Was in der Schweiz die Regel ist, sieht im Ausland anders aus: In Ländern wie Dänemark, Griechenland und Polen kamen 2019 weniger als ein Viertel der Milchkühe auf der Weide. Stattdessen werden die meisten Kühe ausschliesslich im Stall gehalten. Regelmässiger Weidegang ist dort aus Rentabilitätsgründen gestrichen.

Viele Vorteile durch regelmässigen Weidegang

Weidegang bietet Kühen allerdings viele Vorteile. Vor die Wahl gestellt, verbringen Kühe mehr Zeit auf der Weide als im Stall, vor allem in der Nacht. Versuche zeigten, dass Kühe dazu bereit sind, lange Strecken zurückzulegen oder schwere Gatter aufzustossen um Zugang zur Weide zu erhalten. Für Kühe ist der Wert des Weideganges vergleichbar mit dem Wert von frischem Futter, für das sie ähnliche Herausforderungen auf sich nehmen um Zugang zu erhalten.

Die physiologischen Vorteile des Weidegangs sind zahlreich:

  • Die Zeiträume, in denen Kühe auf der Weide liegen und ruhen sind länger als im Stall.
  • Weichere Untergründe auf Liegeflächen und Laufwegen auf der Weide reduzieren das Verletzungsrisiko sowie das Vorkommen von Lahmheiten und Mastitis.
  • Im Herdenverbund auf der Weide haben Kühe mehr Platz und synchronisieren ihr Verhalten weitestgehend, so wie es ihrem natürlichen Verhalten entspricht. Dies führt dazu, dass es zu weniger aggressivem Verhalten kommt. Im Stall ist für eine solche Synchronisation meist nicht genügend Platz.
  • Obwohl ganzjährige Stallhaltung auch Vorteile bietet (Schutz vor Wettereinflüssen, geringerer Parasitendruck und eine grössere Kontrolle über die Ernährung der Kühe), kommen Wissenschaftler aktuell immer wieder zu dem Schluss, dass regelmässiger Weidegang das Tierwohl erheblich steigert.

Welche Rolle der regelmässige Weidegang für das psychologische Wohlbefinden von Kühen spielt, versuchten die britischen Forscher herauszufinden. Die Versuchsfrage: Löst der Zugang zur Weide bei Kühen positive Emotionen aus?

 

Wie kann man die Versuchsfrage beantworten? 

In einer Vielzahl von Studien an Menschen und verschiedenen Tierarten konnte bisher gezeigt werden, dass positive Emotionen zu einer optimistischeren Einschätzung neutraler Situationen führt. Andersherum: Wenn bei Menschen oder Tieren eine negative Emotion vorherrscht, werden neutrale Situationen eher negativ bewertet. Um dies bei Tieren messbar zu machen bedienen sich Forscher des sogenannten «cognitive bias» -Tests. Diese zu deutsch kognitive Verzerrung wird wie folgt getestet:

Der Verhaltenstest:

Dem Tier werden Eimer auf zwei Seiten eines Raumes präsentiert. Im Eimer auf der rechten Seite befindet sich immer eine Futterbelohnung. Der Eimer auf der linken Seite bleibt immer leer. Nach einer gewissen Zeit lernt das Tier, dass es sich nicht lohnt den Eimer auf der linken Seite zu kontrollieren, da er sowieso immer leer ist. Der linke Eimer wird sozusagen, links liegen gelassen. Stattdessen lohnt es sich immer, zum rechten Eimer zu gehen und sich dort die Futterbelohnung abzuholen, da das Tier diesen bei jedem Durchgang wieder gefüllt vorfindet. Dies wird solange wiederholt, bis das Tier die Situation verinnerlicht hat und bei jedem Durchgang zuverlässig zum rechten, gefüllten Eimer läuft.  

Der Knackpunkt: 

Nach der erfolgreich absolvierten Trainingsphase, wird dem Tier die gleiche Situation präsentiert, allerdings mit einem Unterschied. Es befindet sich nur ein einzelner Eimer im Raum, der genau in der Mitte zwischen dem gewohnten linken und dem gewohnten rechten Eimer positioniert ist. Jetzt wird es interessant: Geht das Testtier neugierig auf dem mittleren Eimer zu und kontrolliert diesen auf mögliches Futter, schreiben die Forscher diesem Tier eine optimistische Haltung und vermehrt positive Emotionen zu. Bleibt das Tier zögerlich und interagiert nicht mit dem neuen, mittleren Eimer, wird eine eher pessimistische Haltung zu Grunde gelegt. 

Die Relevanz:

Man könnte sich fragen: Welche Relevanz hat ein solcher Test für die praktische Tierhaltung. Diese ist schnell erklärt. Tiere, die in einer Haltungsform mit hohen Tierwohl-Standards gehalten werden, zeigen signifikant öfter eine optimistische Haltung im kognitiven Verzerrungstest als Tiere die in suboptimaler Haltungsumgebung leben.

 

Mit diesem Test stellten die britischen Forscher die Hypothese auf, dass Zugang zur Weide zu einer optimistischeren Grundhaltung bei Kühen führt, was mit einem höheren Mass an psychologischem Tierwohl einhergehen würde. Dazu hielten sie Kühe in zwei Gruppen: Eine Gruppe hatte über Nacht Zugang zur Weide (Weide-Gruppe); die andere Gruppe bliebt rund um die Uhr im Laufstall (Stall-Gruppe).

Ernüchternde Ergebnisse

Die Ergebnisse ernüchterten zunächst: Die Tests lieferten keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Die Hypothese der Forscher – dass die Weide-Kühe optimistischer sind und den neutralen Eimer schneller begutachten – bestätigte sich nicht. Bei näheren Hinsehen zeigte sich entgegen jeder Erwartung sogar, dass Kühe, die Zugang zur Nachtweide hatten, langsamer auf den rechten, mit Futter gefüllten Eimer zuliefen im Vergleich zu den Tieren der Vollzeit-Stall-Gruppe. 

Geringere Futtermotivation = Mehr Tierwohl?! 

Wie erklärt sich nun diese überraschende Beobachtung? Die Forscher glauben, dass die Weide-Kühe eine geringere Futter-Motivation haben, da sie ihr Bedürfnis zur Futteraufnahme vor den Verhaltenstests bereits einige Stunden lang befriedigen konnten. Die Forscher schlussfolgern daraus, dass die Erwartungshaltung der Weide-Kühe eine Futterbelohnung zu erhalten, im Vergleich zu den Stall-Kühen niedriger ist. Auch von anderen Wissenschaftlern konnte bestätigt werden, dass der Wert von Futterbelohnungen für Tiere, die weniger Chancen darauf haben, höher ist. 

Kühe auf der Weide sind zufriedener

Im Umkehrschluss legen die Forscher die Ergebnisse so aus: Die gesamtheitlich höhere Lebensqualität und das dadurch höhere Tierwohl der Kühe in der Weide-Gruppe führt bei den Tieren zu einer geringeren Dringlichkeit sich die Futterbelohnung im Test abzuholen. Die Tiere die ausschliesslich im Stall gehalten wurden, waren viel motivierter um zur Futterbelohnung zu gelangen. Weitere Ergebnisse der Studie unterstützen diese Schlussfolgerung: Bei den Kühen der Weide-Gruppe massen die Forscher längere Liegezeiten sowie eine höhere Herden-Synchronisation. Die Tiere auf der Weide waren gesamtheitlich ruhiger und zufriedener im Vergleich zu den Tieren der Stall-Gruppe.

Die englisch-sprachige Originalstudie finden Sie hier.