«Ich fiel kopfvoran über den Lenker auf die Strasse». Fünf Minuten habe er benommen am Boden gelegen, erzählt ein E-Bike-Fahrer der Pendlerzeitung «20 Minuten». Sein Oberschenkel sei stark geschwollen gewesen und er habe seine Zehen nicht mehr bewegen können.

«Da hat man keine Chance»

«Ich bekam Angst und rief den Notruf.» Diagnose: Ein riesiger Bluterguss über den ganzen Oberschenkel, «aber zum Glück nichts gebrochen». Was war passiert?

Am Samstag, 16. Oktober 2021, spannte eine Bauernfamilie Pressengarn über eine Strasse in Aeschi, um die Kühe über die Strasse zu treiben. Der E-Bike-Fahrer sah das Garn zu spät, riss eine Vollbremsung und stürzte. Die Ambulanz brachte ihn ins Spital, das er laut Artikel am Montag darauf wieder verlassen konnte.

Der E-Bike-Fahrer sieht die Schuld beim Landwirt: «Er hätte zwingend ein Warnschild aufstellen müssen.» Die weisse Schnur sehe man als Velofahrer einfach nicht. «Da hat man keine Chance.»

Ungenügend markiert

Die Bäuerin sagte gegenüber «20 Minuten», normalerweise verwende man immer rotweisses Markierband, davon sei aber keines mehr vorhanden gewesen. Der Lehrling habe laut gerufen, der Velofahrer habe aber Musik gehört und sei abgelenkt gewesen. Dies bestreitet dieser. Es steht Aussage gegen Aussage.

Klar ist aber laut Meldung der Kantonspolizei Solothurn eines: Das Pressengarn war ungenügend markiert. Mediensprecherin Astrid Bucher bestätigt gegenüber der BauernZeitung, dass eine Anzeige bei der zuständigen Staatsanwaltschaft eingereicht worden sei. Zur Art oder Höhe der möglichen Strafe macht sie keine Angaben.

Rotweisses Absperrband

«Wir empfehlen für Absperrungen primär rotweisse Absperrbänder mit geringem Reisswiderstand zu benützen», sagt Astrid Bucher. Von Drähten, Schnüren, Pressegarn und dergleichen hält sie nichts: «Diese sind reissfest, schlecht sichtbar und dadurch gefährlich.» Werden ausnahmsweise dennoch solche Materialien verwendet, seien mehrere gut sichtbare Wimpel in leuchtender Farbe anzubringen. «Es ist bei wiederholter Benützung darauf zu achten, dass die Wimpel nicht verheddert sind und sauber gehalten werden».

Auch die Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft (BUL) schreibt in ihrem Merkblatt zum richtigen Verhalten bei Viehtrieb über Strassen Ähnliches: «Keinesfalls dürfen Drähte, Schnüre, Litzen oder Kunststoffbänder benutzt werden.»

 

Richtiges Verhalten

Die Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft (BUL) gibt folgende Empfehlungen für richtiges Verhalten beim Viehtrieb über Strassen ab:

Verkehr anhalten: Beim Überqueren öffentlicher Strassen Verkehr anhalten, bis die Tiere die Strasse überquert haben.

Personal: Hilfspersonenmit reflektierenden Westen, Bändern o. ä. auffällig kleiden.

Kurzfristige Absperrungen: Am besten rot-weiss gestreifte Plastikbänder mit begrenztem Reisswiderstand wählen. Keinesfalls sollten Drähte, Schnüre, Litzen oder Kunststoffbänder (Zaunbänder) benutzt werden.

Warnsignale: Zur Signalisation der Gefahr während des Überquerens beidseitig Faltsignale (Warnsignal «Achtung Tiere») aufstellen, da es sich im rechtlichen Sinne um ein Verkehrshindernis handelt. Eine feste Signalisation mit diesem Gefahrensignal muss über Gemeinde/Kanton beantragt werden und wird nur restriktiv bewilligt. Sie wird schlechter beachtet als ein mobiles Faltsignal.

Auskunft: Weiterhelfen kann auch der örtliche Polizeiposten. 

Das genügt noch nicht

Doch es braucht noch mehr als leuchtende Wimpel, wie Polizeisprecherin Astrid Bucher weiter ausführt: «Die Gefahrenstelle ist mit Faltsignalen Tiere bzw. Andere Gefahren zu signalisieren.» Je nach Lichtverhältnisse und Witterung seien die Faltsignale zusätzlich mit normgerechten Blitzleuchten zu kennzeichnen. Die Distanz zur Signalisation beträgt im Innerortsbereich bis 50 Meter, im Ausserortsbereich je nach Strassenlage und Geschwindigkeitsregime bis 150 m. «Allfällige Hilfspersonen haben reflektierende Warnwesten zu tragen», teilt sie weiter mit.

Der Lehrling habe ein leuchtendes Neonshirt getragen, sagte die betroffene Bäuerin zu «20 Minuten». Das reichte in diesem Fall leider nicht, um einen grossen Bluterguss, eine Fahrt mit der Ambulanz, viel Ärger für alle Beteiligten und eine Anzeige zu verhindern.

 

Rechtliche Grundlagen

Die BUL hat in ihrem Merkblatt die rechtlichen Grundlagen zusammengestellt. Es sind:

Art. 4 Strassenverkehrsgesetz (SVG): ¹ Verkehrshindernisse dürfen nicht ohne zwingende Gründe geschaffen werden; sie sind ausreichend kenntlich zu machen und möglichst bald zu beseitigen.

Art. 50 SVG: ² Vieh darf nicht unbewacht auf die Strasse gelassen werden, ausser in signalisierten Weidegebieten.

Art. 48 Verkehrsregelnverordnung (VRV) Besondere Fälle: ³ Personen, die auf der Fahrbahn oder in deren Bereich arbeiten, müssen nötigenfalls Signale aufstellen; bei Planungs-, Bau- und Unterhaltsarbeiten müssen sie fluoreszierende und rückstrahlende Kleidung nach Schweizer Norm SN 640 710 tragen, durch die sie sowohl bei Tag als auch Nacht gut sichtbar sind.

Art. 12 Signalisationsverordnung (SSV): ² Das Signal «Tiere» warnt vor unbeaufsichtigten Tieren auf der Fahrbahn; das Tiersymbol zeigt die Tierart, um die es sich hauptsächlich handelt. Das Signal steht in Weidegebieten, die von Rechts wegen nicht abgeschrankt sein müssen, fer­ner bei Alpaufzug oder Alpentladung, solange sich Herden auf der Fahrbahn bewe­gen.Es wird nötigenfalls auch auf Hauptstrassen mit häufigem Viehtrieb aufgestellt.

Art. 83 SSV: ³ Für kurzzeitige Sperren auf Strassen mit schwachem Verkehr können Ketten oder Seile und dergleichen verwendet werden; sie sind rot-weiss gestreift oder durch rote und weisse Wimpel gekennzeichnet.