Während Gülle und Mist von Nutztieren selbstverständlich als Dünger eingesetzt werden, landen menschliche Ausscheidungen ungenutzt in der Kanalisation. Da die herrschende Düngerkrise die Abhängigkeit der Schweiz von importierten Nährstoffen für die Landwirtschaft gerade schmerzlich bewusst macht, scheint diese einheimische und quasi unerschöpfliche Quelle besonders attraktiv. Die Firma Vuna will sie nutzbar machen und hat bereits ein Produkt aus aufbereitetem Urin auf den Markt gebracht: Aurin.

Etwa gleichviel Stickstoff, aber besser pflanzenverfügbar

Das Bundesamt für Landwirtschaft hat Aurin 2018 eine definitive Bewilligung erteilt, es wird als flüssiger Stickstoff-Recyclingdünger gehandelt. «Der Gesamtstickstoffgehalt von menschlichem Urin ist etwa gleich hoch wie bei unverdünnter Rindviehvollgülle (3,9 kg/m3 N-total gemäss GRUD)», erklärt Martin Bertschi. Der Bereichsleiter Pflanzenbau und Agrartechnik am Strickhof war während der Entwicklung von Aurin die landwirtschaftliche Ansprechperson. Aurin sei im Vergleich dazu aber aufkonzentriert, heisst es ergänzend bei der Herstellungsfirma Vuna, weshalb es mit einem N-Gehalt von 48 kg/m3 auf etwa das Zehn- bis Zwölffache der Gülle kommt. Bei der Ausbringung müsse entsprechend verdünnt werden. Allerdings sei der Stickstoff schneller pflanzenverfügbar, was den neuartigen Dünger als Ersatz für importierten Mineraldünger interessant macht.

Emissionen dürften tiefer sein

Im Vergleich zu Gülle enthält Aurin laut Martin Bertschi weniger Phosphat und Kalium und kein Magnesium, dafür aber Spurenelemente wie Bor, Eisen und Zink. Zwar sind Ammoniak- und Lachgas-Emissionen wie bei allen Stickstoff-Düngern auch bei diesem Produkt nicht ausgeschlossen, bei ausreichender Verdünnung und bodennaher Ausbringung sowie guter Witterung dürften sie aber sehr gering ausfallen. Dies, weil bei der Herstellung von Aurin bereits flüchtige Ammoniakgase abgeleitet werden. Neue Studien aus Deutschland und Frankreich deuten nach Angaben von Vuna zudem darauf hin, dass die Lachgas-Emissionen merklich tiefer liegen als bei Gülle oder Mineraldünger. Genaue Zahlen sollen noch erhoben werden.

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Hürden für den landwirtschaftlichen Einsatz

Unverdünnt als Blattdünger sei Aurin nicht geeignet, da es aufgrund des Ammoniaks nicht gut pflanzenverträglich ist, fährt der Strickhof-Fachmann fort. «Bei starker Verdünnung braucht es dafür relativ grosse Einsatzmengen für eine Düngergabe im produktionstechnischen Verständnis.» Ein weiteres Hindernis ist aktuell der hohe Preis: Aurin kostet heute im 25-Liter-Kanister 198 Franken – das ist dem aufwändigen Herstellungsverfahren geschuldet, bei dem Medikamente, Hormone und Krankheitskeime aus dem Urin gefiltert werden. Die Abnehmer sind nach Angaben von Bastian Etter von der Firma Vuna hauptsächlich Private, Gärtnereien und Sportplätze. «Der Peis ist in Ordnung für Balkonpflanzen oder Hochbeete, aber nicht in Reichweite der klassischen landwirtschaftlichen Düngemittel», ordnet Martin Bertschi ein.

