«Wir haben gerade keinen Alarm, ich kann sprechen», sagt Landwirt Jan Ostrowski am Telefon, das wir am Mittwoch, 16. März 2022 mit ihm führten. Er bewirtschaftet zwei Betriebe in der Gegend der Kleinstadt Perwomaisk. Der studierte Wirtschaftsingenieur spricht gut Englisch. Nach seinem Studium und einigen Jahren auf dem Beruf ist er auf den Betrieb der Eltern heimgekehrt.

Hier bewirtschaften sie am Wohnort gemeinsam rund 10 ha Biofläche und betreiben Gemüsebau. 40 Kilometer entfernt befindet sich Ostrowskis konventioneller Betrieb mit etwa 100 ha Ackerbau: Weizen, Mais und Sonnenblumen sind die wichtigsten Kulturen. Zu Hause hält er zudem rund um einen Teich einige Enten und Gänse sowie etwa 20 Schafe, diese dienten aber eher als Rasenmäher der Böschungen.

Unpräzise Angriffe

Der 35-jährige Ostrowski und seine Eltern haben einige Angestellte, vor allem für den Gemüsebau. Der im Krieg teilweise heftig umkämpfte Oblast Mikolajew, zu dem Perwomaisk gehört, ist in der ganzen Ukraine berühmt für seine Tomaten. Diese werden wie u. a. die Zucchini und Peperoni auf dem Hof zu Konserven verarbeitet und über den Detailhandel vermarktet.

Der Krieg habe hier alles verändert, sagt Ostrowski. Zwar haben direkt auf dem Betrieb noch keine Geschosse eingeschlagen, aber man müsse dieser Tage mit allem rechnen. «Wir wissen nicht, ob unsere Verarbeitungsräume in einer Woche noch stehen». Die russischen Truppen seien in ihren Angriffen sehr unpräzis, deshalb bezieht die Familie bei Luftalarm regelmässig einen unterirdischen Schutzraum auf dem Betrieb.

Logistik komplett blockiert

[IMG 2]Was den landwirtschaftlichen Alltag angeht, sei die Logistik komplett blockiert. «Wir können im Moment weder Saatgut, noch Dünger oder Treibstoff beschaffen», sagt Jan Ostrowski. Zwar höre man, dass die Produkte grundsätzlich noch vorhanden wären im Land, aber das Problem sei der Transport.

Schwierig sei auch die Distribution der hofeigenen Produkte. Er und seine Berufskolleg(innen) seien sehr bestrebt, diese breit und fair zu verteilen, so dass die teilweise prekäre Versorgungslage nicht noch schlimmer werde. «Das ganze Land muss essen», umschreibt er die Philosophie.

Seit 2014 drohte Krieg

Jan Ostrowski ist nicht eingezogen worden: «Es nützt nichts, wenn ich in den Kampf ziehe und nicht weiss, wie man die Waffe halten muss». Er könne seine Fähigkeiten besser inder Vermittlung von Produkten und Dienstleistungen sowie für Übersetzungsarbeiten einsetzen, dafür stünden er und seine Kollegen auch in Verbindung mit dem ukrainischen Verteidigungsministerium.

Rückblickend meint er, man habe schon seit 2014, als Russland die Halbinsel Krim und indirekt den östlichsten Teil des Landes annektiert habe, mit einem Krieg gerechnet. Deshalb sei man nicht ganz unvorbereitet in die Krise geraten, sagt Ostrowski.

Kees Huizinga: «Russische Soldaten übernachten im Kälberstall» 

«Dieser Krieg muss aufhören», sagt Kees Huizinga. Der holländische Landwirt war in den letzten zwei Wochen stark präsent in den (Sozialen) Medien. Er bewirtschaftet als Manager und Ko-Eigentümer einen Betrieb in der Nähe der Stadt Uman, gut 200 km südlich von Kiew. Dieser umfasst als wichtigste Standbeine 15 000 ha Ackerland und 2000 Milchkühe.

Derzeit weile er in der alten Heimat, um Hilfstransporte zu organisieren und mit Journalisten zu sprechen, sagt Huizinga am Telefon. So will er Bewusstsein schaffen für die katastrophale Kriegssituation. Er berichtet wie sein Kollege Jan Ostrowski von schweren Logistikproblemen. «Es fehlen 200'000 t Diesel», rechnet er vor. Saatgut und Dünger seien kaum erhältlich. Dabei sollte umgehend gesät werden. Man habe bereits entschieden, auf Zuckerrüben zu verzichten. Der Anbau sei zu Treibstoff-intensiv und man wisse nicht, ob die Fabriken im Herbst noch stünden. Glücklicherweise könne die Milch von der 400 km Richtung Westen entfernten Molkerei Molokija in Ternopil noch abgeholt und verarbeitet werden, sagt Huizinga.

Er verstehe nicht, warum der Westen nicht härter gegen die russische Invasion in der Ukraine vorgehe. Man befinde sich bereits in einem dritten Weltkrieg, deshalb brauche man nicht abzuwarten mit Massnahmen wie einer Flugverbotszone über der Ukraine. Putin werde Millionen von Menschen aushungern, in der Ukraine, aber auch in den wichtigsten Importländern. Russlands militärische Stärke werde überschätzt, Putin bluffe nur, so der Landwirt. Er erzählt von einem Berufskollegen, wo die russischen Soldaten eingezogen seien. Diese übernachteten im Kälberstall auf Stroh. «Was ist denn das für eine Armee?», fragt sich der Holländer. [IMG 3,4]