuten, während Männer eher Gefühle verdrängen, sich ablenken mit Arbeit, Sport, Hobbys, Ausgang und so versuchen, das Ganze mehr mit sich auszumachen. Das sind aber sehr grobe Tendenzen. Es gibt auch das komplette Gegenteil, also Männer, die sehr das Bedürfnis haben, darüber zu reden.

«Je mehr Lebensbereiche von einer Trennung betroffen sind, desto mehr wird das Leben auf den Kopf gestellt – bis zum totalen Neuanfang.»

Martina Rissi über die Folgen eines Beziehungsendes.

Welche psychischen und körperlichen Symptome kann eine Trennung Ihrer Erfahrung nach auslösen?

AboOhne Herzschmerz geht es kaum: Wenn eine Ehe auseinander bricht, geht nicht nur eine Beziehung oder eine Familie in die Brüche – meist sind auch sehr viele negative Emotionen im Spiel.Liebe auf dem LandAgnes Schneider Wermelinger begleitet Bauernpaare bei der Scheidung: «Es wird sehr viel geweint»Montag, 26. Juni 2023 Die Palette ist wahnsinnig breit. Es hängt auch davon ab, wie unerwartet die Trennung kam, wie abhängig man allenfalls in der Beziehung war oder wie hoch deren Stellenwert im Leben war. Natürlich ist eine Trennung für ein Paar, das zwei Jahre zusammen war und vielleicht noch nicht zusammengelebt hat, ganz anders, als wenn Kinder, eine gemeinsame Firma oder Wohneigentum im Spiel sind. Je mehr Lebensbereiche von einer Trennung betroffen sind, desto mehr wird das Leben auf den Kopf gestellt – bis zum totalen Neuanfang. Wenn zum Beispiel ein Vater ausziehen muss, seine Kinder nicht mehr jeden Tag sieht, die Firma verkaufen muss und auch noch Freunde verliert, das kann sehr existenziell werden und grosse Ängste freisetzen. 

Was ist in der ersten Zeit nach der Trennung wichtig?

Es anzunehmen, dass eine Trennung in den meisten Fällen erst mal verdammt weh tut. Selbst wenn die Beziehung zum Ende hin womöglich nur noch mühsam war, gab es doch andere Zeiten. Nun fällt ein Mensch weg, mit dem man sehr viel geteilt hat. Die Trennung hinterlässt in jedem Fall ein Loch, das nicht so schnell zu stopfen ist, selbst, wenn um die nächste Ecke womöglich schon jemand Neues bereitsteht. Die Annahme dieser negativen Gefühle ist vermutlich etwas vom Schwersten, denn der Mensch möchte diesen natürlich gerne ausweichen. Wichtig ist auch, sich selbst Gutes zu tun, sich wenn nötig zurückzuziehen oder bei Freunden Unterstützung zu holen. Wichtig ist ebenfalls, das Urvertrauen zu behalten, dass die Phase der Trauer vorbeigeht und neue Chancen auf persönliches Glück folgen werden. Wer dazu neigt, in negativen Gefühlen regelrecht zu ertrinken, sollte bewusst auch immer wieder versuchen, sich abzulenken mit Dingen oder Unternehmungen, die positive Gefühle auslösen können.

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Wann braucht es professionelle Hilfe?

Diese ist sicher angebracht, wenn dunkle Gedanken und Gefühle, zum Beispiel Hoffnungslosigkeit, über längere Zeit anhalten, sich eine Depression zeigt oder Angstzustände den Alltag wirklich beeinträchtigen. Selbstverständlich auch bei selbstschädigendem Verhalten oder gar Suizidgedanken.

Wie sollte man den Kontakt zum Ex oder zur Ex gestalten?

AboAls Paar getrennt, aber als Eltern weiterhin ein Team: Für Kinder sei die Botschaft «Wir bleiben eine Familie» wahnsinnig wichtig, sagt Beziehungsexpertin Martina Rissi.Beziehungsexpertin im Interview«Kinder merken, wenn Eltern ihretwegen zusammenbleiben»Donnerstag, 19. Oktober 2023 Da gibt es definitiv kein allgemeingültiges Rezept. Wir sind zum Glück sehr individuelle Menschen und sollten deshalb auch nicht nur ein Beziehungs- oder Trennungsmodell leben. Es kommt auf viele unterschiedliche Faktoren an, wie Lebensumstände, Kinder, gemeinsame Besitztümer, Art und Weise der Trennung, emotionale Entwicklung und individuelle Bedürfnisse. Aber damit die Trennung auch vollzogen werden kann, lohnt es sich sicher, nicht am alten Kontaktverhalten festzuhalten, sonst wird das Loslassen eher schwer. Also sollte man sich am Anfang erst mal so gut wie möglich aus dem Weg gehen. 

Wie geht es der Person, die gegangen ist, sie kann doch ebenfalls leiden?

Selbstverständlich. Meist trägt diese Person das Label des Täters oder der Täterin, des Schuldigen oder der Schuldigen. Es braucht sehr viel Mut, eine Trennung auszusprechen und manchmal geschieht sie sogar auch für den anderen Partner oder auf jeden Fall für beide. An einer Partnerschaft festzuhalten, die nicht mehr positiv ist, wenn man einander nicht mehr zu Entwicklung verhilft oder gemeinsam schöne Momente generiert, das ist auch toxisch und zeugt nicht von einer tieferen Liebe. Im Gegenteil.

Wann ist man bereit für eine neue Beziehung?

Ich persönlich finde es wichtig, dass das Vergangene geklärt und abgeschlossen ist. Das heisst, möglichst alle Phasen des Abschieds- und Trauerprozesses sind durchlaufen und die Neuorientierung ist bereits da oder man steht kurz davor. Idealerweise gibt es zwischen den Ex-Partnern keine offenen Fragen mehr bezüglich Familie, Freundeskreis, Geschäfts- und Besitztümern. Wenn man sich sehr spät trennt, nur noch wie in einer WG zusammengelebt und womöglich auch keinen Sex mehr gehabt hat, dann findet dieser Abnabelungsprozess manchmal schon während der Beziehung statt. Ich denke, man spürt im Herzen, ob da schon Platz ist für jemand Neues oder ob das Neue nur eine Ablenkung ist. In letzterem Fall gehen solche Geschichten meist nicht so gut aus.

Website der «Liebesagentur»