Weder Schadstoffe noch Hormone
Der Urin wird in wasserlosen Urinalen oder speziellen Trenntoiletten gesammelt. In einem biologischen Verfahren stabilisiert Vuna anschliessend den Stickstoff per Nitrifikation, Filter aus Aktivkohle entfernen Medikamente und Hormone. Anschliessend eliminiert ein Verdampfer die Krankheitskeime und reduziert das Volumen – am Ende des Prozesses stehen Aurin und Wasser. Schwermetalle sind kein Problem, da sie im Urin nicht vorhanden sind. Der Energieaufwand der Aurin-Herstellung ist laut Vuna vergleichbar mit der normalen Abwasserreinigung. 

«Das System funktioniert»

[IMG 3]Am Rohstoff herrscht jedenfalls kein Mangel, schliesslich produziert jede Person pro Jahr etwa 500 Liter Urin. Die heutige Produktionsmenge von Aurin beläuft sich laut Bastian Etter auf 10'000 Liter pro Jahr – «Das ist zwar noch eine eher bescheidene Menge. Damit können wir aber zeigen, dass das System funktioniert und dass der Dünger auch sinnvoll eingesetzt werden kann», meint der Vuna-Geschäftsführer. Die Produktion werde in den kommenden Jahren ständig steigen. So seien für dieses und nächstes Jahr weitere und grössere Anlagen geplant, mit denen direkt in Gebäuden Dünger produziert werden soll – etwa im Hauptgebäude der ETH Lausanne. «Mit der Produktionssteigerung werden auch die Kosten für den Dünger sinken, auf etwa 2-3 Franken pro Liter», so seine Schätzung.

Es gäbe genug Nährstoffe im Inland

Bastian Etter ist überzeugt, dass Aurin in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Unabhängigkeit von Mineraldünger-Importen leisten wird. Dies zusammen mit anderen im Inland hergestellten Recyclingdüngern. «Die Schweiz verzeichnet seit Jahren einen Stickstoffüberschuss, d.h. wir könnten uns selber mit diesem Pflanzennährstoff versorgen», bemerkt der Geschäftsführer von Vuna. Stattdessen werde die Ressource Urin aber noch komplett vernachlässigt und die Abhängigkeit vom Ausland akzeptiert.

Chance bei Bio-Zulassung

Mit Blick auf die Düngerimport sieht auch Martin Bertschi es als sinnvoll an, in der Schweiz anfallende Nährstoffe einzusetzen und so dem Kreislauf zuzuführen. Die teure Herstellung aufgrund der aufwändigen Aufbereitung des Urins sei aber eine grosse Herausforderung für einen wirtschaftlichen Einsatz als landwirtschaftlichen Dünger. Preissenkungen dank grösserer Produktionsmengen würden seiner Meinung nach kaum reichen, um Aurin für den Futter- oder Ackerbau rentabel zu machen. «Eine Chance bestünde noch, wenn es die hohe Hürde auf die Bio-Betriebsmittelliste nehmen würde», ergänzt der Fachmann. So könnte Aurin vielleicht auf viehlosen Bio-Acker- oder Bio-Gemüsebaubetrieben Verwendung finden.

Damit aufbereiteter Urin den Sprung in die Landwirtschaft schafft, brauche es ein neues Kreislaufdenken, findet Bastian Etter. Abfälle müssten als Rohstoffe verstanden werden und viele, starke Referenzprojekte müssten zeigen, dass die Nährstoffwende möglich ist. «Bei Neubauprojekten sollte konsequent auf neue Technologien gesetzt werden».

Mehr zu Aurin: www.vuna.ch/aurin

Landwirte sind gesucht
Unter dem Namen VaLoo haben sich 2021 44 Menschen aus 18 Organisationen zu einem Netzwerk vereint, das sich für «kreislauffähige Sanitärsysteme» in der Schweiz einsetzt. Konkret geht es darum, menschliche Fäkalien als Rohstoffe zu nutzen. Das Netzwerk befindet sich noch im Aufbau, vor allem Interessierte aus der Landwirtschaft sind sehr gesucht. 
Weitere Informationen: https://va-loo.ch/