«Äusserst anspruchsvoll» war die vermutlich meistverwendete Redewendung an der Generalversammlung der Anicom AG vom 6. Juni in Grangeneuve im Kanton Freiburg. Verwaltungspräsident Heinz Mollet sprach von einem unbefriedigenden Ergebnis. CEO Stefan Schwab gar von einem finanziellen Desaster.

Historischer Preiszerfall

Auslöser für den betriebswirtschaftlichen Tiefpunkt war der desaströse Schweinemarkt. Nach Aufhebung sämtlicher Corona-Massnahmen Ende 2021 sank die Nachfrage nach Schweinefleisch innert kürzester Zeit auf das Niveau von 2019, fasst Anicom in einer Mitteilung zusammen. Zudem sei Anfang 2022 aufgrund des verregneten Grillsommers 2021 überdurchschnittlich viel Schweinefleisch eingelagert worden.

Gleichzeitig wurde die Produktion nicht rechtzeitig reduziert: «Aufgrund der guten Marktlage in den Vorjahren stieg das Mastjagerangebot 2022 weiter an.» Die hohe Produktion, die vollen Tiefkühllager sowie die tiefere Nachfrage hätten dazu  geführt, dass ab Sommer 2022 aussergewöhnlich viel Schweinefleisch im Angebot war. Es kam zu einem historischen Preiszerfall.

Abnehmer zahlten nichts mehr für Transport

Im gleichen Zug sahen sich die Schweinehalterinnen und Schweinehalter mit gestiegenen Produktionskosten konfrontiert. Davon seien sowohl die Produzenten wie auch die Abnehmer betroffen. «Wir leiden mit», sagte Mollet. Dies äusserte sich unter anderem darin, dass die Verarbeiter teilweise nichts mehr bezahlen wollten für die Anlieferung der Tiere. «In dieser Marktsituation kommt die Ware ohnehin, ob mit oder ohne Bezahlung».

200 Mio Fr. vernichtet

Das vergangene Geschäftsjahr war zwar ungewohnt schwach, das Unternehmen sei aber grundsolid aufgestellt, betonten Mollet und Schwab. Das Eigenkapital hat auf rund 9 Mio Fr. abgenommen, weil das Betriebsergebnis mit einem Minus von gut 546'000 Fr. zu Buche schlug. Im Jahr 2021 hatte man noch einen Gewinn von 320'000 Fr. geschrieben. Ebenfalls stark gelitten hat der Umsatz. Hier schloss das Geschäftsjahr 2022 mit 436 Mio Fr., das sind 13,5 % weniger als im Vorjahr. Die Aktionäre zeigten sich nachsichtig und stimmten der Jahresrechnung einstimmig zu.[IMG 2]

Die grosse Frage ist nun, wie eine künftige solche Krise verhindert werden soll. Hier sei die Suisseporcs im Lead, sagte Stefan Schwab. Diese beziffere die im vergangenen Jahr erfolgte Wertschöpfungsvernichtung der Schweinebranche auf 200 Mio Fr. Dazu beigetragen haben nicht nur die Preiseinbussen, sondern auch die teuren Marktabräumungsaktionen mit Jager- und Fleischexporten.

Jagerexport sechsmal günstiger

Mit diesen Massnahmen, an deren Umsetzung Anicom stark beteiligt war, konnten 14'000 Jager und 46'412 schlachtreife Tiere (etwa die wöchentlich geschlachtete Menge) aus dem Markt genommen werden. Dies unter tatkräftiger finanzieller Mitwirkung der Produzenten. Interessant hier: Laut Schwab war die Jageraktion im Endeffekt sechsmal günstiger, als die Marktabräumung beim Fleisch. Die aus Sicht Anicom günstigste Lösung wäre aber eine sofortige Reduktion der Schlachtgewichte gewesen. Dafür gab es in der Grossmetzgerbranche aber kein Musikgehör.

Nun gelte es, eine marktgerechte Schweineproduktion sicherzustellen, fuhr Schwab fort. Im Vordergrund steht derzeit das neue Jagerpreismodell, in Diskussion sind auch Stillegungsprämien, die allerdings sehr umstritten sind. «Jede Idee ist zur Diskussion zu stellen», so Schwab, «und wir werden uns engagieren und bei der Umsetzung helfen».   

Tornado und Eierkuchen

Das Geschäftsjahr zeigte aber auch einige positive Punkte. «Während im Schweinemarkt ein Tornado vorüberzog, herrschte bei den Haartieren Friede, Freude, Eierkuchen», sagte Schwab. Mit anderen Worten: Im Rindvieh-Bereich läuft alles rund und die Aussichten bleiben gut. Auch in Sachen Konsum ist man bei Anicom optimistsich: Die Bevölkerung wachse und der Fleischkonsum nehme nur marginal ab. Es herrsche also eine absolut stabile Situation. «Es wird konsumiert und auf Fleisch gesetzt», sagte Schwab, «Schweizer Fleisch hat Chancen».

