BauernZeitung: Melkroboter sind nichts Aussergewöhnliches mehr. Immer mehr Landwirte entscheiden sich für dieses doch sehr teure Melksystem. Ist es die Technik, die fasziniert?
LUKAS REDIGER: Die Land-wirte erhoffen sich vor allem Flexibilität und eine höhere Lebensqualität. Aber ja, die Technik spielt sicher auch eine Rolle.
Wird die Lebensqualität mit einem Roboter tatsächlich höher?
REDIGER: Auf den ersten Blick schon. Man ist weniger an die Melkzeiten gebunden, also flexibler. Auf den zweiten Blick stellt man aber fest, dass mit einem Roboter vieles komplexer wird. Beispielsweise muss sich eine Ferienvertretung mit dem Roboter auskennen, sonst wird es schwierig. Und Kälber tränken und Tiere füttern braucht nach wie vor einen gewissen Rhythmus.
Welches sind die drei wichtigsten Vorteile eines Roboters?
REDIGER: 1. Flexiblere Arbeitszeiten. 2. Das Melken braucht weniger Zeit. Dadurch können dank Roboter bei gleichem zeitlichen Aufwand zum Beispiel 65 statt bisher 52 Kühe gemolken werden. 3. Eventuell Platz- oder Kosteneinsparungen bei einem Umbau, da ein Roboter weniger Platz benötigt.
Lässt sich mit einem Roboter wirklich Zeit einsparen?
REDIGER: Man spricht von 10 bis 30 Prozent Zeitersparnis. Für mich sind 15 bis 20 Prozent realistisch. Je mehr Tiere, desto höher ist die Zeitersparnis. Man spart pro Kuh.
Welches sind die drei wichtigsten Nachteile eines Roboters?
REDIGER: 1. Die Flexibilität kann auch zum Risiko werden. Nämlich dann, wenn zum Beispiel die Eutergesundheit der Tiere zu wenig überwacht wird. Man befasst sich beim Robotersystem vorwiegend mit den Tieren, die nicht gesund sind. Bei Arbeitsspitzen kann man den Überblick rasch verlieren. Der Landwirt oder die Landwirtin muss sehr konsequent sein und die Überwachung der Tiere wie einen roten Faden im Tages-
ablauf einbauen.
2. Oft wird der Zeitaufwand für behandelte Kühe und Kalberkühe unterschätzt. Diese Tiere erfordern eine spezielle Reinigung des Roboters. Muss ein Sondertier betreut werden, braucht dies viel Zeit. Hat man zwei euterkranke Tiere zu behandeln und zwei Frischkal-bigen zu betreuen, geht schnell eine Stunde vorbei.
3. Die laufenden Kosten eines Roboters sind deutlich höher als bei einem konventionellen Melksystem. Wer die Flexibilität nicht braucht oder die Maschine nicht auslasten kann muss genau prüfen, ob sich ein Gerät für seinen Betrieb lohnt.
Welchen Betrieben raten Sie, einen Roboter als Melksystem zu wählen?
REDIGER: Wichtig ist, dass man den Betrieb analysiert und gründlich durchkalkuliert, wie sich dieses Melksystem auf das gesamtbetriebliche Einkommen auswirkt. Es kann zum Beispiel sein, dass ein Roboter isoliert betrachtet nicht wirtschaftlich arbeitet, doch auf dem gesamten Betrieb deswegen trotzdem mehr verdient wird. Man sollte sich also fragen, wie die gewonnene Zeit eingesetzt werden kann. Denn die mit dem Roboter gekaufte Produktivität muss irgendwie genutzt oder bewusst unter Lebensqualität abgebucht werden. Wichtig ist weiter, dass das System ausgelastet werden kann, das heisst 1700 bis 2000 Kilogramm Milch pro Tag, oder 65 bis 70 Kühe. Ich empfehle den Landwirten immer, sich mit möglichst vielen erfahrenen Berufskollegen auszutauschen. Erfahren heisst für mich, mindestens zwei Jahre Erfahrung mit einem Roboter.
Mit einem Roboter lassen sich zirka 65 bis 70 Kühe melken. Was raten Sie einem Bauer, der die Möglichkeit bekommt, mehr Kühe zu melken?
REDIGER: Wenn das System genügend Reserve hat, soll er unbedingt mehr Kühe melken. Zehn Prozent freie Kapazität sollte jedoch einem System bleiben. Da dies auf die Melkeigenschaften der Herde drauf an kommt, ist dies von Herde zu Herde verschieden.
Was raten Sie Landwirten, die 30 Kühe mehr melken könnten?
REDIGER: Wachstumsschritte sind mit einem Roboter sprunghaft und teuer. Auch hier gilt der Grundsatz der optimalen Auslastung, das heisst mindestens auf 120 Tiere wachsen.
Ist mit Roboter das Weiden noch möglich?
REDIGER: Ja, aber nur arrondiert, damit sich die Kühe jederzeit melken lassen können. Soll die Weide eine gewichtige Rolle spielen, braucht es ein ausgeklügeltes
Management und ein Weidetor.
