Umfangreiche Versuchsreihen mit über 100 Kühen und 25 Ziegen hätten gezeigt, dass Kuhglocken „laut wie Presslufthämmer“ seien und Kühe mit Glocken „langfristig ein, zwei Stunden täglich weniger fressen“. So stand es im Herbst 2014 in diversen Medien.

Obwohl, oder vielmehr gerade weil die genauen Studienergebnisse damals noch nicht vorlagen, schlug die Studie in sozialen Netzwerken wie eine Bombe ein. Nancy Holten vom Vorstand der IG Stiller, einer Organisation, die sich gegen Kirchenglocken wehrt, richtete bei Facebook die Anti-Kuhglocken-Gruppe „Kuhglocken Out” ein, die mittlerweile fast 5‘000 Fans hat. Einige Bauern reagierten mit „Pro Kuhglocken” (über 21‘000 Likes) oder „Kuhglocken unsere Tradition” (über 22‘000 Likes).

Das Ganze gipfelte in einer parlamentarischen Anfrage an den Bundesrat, ob die ETH nichts Gescheiteres zu tun habe als solche Studien durchzuführen. Dann wurde es wieder ruhig in den Medien. Als die Studienergebnisse Anfang 2016 im Journal PLOS ONE veröffentlicht wurden, interessierte sich niemand mehr dafür. Ein Grund mehr, die Ergebnisse einmal genauer anzuschauen.

Bescheidene Datenbasis

Die Studie wurde zwischen Juni und November 2012 auf dem Hof von Martin Hübscher in Bertschikon durchgeführt. Dabei wurden 19 Galtkühe der Rasse Brown Swiss jeweils drei Tage lang entweder ohne Glocke, mit einer funktionierenden Kuhglocke oder einer nicht-funktionierenden Glocke, bei der der Schlegel so fixiert worden war, dass sie keinen Ton von sich gab, auf der Weide beobachtet.

Hübscher meint, dass die Versuchsglocken schrecklich klangen: „Unser Kühe tragen normalerweise Treicheln mit einem tiefen, runden Ton. Die Messingglocken der Forscher tönten aber so grell und schrill, dass eine Kuh erst mal davongeseggelt ist.“ Er sagt aber auch: „Nach ein paar Stunden hatten sich die Kühe daran gewöhnt.“

Weil die Forscherinnen Gewöhnungseffekte ausschliessen wollten, lagen zwischen den einzelnen Versuchsphasen jeweils einige versuchsfreie Tage. Der 3 x 3 Tage-Ablauf wurde sechs Mal wiederholt, die Testgruppe umfasste jeweils zwei bis fünf Kühe. Wegen diverser Probleme konnten am Ende aber nur die Daten von 34 Kuhtagen ausgewertet werden. 

Längste Fressdauer mit Glocken

Jede Studie ist mit Erwartungen verknüpft. Die ETH-Forscherinnen um Edna Hillmann erwarteten, dass Kühe mit Glocken den Kopf weniger oft bewegen, weniger lang wiederkäuen und länger herumliegen würden. Sie gingen zudem davon aus, dass die Kuhglocken den Herzschlag negativ beeinflussen und andere Kühe auf Distanz halten. Sie wurden auf weiten Strecken enttäuscht.

Gegenüber den Medien gaben die Forscherinnen an, dass die Fressdauer nach drei Tagen mit der stillen Glocke um ca. zwei Stunden sank und durch die klingende Glocke um rund 40  Minuten reduziert wurde. Sie sagten aber nicht, dass es auch Kühe gab, die mit der stillen Glocke um den Hals deutlich länger frassen. Die längste Fressdauer von allen Versuchskühen hatten ausgerechnet Kühe mit Glocken (Biber, Darling, Zulli frassen dann zwischen 900 und 1‘000 Minuten pro Tag).

Selbst der vergleichsweise schlechten Fresserin Pamanda schmeckte das Gras mit Glockenklang deutlich besser, sie frass dann fast doppelt so lange wie ohne Glocke um den Hals. Ohne Glocke hielt sich die Fresslust der meisten Kühe in Grenzen, ihre Fressdauer lag dann tendenziell im Mittelfeld. Ohnehin war der Unterschied im Fressverhalten nicht signifikant und bei den meisten anderen Kriterien waren die Unterschiede ebenfalls bescheiden.

Weniger liegen mit Glocken

Statistisch signifikant unterschieden sich die glockentragenden von den glockenlosen Kühen nur bei der Liegedauer. Kühe mit klingenden Glocken um den Hals lagen am jeweils dritten Versuchstag durchschnittlich 231 Minuten weniger lang herum als am ersten Versuchstag. Ohne Glocke um den Hals nahm die Liegedauer am dritten Tag bei den meisten Kühen zwar ebenfalls ab, aber nicht im gleichen Ausmass. Auch hier gab es Ausnahmen: Kuh Atela lag mit Glockenklang eineinhalb mal so lange herum, wie ohne Glocke (640 Minuten vs. 407 Minuten), während Kuh Biber genau wie Darling zum Liegen eine geräuschlose Glocke bevorzugte (456 bzw. 602 Minuten).

Auffällig war, dass bei 9 von 10 untersuchten Kriterien die tonlose Glocke zu grösseren Verhaltensveränderungen führte als die klingende Glocke. Dass Kühe mit tonlosen Glocken stärker reagierten als Kühe mit klingenden Glocken erscheint zwar unlogisch. Aber es ermöglichte den Forscherinnen zu schreiben, dass es noch weitere Studien braucht, um festzustellen, wie das Wohlbefinden von Kühen durch das Tragen von Kuhglocken beeinträchtigt wird. Ob und wann die nächste Studie in Angriff genommen wird, ist derzeit offen. ETH-Mediensprecherin Claudia Naegeli erklärte auf Anfrage, dass „im Moment keine Folgestudie geplant ist.“

Eveline Dudda, lid

Die vollständigen Studienergebnisse sind im Forschungsjournal PLOS veröffentlicht worden (englisch): http://bit.ly/2bFjNnF Dort findet man auch ein Soundfile zu den Glocken und ein Video.