Frage

Ich (30) bin die Schwiegertochter auf dem Hof. Die Schwiegereltern arbeiten auch noch mit. Es gibt viele Themen, über die wir reden sollten. Immer, wenn ich etwas ansprechen möchte, heisst es von allen Seiten – auch von meinem Mann –: «Wir haben halt nie reden gelernt». Es macht mir nichts aus, die Rolle der Drahtzieherin zu übernehmen, aber ist das gut?

Antwort

Nein, es ist nicht gut, wenn Sie diese Rolle alleine übernehmen. Wenn es Themen gibt, über die «man reden sollte», dann müssten alle interessiert sein, dass darüber geredet wird. Wenn man genauer hinschaut, wollen oft diejenigen, die nicht darüber reden wollen, nichts verändern. So gesehen, kann «nicht reden können» auch ein Machtins­trument sein. Wenn man nämlich nicht darüber redet, dann ändert sich nichts. In diesem Fall übt die schweigende Person also Macht aus.

 

Kurzantwort

«Nicht reden gelernt zu haben» ist manchmal eine Ausrede von Menschen, die nichts ändern wollen. Manchmal hindert auch ein schlechtes Selbstwertgefühl daran, zu reden. Beides kann verändert werden. Es ist nicht gut, wenn eine Person alleine die Verantwortung für Gespräche übernimmt – vor allem nicht die Schwiegertochter. Wenn sie diese Rolle alleine übernimmt, kann es sein, dass sie plötzlich alleine dasteht.

Die Rolle der Schwiegertochter

Auf den Bauernhöfen ist die Schwiegertochter meistens «von aussen» auf den Betrieb gekommen. Der Hofnachfolger ist auf diesem Hof von seinen Eltern erzogen worden. Er und seine Eltern haben oft über viele Jahre zusammengearbeitet und verstehen sich blind. Das hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist sicher, dass man nicht über alles diskutieren muss und dadurch viel Arbeitseffizienz entsteht. Möglicherweise schleicht sich aber auch Betriebsblindheit ein.

Es wäre eine Chance, gemeinsam und offen über die Fragen der Schwiegertochter zu diskutieren. So könnten allfällige, eingeschliffene Muster verändert werden, und die Schwiegertochter würde einen würdigen Platz auf dem Betrieb bekommen. Diese Chance sollte genutzt werden. Die Umsetzung klappt aber nur, wenn alle mitdenken und -reden. Wenn die anderen die Schwiegertochter anstandshalber reden, aber sie nicht mitdenken und nicht mitreden lassen, dann steht sie plötzlich alleine da, und die anderen sagen dann: «Das hast ja nur du gewollt, wir haben uns nur nicht zu wehren gewusst.» Ein guter Austausch funktioniert nur, wenn alle Beteiligten aktiv am Gespräch mitmachen – also «reden wollen».

Genau hinschauen wenn nicht geredet wird

«Es ist nie zu spät, reden zu lernen.» Diesen Satz meine ich genau so, wie er geschrieben steht. Wir kennen alle die Wörter, die es zum Reden braucht. Wir können daraus Sätze bilden, die einen Sinn ergeben. Wir alle haben hunderte von Gedanken, die uns täglich durch den Kopf gehen. Mit anderen Worten: Wir können reden! Wenn Menschen nicht reden, dann hat es einen anderen Grund: Das «Nichtreden» kann ein verstecktes Machtinstrument sein oder es geschieht aus Unsicherheit.

Sie sollten also genau hinschauen, was der Grund ist, weshalb die andern nicht reden wollen. Wenn es ein Machtinstrument ist, kann eine neutrale Gesprächsbegleitung von aussen helfen. Wenn es eher die Unsicherheit ist, kann eine gute Gesprächsatmosphäre helfen. Nicht das Reden muss gelernt werden, sondern der Glaube an faire Gespräche, wo über die Bedürfnisse aller Beteiligten geredet wird und wo man einander zuhört. Es ist normal, dass Menschen nicht immer das Gleiche wollen. Für alle Beteiligten entstehen stimmige und tragbare Lösungen jedoch nur in guten gemeinsamen Gesprächen. Es lohnt sich immer, für solche Gespräche «reden zu lernen».