Vor einiger Zeit hat die deutsche Krefeld-Studie weitherum Schlagzeilen gemacht. Sie stellte in Schutzgebieten in unserem Nachbarland über die letzten 27 Jahren einen Rückgang der Insekten-Biomasse um über 75 Prozent fest. Die Alarmglocken schrillten und auf der Suche nach den Ursachen wurde in der Regel (auch) auf die Landwirtschaft gezeigt. Die Krefeld-Daten hat nun ein Forscherteam neu analysiert und mit Wetterdaten abgeglichen.

Abweichungen vom «normalen Wetter»

Dabei zeigte sich, dass die Schwankungen in der Insektenbiomasse gut zu Wetteranomalien passten. Abweichungen vom «normalen Wetter» wie etwa unüblich milde Winter, ein nasser Frühling oder ein kalter Sommer setzten den Sechsbeinern je nach Lebenszyklus zu. Dass die Witterungsanomalien über die Zeit zugenommen haben, schreiben die Autoren dem Klimawandel zu. Insbesondere die Häufung von für Insekten ungünstigen Bedingungen werde diese wichtige Gruppe in Zukunft weiter unter Druck setzen.

Masse ist nicht alles

«Neue Studie entlastet Landwirtschaft – Insektenrückgang liegt oft am Wetter», titelt TopAgrar online. Die Sache hat aber mehrere Haken. So haben die Studienautoren – sowohl bei Krefeld als auch in dieser Neuanalyse – Biomasse-Daten von fliegenden Insekten genutzt. Plakativ gesprochen ist es da vollkommen egal, was ins Netz geht: Vom seltenen Schmetterling bis zum invasiven Schädling kann theoretisch alles zur Biomasse beitragen. Ausserdem werden nur fliegende Insekten gefangen, Krabbelndes wie Käfer oder Spinnen blieb ausser Acht.

Zusammenhang ist keine Ursächlichkeit

Hinzu kommt das Problem praktisch aller Beobachtungsstudien: Ein statistischer Zusammenhang bedeutet nicht automatisch eine Ursächlichkeit. Das Wetter hat bestimmt einen Einfluss auf Insektenpopulationen, genauso aber auch z. B. auf landwirtschaftliche Arbeiten. Was im Endeffekt die Gründe für den Rückgang der Insektenbiomasse sind, lässt sich maximal vermuten.

Überlagernde Schwankungen

Die Autoren der Studie sind sich allerdings bewusst, dass Biomasse nur begrenzt aussagekräftig ist. «Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass der übergeordnete Trend in der Biomasse (nicht der Artenzahlen!) vor der Witterung und Witterungsanomalien im Zuge des Klimawandels dominiert wird», heisst es in ihren Ausführungen in einer Publikation der Bayrischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege.  Das erkläre auch, warum in einer breit angelegten Studie 2019 in Bayern ähnlich hohe Insektenbiomassen in intensiv genutzten Agrarflächen wie in Wiesen und Wäldern gefunden wurden. Dies jedoch bei gleichzeitig deutlich geringerer Artenzahl in der Agrarlandschaft.

Und was heisst das jetzt?

Wenn man anhand der Biomasse folgern kann, dass die Populationen verschiedener Insektenarten kleiner werden, erhöht das ihr Aussterbe-Risiko. Je grösser eine Population ist, desto eher überleben genügend Insekten für eine Wiederbesiedelung unter besseren Bedingungen und die genetische Vielfalt ist grösser. Die Daten lassen aber keinen Schluss zu, welche Arten in welchem Ausmass von Wetteranomalien betroffen sind.

Klickträchtigen Titeln in manchen Medien zum Trotz stellen die Autoren dieser neuen Studie die bisherigen Ergebnisse nicht auf den Kopf. Vielmehr betonen sie, wie stark Klimawandel und Verlust der Biodiversität verbunden seien und wie wichtig daher der Klimaschutz sei. Gleichzeitig müssten unbedingt Massnahmen zur Stärkung lokaler Insektenpopulationen getroffen werden, womit wir wieder beim Bekannten sind: Es braucht hochwertige, vernetzte Lebensräume und ein ausreichendes Nahrungsangebot für möglichst viele Arten.