Nach über 30 Jahren am BBZ Arenenberg geht der Bioberater und Berufsschullehrer Jakob Rohrer per Ende Januar in Pension. «Auf einem Bauernhof aufgewachsen bin ich nicht», sagt er im Rückblick. «Aber ich verbrachte sehr viel Zeit auf dem Betrieb der Grosseltern und habe mich schon als Bub der Landwirtschaft nahe gefühlt».

Erster Bioberater

Dieses Interesse führte ihn später vom heimatlichen Buchs im St. Galler Rheintal nach Zürich zum Agronomiestudium an der ETH. Anschliessend war er ebenfalls in Zürich bei der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Futterbaus AGFF tätig, darauf folgten sieben Praxisjahre bei der Agrico-Genossenschaft im Kanton Baselland, einem Biobetrieb. 1990 kam Rohrer ans BBZ Arenenberg in Salenstein TG, wo er die neu geschaffene 50-Prozent-Stelle als Bioberater antrat. Die restlichen 50 Prozent entfielen auf die Beratung von IP-Betrieben. Bald konnte er sein Pensum in der Bioberatung ausbauen. Auch der Anteil Unterricht im Biolandbau wurde stetig grösser. In den letzten Jahren wirkte der heute 65-Jährige zudem als Lehrlingsbetreuer.

Vor 40 Jahren wurde Bio Suisse gegründet. Damals waren Sie bereits im Biolandbau tätig. Was hat sich bei Ihrer Arbeit als Berater und Lehrer seither am meisten verändert?

Jakob Rohrer: Obwohl ich in den Anfängen noch der einzige Bioberater am Arenenberg war, fühlte ich mich immer akzeptiert. Den Unterricht für den Biolandbau musste ich damals selbst aufbauen, entsprechende Lehrmittel gab es noch keine. Seither hat die Anzahl Biobetriebe stark zugenommen. Im Kanton Thurgau gab es zwar schon Anfang Neunzigerjahre um die 60 Bioproduzenten, heute ist die Zahl auf etwa 350 angewachsen, der Anteil der Biobetriebe liegt bei 15 Prozent, Tendenz steigend. Dies zeigt, dass Bio keine Nische mehr ist.

Gab es Meilensteine, die besonders entscheidend ­waren?

Ein entscheidendes Ereignis war wohl, als 1993 Coop und zwei Jahre später Migros in den Biosektor eingestiegen sind. Das hatte zur Folge, dass immer mehr Produzenten gesucht wurden.

Im Thurgau stellen immer mehr Landwirte auf Bio um, während die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe zurückgeht. Sie haben selbst viele Betriebe beraten und Umstellungen begleitet. Was sind die Hauptgründe, weshalb ein Betrieb auf Bio umsteigt?

Zum einen ist es für viele Bauern eine Herzensangelegenheit, sorgsam mit der Natur umzugehen und so ökologisch wie möglich zu produzieren, zum anderen sehen sie in der Umstellung eine wirtschaftliche Chance. Bei den einen überwiegt das erste Motiv, bei den anderen das zweite. Meiner Erfahrung nach braucht es beides. Manchmal erlebte ich auch, dass zunächst wirtschaftliche Beweggründe im Vordergrund standen und die innere Überzeugung erst später reifte. Mich freute es jeweils, wenn Umsteller im Nachhinein sagten: «Uns ist es wohl so, es passt.»

Es gibt jedoch auch Interessierte, die sich schlussendlich gegen eine Umstellung entscheiden. Was sind die Gründe?

Manchmal zeigte es sich in gemeinsamen Gesprächen, dass Bio im konkreten Fall ohne grössere Umstrukturierung nicht durchführbar wäre. Etwa, weil der Betrieb eine intensive Tierhaltung hat, beispielsweise Schweinemast. Oder weil ein Milchbetrieb keine Abnehmer im Biokanal findet. Mein Eindruck ist, dass viel mehr Bauernfamilien auf die Bio-Schiene wechseln würden, wenn ihre Produkte auf dem Markt Platz hätten.