Aussichten für 2023 gedämpft

Die Schweinekrise ist aber noch nicht vollumfänglich ausgestanden. Das Problem der strukturellen Überproduktion ist noch nicht gelöst. Bis sich die Schweineproduktion der Inlandnachfrage angepasst habe, bleibe die Lage herausfordernd. Trotz weiterhin positiven Signalen im Haartierbereich seien die Erwartungen von Anicom für das Geschäftsjahr 2023 daher gedämpft. «Das hängt auch mit den anhaltend hohen Kosten zusammen, die sich nur bedingt in den Absatzpreisen abbilden oder durch Effizienzgewinne wettmachen lassen», heisst es in der Mitteilung mit Gewinnwarnung.

«Tierische Produktion ist eine tragende Säule»: Martin Rufer zu Fleischmarkt und AP
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Martin Rufer, Direktor des Schweizer Bauernverbands SBV hielt anlässlich der GV von Anicom das Gastreferat. Er leitete ein mit flattierenden Worten: Die tierische Produktion sei eine tragende Säule der Schweizer Landwirtschaft, so der SBV-Direktor. Deshalb müsse sich das Bundesamt für Landwirtschaft gut überlegen, wie es die angestrebte Transformation des Ernährungssystems finanziell abfedern wolle. Die landwirtschaftliche Tierproduktion konnte ihre Umsätze in den zehn Jahren um eine Mrd Fr. erhöhen, während der Pflanzenbau stagnierte. 
Die öffentliche Wahrnehmung - alles will Bio und vegan - und die Realität stimmten hier oft nicht ganz überein. Der Fleischkonsum sei praktisch unverändert und der Bioanteil verharre auf tiefem Niveau. «Wir sind alle gut beraten, uns an der Realität zu orientieren», sagte er.
«Wir haben eine gute Ausgangslage», meinte er mit Blick auf die Landwirtschaft. Eine Univox-Umfrage aus dem Jahr 2022 zeige durchwegs positive Ergebnisse. «Di Cheibe maches doch nid so schlächt», sei wohl das Fazit der Mehrheit.

Im Hinblick auf die nähere Zukunft listete Rufer dann fünf Themen auf:
1. AP 22+:Das sei eine relativ gute Sache, die grosse Frage sei aber, wie es weitergeht ab 2030. «So wie es jetzt gelaufen ist, kann es nicht mehr weitergehen». Wir haben durchreguliert und zuviel Mikromanagement betrieben, so Rufer. Als Beispiel zeigte er das Bild eines abgestorbenen Obstbaums. Einen solchen könne man nur als BFF2 angeben, wenn der Durchmesser des Stamms auf Brusthöhe 20 cm oder mehr beträgt. Es braucht eine kohärente Agrar- und Ernährungspolitik, einen «Reset» des Direktzahlungs-Systems mit einer Vereinfachung ohne Mikromanagement, forderte Rufer unter anderem. Ebenso wichtig ist ihm Planungssicherheit. Agrarpolitische Runden sollten künftig nur noch alle 8 statt alle 4 Jahre lanciert werden.
2. Biodiversitäts-Initiative:Nächste Woche debattiert der Ständerat den
«sehr weitgehenden Gegenvorschlag», potenziell müssten 30 % der Landesfläche ausgeschieden werden, das sei eine Katastrophe für die Landwirtschaft. Die «blöde Angst von Bundesrat und Parlament» vor Initiativen sei Einladung zu noch mehr Initiativen. Man dürfe sich hier nicht erpressen lassen, so Rufer, Initiativen gelte es am besten ohne Gegenvorschlag ins Rennen zu schicken.

3. Klima – Tierhaltung: Rufer plädierte hier für eine etwas andere Betrachtung der Methan-Produktion als Teil des CO2-Kreislaufs. Methan zersetze sich und werde wieder absorbiert von Pflanzen.
4. Wolf – Revision Jagdgesetz: Hier gebe es eine starke Entwicklung der Bestände, alleine im letzten Jahr seien 100 Wölfe dazugekommen.
5. Herausforderung Markt: Im Fleisch laufe man in ein Problem rein, «weil wir ständig Preisaktivitäten haben». Das sei ein gefährlicher Weg, er schade der Wertschöpfung. «Das ist ein Punkt, wo wir Einhalt gebieten müssen», so Rufer.
Es gebe also viele politische Herausforderungen, sagte Rufer.
«Deshalb sind wir auf gute politische Rahmenbedingungen angewiesen». Die Wahlen 2019 hätten einen Linksrutsch gebracht. Das gelte es in den Wahlen vom Herbst zu korrigieren.