Wie viel kostet ein Roboter?
REDIGER: Ein neuwertiger Roboter kostet von 180 000 Fr. an aufwärts, je nach Zusatzausrüstung und Umstände. Eine Occasion kann eine Alternative sein. Nicht vergessen darf man die Gebäudekosten, die gegenüber anderen Melksystemen eventuell eingespart werden können. Im Talgebiet scheinen als grobe Schätzung 50 000 Fr. bereits gut gerechnet zu sein. Allerdings wird dem Roboter heute bei Neubauten mehr Raum gegeben, was diese Vorteile wieder schwinden lässt.
Wie lange funktioniert ein Roboter?
REDIGER: Man sollte ihn auf zehn Jahre abschreiben. Auch wenn ein Roboter länger als zehn Jahre funktioniert, können wegen der Weiterentwicklung der Technik Probleme entstehen. Der Servicetechniker kann alte Maschinen nicht gleich effizient warten wie neue. Grundsätzlich ist es wichtig, bei der Wahl eines Melksystems über eine lange Zeitdauer zu rechnen. Einen Melkroboter schreibt man über zehn Jahre ab, einen Melkstand über 25 Jahre.
Zehn Jahre ist keine lange Zeit.
REDIGER: Zehn Jahre sind vorsichtig realistisch berechnet. Es kann sein, dass ein Roboter 15 Jahre funktioniert. Aber über mehr als zwölf Jahre würde ich ihn nie abschreiben.
Wie hoch sind die jährlichen Unterhaltskosten?
REDIGER: Für Service und Reparaturen muss man zirka 8000 Franken rechnen. Mit Verbrauchsmitteln, also Dipmittel, Reinigungsmittel und Milchfilter kommt man auf 11 00 bis 12 00 Franken, ohne Abschreibungen, Strom und Wasser. Gelegentlich gibt es Reparaturen, die viel kosten. Geht zum Beispiel die Kamera kaputt, kostet das mehrere Tausend Franken. Bei einem Melkstand liegen die jährlichen Unterhalts-, Verbrauchs- und Servicekosten bei 6000 Franken. Allerdings darf der Vergleich nicht einfach so stehen gelassen werden.
Warum fallen diese Kosten so unterschiedlich aus?
REDIGER: Das System läuft permanent und muss zwecks Funktionssicherheit gewartet werden. Da Roboter häufiger Reinigungen durchführen und Zitzen gesprayt werden, kann es mehr solche Mittel brauchen. Werden die Abschreibungen im Vergleich mit einbezogen, so muss berücksichtigt werden, dass bei einem Roboter ein Teil der Arbeit bereits verrichtet ist. Je nach Stundenlohn, den ich einem Melker zahle, bin ich aber mit dem Roboter – bei ausgelastetem System – trotz hohen Kosten konkurrenzfähig.
Ein Landwirt liebäugelt mit einem Roboter. Wo bekommt er verlässliche Informationen und Zahlen?
REDIGER: Von den kantonalen Beratungen und wie gesagt von erfahrenen Berufskollegen, die ehrlich sind. Wichtig ist, dass der Landwirt prüft, ob er bei einem Kauf auch gut betreut wird. Denn mit dem Einbauen des Roboters und einem Einführungskurs ist es noch nicht getan. Der Landwirt sollte zumindest am Anfang unterstützt und begleitet werden. Im Ausland ist das üblich. Bei Problemen darf der Landwirt nicht zögern, die Firma anzurufen, denn warten bedeutet beim Roboter Risiken in Kauf zu nehmen, zum Beispiel bei der Eutergesundheit oder Milcheinbrüchen.
Wie gross ist die Abhängigkeit vom Hersteller?
REDIGER: Sehr gross. Es gibt zwar Möglichkeiten, Verbrauchsmaterial auf anderen Wegen zu beziehen. Aber der Hersteller übernimmt keine Verantwortung, wenn damit etwas nicht funktioniert. Man geht bei einem Roboterkauf eine lange Beziehung mit dem Hersteller ein. Ein Wechsel zu einer anderen Firma ist teuer. Auch bei einem Melkstand ist man abhängig, aber viel weniger, und ein Herstellerwechsel ist günstiger.
Sie bieten eine umfassende Beratung für Milchproduzenten, unter anderem für Roboterbetriebe, an. Was bringt diese den Landwirten?
REDIGER: Unser Beratungsring entspricht einer neutralen, einzelbetrieblichen Unternehmensberatung für Milchproduktion. Die Abos dauern in der Regel mehrere Jahre. Das kennt man von der Spezialberatung aus Deutschland. Mitglied sind zurzeit 36 eher grössere Betriebe, sechs davon haben einen Roboter. Es geht darum, den Betriebszweig aus produktionstechnischer und betriebswirtschaftlicher Sicht zu optimieren.
Interview Ursina Berger-Landolt
- das ganze Interview finden Sie in der BauernZeitung vom 15. August 2014