Aufgrund des Drucks, chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel zu reduzieren, fliessen auch im konventionellen Anbau zunehmend Methoden zur mechanischen Unkrautvernichtung ein, die lange Zeit hauptsächlich im Biolandbau verortet wurden. Wie schätzen Sie das heutige Miteinander oder Nebeneinander von Bio und konventionell ein?

Beide haben heute in vielerlei Hinsicht gleiche Bestrebungen, beispielsweise der Einsatz von bodenschonenden Methoden. Früher galt Bio als exotisch, aber das änderte sich stetig. Schon in den Neunzigerjahren zeigte der ÖLN Interesse am Biolandbau. Und heutzutage fragt an Veranstaltungen niemand mehr, ob man Bio oder nicht Bio produziert. Auch absolvieren inzwischen 2 bis 3 von 20 Lernenden ihre Ausbildung auf einem Biobetrieb.

Wie haben Sie als Lehrer das Interesse der jungen Bauerngeneration am Biolandbau erlebt?

Bio ist auch bei den Jungen selbstverständlicher geworden. Jeder kennt jemanden, der einen Biobetrieb hat oder auf einem solchen gearbeitet hat. Zwar kursieren noch immer da und dort Klischees, dennoch muss man sich heute als Biolandwirt nicht mehr rechtfertigen.

Immer mehr ein Thema ist die Regenerative Landwirtschaft mit ihrem Fokus auf Bodenfruchtbarkeit. Welche Bedeutung hat sie Ihrer Ansicht nach?

Etwas provokativ gesagt, ist dies alter Wein in neuen Schläuchen. Intensive Begrünung, Humuspflege und schonende Bewirtschaftung gehören zur ganz normalen Ausbildung im Ackerbau und waren bereits in den Achtzigerjahren Vorlesungsthemen. Positiv ist, dass die Aushängeschilder der Regenerativen Landwirtschaft es schaffen, die Landwirte für die Bodenpflege zu begeistern.

Im Kanton Thurgau spielt das Obst eine wichtige Rolle. Wo steht der Bio-Anbau darin?

Im Bio-Obstanbau gab es vor ein paar Jahren einen Aufschwung, es kamen einige grosse Produktionsbetriebe dazu. Dies ist ­erfreulich, denn eine Zeit lang wurde befürchtet, dass die Ostschweizer Bio-Obstproduktion gegenüber dem Wallis immer mehr ins Hintertreffen geraten würde. 2020 war ein gutes Jahr mit einer grossen eingelagerten Bioapfel-Menge. Bisher lief der Abverkauf gut, doch für einen erfolgreichen Absatz der ganzen Ernte braucht es noch Anstrengungen der Vermarkter.

Welche Rolle könnte zudem der Anbau von Soja und Leguminosen spielen, wenn das Wiederkäuerfutter ab 2022 zu hundert Prozent einheimisch sein muss?

Während der Markt für Biosoja für Lebensmittel bereits gesättigt ist, besteht im Anbau für den Futterkanal grosses Potenzial. Besonders für gute Ackerbaulagen bis zu 600 m ü. M. ist dies eine Chance. Letztes Jahr sind bereits einige Produzenten neu eingestiegen, einige kommen nun noch dazu. Bereits verbreitet ist der Anbau von Eiweisserbsen und Ackerbohnen. Auch dieser Bereich wird noch wachsen.

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen für Biobetriebe heute?

Ich wünsche mir eine steigende Nachfrage für Bioprodukte bei den Konsumenten. Seitens der Produzenten ist die Bereitschaft da, auf Bio umzustellen. Dabei wäre es wichtig, einen gangbaren Weg zu finden zwischen Reglementierung und freiheitlicher Produktion.

Welches sind Ihre Pläne nach der Pensionierung?

Bis Juni gebe ich noch in einer Klasse Unterricht. Nun bleibt mir mehr Zeit für meinen Garten und die kleine Obstanlage, die ich seit zwei Jahren bewirtschafte. Zudem gehe ich gerne in die Berge, im Winter mit Skiern.