In tieferen Lagen geht es schon los, in den Bergen muss man noch ein paar Wochen warten: Der Alpsommer 2024 ist im Anzug. Erich von Siebenthal weiss als Präsident des Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verbandes (SAV), wo bei den Alpbewirtschaftern der Schuh drückt.

Was sind derzeit die grössten Probleme für die Alpbewirtschafter?

Erich von Siebenthal: Grossraubtiere, Veränderung bei Futterwachstum und Wasserverfügbarkeit durch den Klimawandel und die Verbuschung. Auch der Mangel an Arbeitskräften und die tiefen Einkommen in der Berg- und Alplandwirtschaft sind ein Thema.

Wie wirkt sich der Rückgang der Milchviehbetriebe auf die Alpwirtschaft aus? Gibt es weniger Kühe auf den Alpen?

Die Anzahl gealpter Milchkühe ist im Moment glücklicherweise noch relativ stabil. Der Rückgang im Zeitraum 2000–2013 konnte dank der mit der Agrarpolitik 14–17 neu eingeführten Alpungsbeiträgen und der Besserstellung des Sömmerungsgebiets bei den Direktzahlungen aufgefangen werden. Wir stellen aber effektiv in der letzten Zeit fest, dass der Druck bei den Milchviehalpen steigt, vor allem, wenn diese die Milch selber verkäsen. Sie sind personalintensiv und brauchen qualifizierte Arbeitskräfte, auch der Investitionsbedarf ist grösser. Hier muss unbedingt eine Besserstellung erreicht werden. Wenn man noch Milch und Käse von der Alp will, muss man sich etwas einfallen lassen. Eine Erhöhung der Direktzahlungen für die gealpten Milchkühe muss diskutiert werden. Dafür bräuchten wir aber eine Erhöhung des Agrarbudgets und keine Umverteilung.

Was rät der SAV Alpbewirtschaftern, die Mühe haben, genügend Personal zu finden?

Wir raten den Alpen, frühzeitig auf der Seite zalp.ch ein Kleininserat aufzugeben, allenfalls auch in der regionalen oder landwirtschaftlichen Presse. Bei kurzfristigen Personalausfällen hilft das Alpofon. Für motiviertes Hilfspersonal können auch Freiwilligenangebote genutzt werden: Bergversetzer, Caritas Bergeinsatz oder Zivildienstler sind eine gute Möglichkeit.

Was kann längerfristig gegen den Personalmangel getan werden?

Es ist vor allem immer noch sehr schwierig, gut ausgebildetes Personal zu finden, besonders für das Käsen. Aus diesem Grund hat der SAV hat zusammen mit der HAFL ein Forschungsprojekt zu diesem Thema lanciert. Welche Faktoren sind wichtig, damit die Angestellten gerne und langjährig auf einer Alp arbeiten? Wie kann das Problem der saisonalen Anstellung gelöst werden? Könnten zusammen mit Wirtschaftspartnern Erwerbskombinationen (Sommer-Winter) gefördert werden? Wichtig ist ausserdem, dass die Ausbildung weiter gefördert wird. Der SAV erhofft sich hier Verbesserungen mit den neuen Bildungsplänen im Zusammenhang mit der Bildungsreform. Die Einkommen in der Bergland- und Alpwirtschaft müssen allgemein steigen; die Einkommen sind immer noch weit unter den Vergleichseinkommen. Nur wenn die landwirtschaftlichen Einkommen steigen, können auch den Alpangestellten anständige Löhne bezahlt werden. Vor allem müssen wir das Problem Wolf sehr rasch in den Griff bekommen: Alpen, um die der Wolf herumschleicht, haben es noch viel schwieriger, Personal zu finden. Wolfspräsenz bedeutet für die Hirtinnen und Hirten mehr Arbeit und grosse psychische Belastung.

Braucht es eine Anpassung der Normalstösse (NST) wegen der im Sommer früher einsetzenden Trockenheit, oder lässt sich dieses Problem anders lösen?

Unserer Ansicht nach braucht es eine flexiblere Handhabung der verfügten NST: Jedes Jahr ist wettermässig anders, jede Region ist anders. In Jahren mit gutem Graswachstum sollten die NST erhöht, in Jahren mit grosser Frühlings- oder Sommertrockenheit gesenkt werden können, ohne dass es zu Kürzungen bei den Direktzahlungen kommt.

Wie stellt sich der SAV zum Bau von Photovoltaikanlagen auf Alpen?

Der SAV positioniert sich weder für noch gegen Photovoltaikanlagen. Die Abkehr von fossiler Energie geht uns alle an, und auch die Landwirtschaft soll ihren Teil beisteuern. Was für uns entscheidend ist: Die Bewirtschaftung der Alpen muss weiterhin möglich sein. Keine Alp soll wegen Photovoltaikanlagen aufgegeben werden müssen, nur weil dies vielleicht für die Standortgemeinde finanziell interessant ist.

Worauf müssen die Alpbewirtschafter bei solchen Projekten achten?

