Sie sind eines der bestgehüteten Geheimnisse der Lebensmittelbranche: Die Margen des Detailhandels. Nun bringt eine Recherche der Westschweizer Publikationen «Le Temps» und Heidi.news erstmals Licht ins Dunkel der Verschwiegenheit. Die Ergebnisse bestätigen die bisherigen Erwartungen. Die durchschnittlichen Margen sind sehr hoch. Dies zeigen aktuelle Daten der Laiteries Réunies in Genf (LRG), die eine Hackergruppe den beiden Medien zugespielt hat.

Mehr Macht, mehr Marge

So kauft Coop bei LRG das Viererpack der Joghurtalternative Sojasun Heidelbeere für Fr. 1.70 und verkauft es für Fr. 3.35. Damit hat Coop eine Bruttomarge von 92 % bezogen auf den Einkaufspreis, um eines der krassesten Beispiele zu nennen.

Interessant ist, dass die Detailhändler unterschiedliche Einkaufskonditionen haben. So kann Migros den Klassiker Tamtam günstiger einkaufen als Coop und deshalb trotz leicht tieferem Verkaufspreis eine saftigere Marge einstreichen als Coop (s. Grafik). D.h. je grösser die Marktmacht, desto besser die Marge. Das zeigt sich auch beim Tomme vaudois von LRG. Diesen verkaufen Migros, Coop und Lidl zum selben Ladenpreis von Fr. 1.95. Weil Migros den tiefsten Einkaufspreis hat, kann sie 52% Marge realisieren, Coop dagegen «nur» 43% und Lidl 38%.

Die Recherche der welschen Medien, die in der Deutschschweiz erstmals von «Food aktuell» aufgegriffen wurde, hat insgesamt 77 LRG-Milch- und Milchersatzprodukte untersucht. Dabei errechneten die Autoren Durchschnittsmargen von 57 % für Coop, 46 % für Migros, 35 % für Aligro und 34 % für Manor.

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Dreimal mehr als Edeka

Damit liegen die Schweizer Detailhändler, vor allem die beiden grossen, deutlich über den Margen im benachbarten Frankreich. Dort betragen die Margen für Milchprodukte laut Zahlen des Wirtschaftsministeriums 2020 zwischen 19 und 34% des Einkaufspreises. «Die Margen sind in ganz Europa etwa gleich hoch», sagt Anastasia Li, die Direktorin des Markenartikelverbands Promarca, im Artikel, «nur die Schweiz fällt aus dem Rahmen».

Laut einer Studie von Promarca verzeichnet die Migros im Jahr 2021 eine Bruttomarge von 39%. Damit liege sie doppelt so hoch wie die des französischen Detailhandelsriesen Carrefour. Coop lag in der Studie bei 32%, diese Durchschnitts-Marge sei dreimal so hoch wie die des deutschen Unternehmens Edeka mit seinen 11114 Filialen, rechnet Promarca vor.

Prolait fordert 10 Rp. mehr

Die Recherche sorgte für teilweise heftige Reaktionen, vor allem in der Westschweiz. Der Produzentenverband Prolait forderte als Reaktion auf die «schockierenden» Enthüllungen eine sofortige Erhöhung des Richtpreises um 10 Rp. Prolait erhält Unterstützung von Michel Darbellay, Leiter des Departements Produktion, Märkte und Ökologie beim Schweizer Bauernverband. «Was durch die Recherche bestätigt wurde, ist, dass es Möglichkeiten gibt, dem Produzenten mehr zurückzugeben, ohne alles auf die Konsumenten abzuwälzen», liess er sich von Heidi.news zitieren.

«Mehr vom Franken»

Bei Mooh fallen die Reaktionen ähnlich aus. «Wir wussten bereits vor den jüngsten Enthüllungen, dass die Margen der Verarbeiter und vor allem des Einzelhandels in den letzten Jahrzehnten stetig gestiegen sind», sagt Sprecherin Gabriela Küng, «deshalb unterstützen wir voll und ganz die Forderungen, dass in Zukunft, gerade in Zeiten knapper Rohstoffe, wieder mehr vom Konsumentenfranken beim Produzenten ankommt.»

Klare Worte wählt auch die Bauerngewerkschaft Uniterre: «Würden diese beiden Genossenschaften ihre soziale Verantwortung wahrnehmen und ihre Gewinnspannen senken, könnten Bäuerinnen und Bauern besser entgolten werden, ohne dass dadurch die Preise für die Konsumenten steigen», schreibt sie mit Bezug auf Migros und Coop. Direktzahlungen dürften nicht länger dazu dienen, skandalös niedrige Preise zu rechtfertigen, von denen nur die Grossverteiler profitieren, heisst es weiter.

Coop: «Harte Konkurrenz»

Und was meinen die Detailhändler zur Kritik an ihren satten Margen? «Die berechneten Werte sind für uns nicht nachvollziehbar», schreibt die Coop-Medienstelle. «Bruttomargen haben keine Aussagekraft, da sie den effektiven Kosten nicht Rechnung tragen.» Relevant sei hingegen die Vielzahl an Aktionen, die Coop durchführe und die einen grossen Einfluss auf eine solche Berechnung hätten.

Im Schweizer Detailhandel herrsche seit Jahren ein harter Konkurrenzkampf. Coop bezahle marktgerechte Preise und behandle seine Lieferanten fair. Mögliche Preisunterschiede zum Ausland erklärten sich durch «die höheren Lohn- und Immobilienkosten in der Schweiz, die protektionistische Agrarpolitik und die im Vergleich unterschiedliche vertikale Integration der Unternehmen».

Migros delegiert nach Genf

Der Migros-Genossenschaftsbund delegiert das Problem: «Gestohlene Daten kommentieren wir nicht», so ein Sprecher, zudem handle es sich um lokale Produkte aus Genf, man müsse dort nachfragen. Der Sprecher von Migros Genève schreibt, die Migros kommuniziere nicht über ihre Margen. Die Behauptung, dass die Margen im Schweizer Detailhandel hoch seien, sei ungerechtfertigt: «Die Migros hat nicht die Aufgabe, den Gewinn zu maximieren, sondern ihn in Arbeitsplätze, Gesellschaft und Kultur zu reinvestieren», so der Sprecher. Um sich davon zu überzeugen, genüge ein Blick in die Bilanz. «Mit einer so niedrigen Rentabilität würden wir es an der Börse nicht lange machen.»