Die Verträge müssen fair und die Entschädigungen angemessen sein. Ein wichtiger Punkt: Der Anlagenbetreiber muss vertraglich zusichern, dass eine Beweidung unter den Solarmodulen weiterhin möglich ist. So wird sichergestellt, dass der Anlagenbetreiber verpflichtet ist, die nötigen Voraussetzungen zu schaffen, und dass die Bewirtschafter nicht für Schäden aufkommen müssen, die durch eine «normale» Beweidung entstehen. Wir empfehlen ausserdem, dass in den Verträgen eine Klausel eingebaut wird, die eine Neubeurteilung nach z. B. fünf Jahren fordert, damit die Entschädigungen gegebenenfalls angepasst werden können, denn im Moment wissen wir viele Dinge einfach noch nicht. Wie entwickelt sich das Graswachstum und die botanische Zusammensetzung? Wie ist das Weideverhalten der Tiere? Gibt es andere unerwartete Schäden durch die Anlage?

Was bedeutet Ihnen die Alperei persönlich?

AboErich von Siebenthal, der Bergbauer aus dem Berner Oberland, setzte sich immer stark für die Alp- und Waldwirtschaft ein.Rücktritt im BundeshausErich von Siebenthal: Ein Bergler verlässt das BundeshausMontag, 23. Oktober 2023 Wenn es Frühling wird und die wunderbare Alpenflora zu blühen anfängt, zieht es mich Richtung Alp. Die Alp ist ein Teil meines Lebens, für den es keinen Ersatz gibt. Die Nähe zur Natur und zu den Tieren ist auf der Alp einzigartig. Es ist jeden Frühling ein neues Heimkommen.

 


«Die Herausforderungen für die Alpwirtschaft nehmen nicht ab, sondern zu»

Die SAV-Beiträge werden diesen Sommer erstmal zusammen mit dem SBV-Mitgliederbeitrag erhoben. Erich von Siebenthal erhofft sich vom neuen System mehr Schlagkraft für den Verband.

Wann erhalten die Alpbewirtschafter die erste Rechnung mit den neuen Beiträgen?

Erich von Siebenthal: Ende Juni. Die Höhe der Beiträge pro effektive Normalstösse des Vorjahres beträgt 60 Rappen für den SAV, 40 Rappen für den SBV, dazu kommt je nachdem ein Sektionsbeitrag.

Weshalb sind die Beiträge in diesem Jahr höher?

Die Erhöhung der Beiträge wurde an der HV 2023 beschlossen, notabene einstimmig. Die Erhöhung von 30 auf 60 Rappen pro NST erlaubt uns, die Geschäftsstelle leicht auszubauen. Bis jetzt konnten wir unserer Geschäftsführerin, Selina Droz, eine knappe 60%-Stelle anbieten, das ist sehr wenig für einen nationalen Verband. Und die Herausforderungen für die Alpwirtschaft nehmen nicht ab, sondern zu. Wir hoffen, dass wir die Geschäftsstelle dank des neuen Inkassos auf 80 bis 90 % ausbauen können. Die Beitragserhöhung gibt auch die Möglichkeit, verschiedene Projekte zusätzlich zu realisieren, was sonst nicht möglich gewesen wäre.

Neu werden dieses Jahr auch Beiträge aus dem Sömmerungsgebiet für den SBV einkassiert, weshalb?

Der SBV macht sehr viel Lobbyarbeit im Parlament, als ehemaliger Nationalrat weiss ich, wie wichtig das ist. Diese Lobbyarbeit kommt auch dem Berg- und Sömmerungsgebiet zugute. Im Gegenzug haben SAV und SBV eine Vereinbarung unterzeichnet: Der SBV verpflichtet sich, sich für die Alpwirtschaft einzusetzen und den SAV bei alpwirtschaftlichen Themen zu konsultieren. Die Vertretung der Alpwirtschaft in den SBV-Gremien (Vorstand, Laka, DV) wurde ausgebaut. Die Verbandsspitzen tauschen sich mindestens einmal jährlich aus.

Was ist der Unterschied zum bisherigen System?

Bis jetzt wurden in den allermeisten Kantonen die Rechnungen für den Gesamtbeitrag von den Sektionen verschickt, die dann ihrerseits den SAV-Anteil an uns weiterleiteten. Nun verschickt Identitas die Rechnungen in unserem Auftrag für die SAV- und SBV-Beiträge direkt an die Sömmerungsbetriebe. Auch die Sektionen, die dies wünschen, können sich dem Inkasso via Identitas anschliessen (für Deutschschweiz BE, SG, Oberwallis, GR). Die verschiedenen Beiträge für Sektion, SAV und SBV sind einzeln und transparent auf der Rechnung aufgeführt. Sobald ein Betrieb die Rechnung bezahlt hat, wird er automatisch Mitglied des SAV und hat ein Stimmrecht an der Hauptversammlung. Sehr froh sind wir auch weiterhin um alle Mitglieder, die selber keine Alp bewirtschaften – Gönner, Korporationen, Gemeinden oder andere Verbände. Diese Mitglieder erhalten wie bisher eine Rechnung direkt vom SAV.

Welche Vorteile bietet das neue System?

Dadurch, dass Identitas die Rechnungen direkt verschickt, können wir alle Sömmerungsbetriebe erreichen. Wir rufen die Betriebe dazu auf, sich solidarisch zu zeigen und die Rechnung zu bezahlen. Nur wenn alle mitziehen, erreichen wir die nötige Schlagkraft und das nötige Gehör im Bundeshaus und anderswo und können die Bedingungen für die Alpwirtschaft verbessern! Ein weiterer Vorteil: Da jeder Sömmerungsbetrieb Direktmitglied mit Stimmrecht wird, erhält die aktive Alpwirtschaft verbandsintern ein grösseres Gewicht.